„Warum kommt die Katze mich eigentlich nie besuchen? Ist sie sauer auf mich?“
„Du bist so wundervoll, Sunday.“ Seine Stimme ist sehr still und ernst auf dieser Aufnahme. Ich habe eine eigene, besondere Kategorie für Aufnahmen, auf denen er meinen Namen sagt. Und für die, auf denen er sagt, dass er mich liebt. Manchmal ernst, und manchmal mit einem fröhlichen Lachen.
update aufnahmen_db
set tonfall = ´froehlich lachend`
where filename = ´wundervoll.wav`;
„Erzähl das nicht deiner Mutter oder Simon, aber ich liebe dich viel mehr als sie“, sagt er.
update aufnahmen_db
set tonfall = ´todernst`
where filename = ´liebt_mich_am_meisten.wav`;
Die kleinen Blumen auf der Tapete im Kleiderschrank flackern im Computerlicht.
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Es gibt ein verlassenes Bauernhaus gegenüber des Hauses meiner Großmutter. Das Holz ist grau gebleicht, und das Dach ist auf der rechten Seite eingebrochen, als wäre das Haus nach links gestolpert. Das Haus wirkt nicht verzweifelt. Es wehrt sich nicht. Es schlägt nicht um sich oder kämpft gegen seinen Einsturz. Es ist ein Elefant, der weit genug gekommen ist und nicht mehr weitergehen kann. Die stolze, graue Hülle eines Tiers, das sich jede Falte in seiner Haut verdient hat. Das lange genug gelebt hat. Hier ist seine Belohnung.
Jetzt wird es dunkel. Der Himmel ist das Einzige, was man deutlich erkennen kann.
Ich habe dagesessen und zugesehen. Ich möchte die Seite dieses alten Hauses berühren. Meine Hand auf seine Flanke legen und etwas in diesen großen, hohlen Lungen knarren hören. Aber als ich aufstehe, um hinüberzulaufen, hält mich die Dunkelheit davon ab. Der Himmel leuchtet noch farbig, und die Sterne haben angefangen, sich zu zeigen, aber der Boden und die Büsche am Rand der Auffahrt meiner Großmutter sind fort. Verschwunden.
Das stolpernde alte Bauernhaus hebt sich jetzt nur noch als Silhouette von den Sternen ab. Das wäre gar keine so schlechte Art zu sterben. Endlich zu stolpern und in einem Feld niederzustürzen, und es zu akzeptieren. Sein eigener Grabstein zu sein. Es wäre kindisch, sich zu wehren. Kindisch, um sich zu schlagen oder gegen seinen Einsturz anzukämpfen. Kindisch zu versuchen, ewig zu leben. Ich kann meinen Vater dort draußen auf dem Feld sehen, gelassen und ruhig. Ich bin diejenige, die noch um sich schlägt. Ich bin diejenige, die will, dass er ewig lebt.
„Sunday, Liebes, bist du da draußen?“, ruft meine Großmutter hinter mir. In dem orangen Leuchten. „Sunday, wie viel Kartoffelsalat möchtest du?“ Ein weiteres spätes Abendessen. Das Klappern von Besteck auf geblümten Tellern.
Schau dir das Haus an, so still und willig. Wenn es eine gute Art gibt zu sterben, dann ist es die dort draußen. Elegant und ruhig im Angesicht des Unvermeidlichen.
Es fühlt sich fast großzügig an. Schönheit und Beschwichtigungen sind nicht für uns selbst. Natürlich wird der Tod kommen. Und natürlich gibt es keine gute Art zu sterben. Es gibt keinen Frieden. Eine Last wird sich nicht heben. Ein Blatt wird nicht fallen. Aber wir können so tun, als ob.
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Manchmal höre ich mir die Stimme meines Vaters an, um mich zu beruhigen. Aber das ist nicht der Grund, warum ich ihn aufnehme.
Ich nehme ihn auf, weil ich ein Computervirus schreibe. Ich schreibe ein Computervirus auf der Basis der Worte meines Vaters. Basierend auf seinen Witzen und seinem Lachen. Basierend auf seinen Geschichten. Das Virus wird in die Welt hinausgehen und es wird für immer auf den Festplatten von Fremden leben. Es wird sich unter allem verstecken, und in der Dunkelheit wird es sehr leise Dinge wiederholen, die mein Vater gesagt hat. Jedes Wort, das ich aufgenommen habe.
Es wird nichts laut sagen. Es wird nicht mit der echten Stimme meines Vaters sprechen. Teilweise, weil die Tondateien zu groß sind, um sie in das Virus aufzunehmen. Teilweise, weil sein Überleben davon abhängen wird, nicht gehört zu werden. Nicht entdeckt zu werden. Also wird das Virus die Worte meines Vaters für ihn sprechen; es wird sie in Datenspeicher kopieren. In die weiten Strecken ungenutzten Speicherplatzes. Wie ein Echo in einem leeren Raum. Wie die Worte auf der Rückseite eines alten Fotos, versteckt vom Rahmen. Wie ein Geist.
Und obwohl die Aufnahmen zu groß sind, um sie vollständig zu integrieren, ist seine Stimme doch wichtig. Also habe ich mit der Konfiguration von quelloffener Spracherkennungssoftware herumgespielt. Ich stellte sie ein, Datei für Datei für Datei zu analysieren. Miteinander zu vergleichen und zu kontrastieren. Ich fütterte sie mit Lachen. Witzen. Ich fütterte sie mit jeder stillen Frage, jeder trockenen Beobachtung. Ich ließ alles durchlaufen, und die Software gab mir eine kurze Ziffernfolge. Bloß ein Fragment eines Fingerabdrucks. Ein Muster.
Und dieses Muster kam in den Quellcode des Virus. Streng genommen nicht notwendig, aber wichtig für mich.
Sein Lachen wurde ein Teil des Musters, das das Virus benutzt, um sich selbst zu erkennen. Es wurde Teil des Codes, das das Virus nutzt, um zu mutieren, um die Klartextzitate meines Vaters vor Anti-Virus-Software zu verstecken, die nach ihm suchen könnte. Überall, wo ich es benutzt habe, verringerte das Muster die Zufälligkeit des Verhaltens des Virus. Anstatt pseudo-zufällig auszuwählen, welche Veränderungen es an einem infizierten System vornehmen könnte, entscheidet es sich, sich entsprechend dieser einen Zahl zu verhalten. Nicht überall und immer natürlich. Aber an einigen Orten – in einigen Momenten – wird das Virus, statt eine Münze zu werfen, einfach tun, was es möchte. Es wird es selbst sein.
Das ist nicht die effizienteste Art, es zu machen. Es ist auch nicht die klügste.
Aber es fühlt sich richtig an.
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Mein Vater hat wohlgemerkt keine Ahnung von dem Virus. Er würde kein Wort verstehen. Vielleicht würde er die grundlegende Idee davon verstehen, aber die grundlegende Idee davon ist etwas, das ich ihm jeden Tag sage. Ich will nicht, dass mein Vater stirbt. Er weiß es. Jeden Tag weiß er es.
Mom ist die Programmiererin, nicht Dad. Ja, Dad ist sehr stolz, wenn ich Programmierwettbewerbe gewinne, aber er lächelt bloß, wenn es zu technisch wird. Er hat Computer nie verstanden. Begriff nie den Sinn. „Schau doch, wie schön es draußen ist“, sagt er immer. Selbst an den hässlichsten Tagen.
Als ich vor zwei Jahren wegen Hackens von der Schule suspendiert wurde, war meine Mutter rasend vor Wut. Nicht wegen mir, sondern wegen der stellvertretenden Schulleiterin, die mich nach Hause geschickt hatte. Mein Vater und ich saßen am Küchentisch und hörten ihr beim Telefonieren zu. Ihre Stimme wurde lauter und lauter.
„Nein, ich verstehe ganz genau, was sie getan hat“, sagte meine Mom. „Tun Sie es?“ Sie hörte zu. „Damit wir uns richtig verstehen. Private E-Mails und Daten, die meinen Kindern und hunderten von anderen Kindern gehören, waren mehr als ein Jahr lang unnötig in Gefahr, weil Sie Geld sparen wollten, indem Sie eigene Server benutzt haben? Und Sie suspendieren meine Tochter, weil sie Sie darauf hingewiesen hat? Sie haben nicht mal einen richtigen IT-Mitarbeiter. Meine Tochter wollte helfen.“
Was nicht exakt meiner Motivation entsprach, wenn ich ehrlich bin, aber es hörte sich auf jeden Fall gut an. Mein Vater aber saß nur da und lächelte.
„Ein wenig schulfreie Zeit, was?“, sagte er zu mir. „Das ist toll!“
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Zuerst gefällt mir die Art, wie sie sich kleidet. Einfache schwarze Kleidung. Straffe, schwarze Haare. Es gefällt mir, weil es die Art ist, wie ich versuche, mich zu kleiden. Es ist die Art, wie ich mich selbst sehen möchte. Ich möchte so undekoriert wie möglich sein. Eine Chiffre. Ich möchte nicht, dass meine Kleidung irgendetwas darüber verrät, was in mir vorgeht. Ein schwarzes Loch, aus dem keine Information entkommen soll.
Ihr weißer Laborkittel passt nicht zum Rest ihres Outfits.