Arnim Roß
Autorinnen und Autoren
Vorwort
Mittelalterliches Dunkel mit düsteren Gestalten in angelaufenen Rüstungen – wer nur das mit dem Rittertum verbindet, hat noch nichts von der Althessischen Ritterschaft und dem Stift Kaufungen gehört. Beides ist alles andere als verstaubt und altmodisch. Und beide haben unsere Region über Jahrhunderte stark beeinflusst und bis heute nachhaltig geprägt.
Grund für uns, sich auf Spurensuche zu begeben. Wir spüren traditionelle Familienwappen auf, die Burgtore, historische Gebäude, Kirchenfenster und Grabsteine zieren und sogar auf Möbeln, Schmuck und Porzellan zu finden sind. Wir erfahren, dass das Rittertum eine reine Männersache war, das sich mit Neuaufnahmen überaus schwer tat, und hören von der Liebesgeschichte von Diana von Pappenheim und König Jérôme von Westphalen.
Auch eine soziale und gemeinnützige Komponente der Althessischen Ritterschaft wird zurückverfolgt: Der Initiative Philipp des Großmütigen, Landgraf von Hessen, ist es zu verdanken, dass noch heute Vertreter der Althessischen Ritterschaft das verbliebene Vermögen des ehemaligen Benediktinerklosters Kaufungen im Rahmen einer Stiftung verwalten und deren Erträge gemeinnützigen Zwecken zuführen.
Das Buch stellt interessante Bezüge zur Gegenwart her und verknüpft politische Zusammenhänge. So füllten Männer aus althessischen Ritterfamilien wichtige administrative Ämter aus, agierten als Gutsbesitzer in der Land- und Forstwirtschaft, waren Landräte und im 19. und 20. Jahrhundert sogar Widerstandskämpfer.
Diesem 40. Band der Reihe „Die Region trifft sich – die Region erinnert sich“ gelingt es, die vielschichtigen Facetten des althessischen Rittertums zu beleuchten. Im Serviceteil wird aufgezeigt, wo heutige „Ritter“ leben und arbeiten.
Eines haben alle Beiträge dieses Buches gemein: Sie lassen unsere Althessische Ritterschaft und das Stift Kaufungen spannend, innovativ und gleichzeitig ehrwürdig erscheinen. Die Autorinnen und Autoren beschäftigen sich sowohl mit den mittelalterlichen Wurzeln, als auch mit den neuzeitlichen Entwicklungen bis zur Gegenwart. Ich danke dem Herausgeber, Dr. Udo Schlitzberger, und den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge, in denen verantwortungsvoll ein bedeutendes Stück Geschichte von Kassel und der Region aufgearbeitet worden ist. Den beteiligten Institutionen danke ich für ihre inhaltliche Hilfe. Mein ganz besonderer Dank gilt den Althessischen Ritterfamilien, ohne deren kooperative Unterstützung dieser Band nicht zustande gekommen wäre.
Das Buch unterstreicht die Vielschichtigkeit und Vielseitigkeit unserer Region. Folgen Sie unserer Zeitreise vom Mittelalter über die Neuzeit in die Gegenwart und erleben Sie die „Althessische Ritterschaft und das Stift Kaufungen“. Vielleicht besuchen Sie auch einfach die Orte des Geschehens und entdecken Sie unsere Region von einer bisher unbekannten Seite.
Ingo Buchholz
Vorstandsvorsitzender der Kasseler Sparkasse
Einleitung
Udo Schlitzberger
Es ist ein Zufall und Glücksfall zugleich, dass dieses Buch „Die Althessische Ritterschaft und das Stift Kaufungen“ in dem Jahr erscheint, in dem nach einer gut 10-jährigen Sanierungsphase die Stiftskirche wieder für Gottesdienste und kulturelle Veranstaltungen genutzt werden kann. Die „Kirche zum Heiligen Kreuz“, von Kaiserin Kunigunde gestiftet, am ersten Todestag ihres Gemahls Heinrichs II. am 13. Juli 1025 geweiht, gehört zu den ehrwürdigsten und bedeutendsten Kirchenbauten in Hessen. Sie befindet sich im Eigentum der Althessischen Ritterschaft.
Das Ritterschaftliche Stift ist mit fast 500 Jahren eine der ältesten Stiftungen unseres Landes, die älteste in Nordhessen. Als sie 1532 von Landgraf Philipp dem Großmütigen begründet wurde, war sie einmalig im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation.
Wie sich das Stift Kaufungen von einer Königspfalz über die Klostergründung Kunigundes bis zur Reformation entwickelt hat, zeigen Ingrid Baumgärtner und Christian Presche in ihrem Beitrag auf. Die Entwicklung der Althessischen Ritterschaft seit 1532 bis in die Gegenwart beschreibt kenntnisreich Hauprecht Freiherr Schenck zu Schweinsberg. Die heute gemeinnützige Stiftung hat über die Jahrhunderte historische Katastrophen wie den 30-jährigen Krieg im 17. Jahrhundert, den siebenjährigen Krieg im 18. Jahrhundert und zwei Weltkriege im 20. Jahrhundert überdauert. Sie überstand auch die Zeit des von Napo leons Bruder Jérôme regierten Königreichs Westphalen, gegen den auch einige Mitglieder der Althessischen Ritterschaft beim sog. Dörnberg-Aufstand 1809 erfolglos revoltierten.
In Kurhessen und später im Kaiserreich wie auch der Weimarer Republik haben Männer aus althessischen Ritterfamilien wichtige administrative Ämter bekleidet – nicht zuletzt als Landräte der drei ehemaligen Landkreise, aus denen 1972 im Zuge der hessischen Gebietsreform der heutige Landkreis Kassel entstanden ist. Exemplarisch genannt werden in diesem Buch Ludwig von Buttlar, Landrat im Kreis Wolfhagen; Georg Riedesel Freiherr zu Eisenbach, Landrat im Kreis Hofgeismar, und Gottfried Rabe von Pappenheim, Landrat im Kreis Kassel.
Ein besonderer Beitrag ist dem 1944 als Widerstandskämpfer hingerichteten Adam von Trott zu Solz und der nach ihm benannten Stiftung und Begegnungsstätte in Imshausen gewidmet.
Viele Familien der Althessischen Ritterschaft waren traditionell als Gutsbesitzer in der Land- und Forstwirtschaft tätig – für einige gilt dies bis heute. Bemerkenswert sind aktuell auch kreative Engagements im Tourismusbereich, insbesondere der Event-Gastronomie. Beispiele dafür sind Schloss Berlepsch, die Tannenburg und nicht zuletzt die Burg Herzberg, wo im Sommer 2018 zum 50. Mal das Burg-Herzberg-Festival tausende Besucher anlockte.
Auch die Gemeinde Kaufungen nutzt das Stift der Althessischen Ritterschaft im Rahmen ihres Kultur- und Tourismus-Konzepts. Die Kaufunger Konzerte, der Stiftssommer und die Stiftsweihnacht bereichern die regionale Kulturlandschaft.
Die fruchtbare Symbiose von Kaufungen und der Althessischen Ritterschaft bringt deren langjähriger Obervorsteher Hauprecht Freiherr Schenck zu Schweinsberg prägnant auf den Punkt: „Die Althessische Ritterschaft hat nicht nur das Stift Kaufungen, sondern das Stift Kaufungen hat auch die Althessische Ritterschaft lebendig erhalten.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Blick auf die Stiftskirche, das Herrenhaus und das Rentereigebäude des ritterschaftlichen Stifts Kaufungen
Das Stift Kaufungen.
Von den Anfängen bis zur Reformation
Ingrid Baumgärtner und Christian Presche
Das 1011 urkundlich erstmals erwähnte Kaufungen und sein auf einer Anhöhe gelegenes Stift entwickelten sich – soweit wir dies rekonstruieren können – aus einem Nebenhof des königlich-grundherrschaftlichen Güterkomplexes in Kassel.1 Es gilt als gesichert, dass König Heinrich II. am 24. Mai 1008 den gesamten Herrenhof mit allen abhängigen Bauernstellen und zugehörigen Ländereien, also allen Nebenhöfen, landwirtschaftlichen Flächen, Wäldern, Jagdgebieten, Gewässern, Fischteichen und Mühlen, seiner Gemahlin Kunigunde übertrug.2 Diese Schenkung der wirtschaftlichen Nutzung des Kasseler Königsguts bildete die dringend notwendige Entschädigung für Bamberger Besitzungen, die der König Kunigunde zunächst als Morgengabe, wie man die Zuwendung bei der Eheschließung am Morgen nach dem Beilager nennt, anvertraut hatte. Eine Morgengabe diente entweder allein oder zusammen mit der in die Ehe eingebrachten Mitgift der späteren Versorgung der Witwe. Deshalb war es recht ungewöhnlich, dass Heinrich II. diese Zuwendung seiner