Chronik von Eden. D.J. Franzen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: D.J. Franzen
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783957771285
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ihm die Bilder der Vergangenheit.

      *

      Die letzten Prüfungen hatten hinter ihnen gelegen, der Stress der Abschlussfeier war verflogen, und Karins Blick aus dem offenen Fenster seines Minis war verträumt gewesen. Verträumt und erwartungsvoll, was ihnen die Zukunft wohl bringen mochte. Der Wind hatte mit seinen luftigen Fingern in ihrem Haar gespielt. Im Schein der Frühlingssonne war es zu einem Feuer geworden, in dem er ohne mit der Wimper zu zucken verbrennen würde, sollte sie es von ihm erwarten.

      Sie waren jung.

      Sie waren frisch verliebt.

      An einer abgelegenen Stelle hatte er den Wagen abgestellt und sie waren in die Büsche gelaufen. Karins Augen hatten listig gefunkelt. Dann waren sie an eine kleine Lichtung gekommen, umschlossen von dichtem Unterholz. Ein Zwinkern und Karins Bluse hatte den Blick auf ihre Brüste freigegeben. Martin hatte sich im siebten Himmel geglaubt, während Karin sich lächelnd an ihn geschmiegt hatte und er ...

      *

      ... schreckte auf.

      Verdammt! Er war eingenickt. Karins Wange lag auf seiner nackten Brust. Sie fühlte sich angenehm kühl an. Endlich. Das Fieber war weg. Er atmete auf.

      »Karin?«

      Keine Antwort. Keine Atemgeräusche. Die Erleichterung wich eisigem Schrecken. Er schüttelte sie sachte.

      »Karin?«

      Ihr Körper fiel haltlos auf seinen Schoß.

      Aus ihren Augen flossen blutige Tränen.

      *

      In den Kliniken der Universität zu Köln herrschte Chaos. Martin sah Notbetten im Hauptgang, hustende Menschen, Menschen mit Fieber und Solche, die sich nicht mehr selber auf den Beinen halten konnten. Dazwischen Ärzte, Schwestern und Pfleger, die verzweifelt versuchten, Ordnung in das Chaos zu bringen. Martin stand im Eingang und blickte hilflos umher. In seinen Armen trug er den leblosen Körper Karins. Er sah einen hustenden Mann zwischen zwei Betten stehen. Plötzlich wurde aus dem Husten ein Würgen. Ein Schwall Blut schoss dem Mann aus dem Mund. Die Menschen stoben schreiend auseinander und rempelten sich gegenseitig an. Ein Kind stürzte und verschwand im Meer der Beine. Der Mann brach zusammen. Ein Arzt rannte zu dem Gestürzten. Pfleger und Schwestern versuchten die Menschen zu beruhigen. Jemand stieß Martin zur Seite und stürmte würgend, eine Hand vor dem Gesicht, an ihm vorbei. Martin taumelte und konnte nur mit Mühe das Gleichgewicht halten.

      »Keine Sorge, Karin. Ich finde einen Arzt für dich«, murmelte er. Dann sah er in dem Getümmel den Arzt, der sich um den Gestürzten kümmerte. Martin schob sich rücksichtslos durch das Gedränge auf ihn zu.

      »Hallo? Ich brauche Hilfe.«

      Der Mann seufzte und sah Martin aus rotgeränderten Augen von unten her an. Dann bemerkte er den Körper in seinen Armen. Wortlos stand er auf und hob die Haare aus Karins Gesicht. Den Gefallenen beachtete er nicht weiter.

      Egal.

      Es ging um Karin.

      »Sie ist erst gestern Morgen erkrankt. Wissen Sie, wir haben uns in unsere Wohnung eingeschlossen und sind nicht vor die Tür gegangen. Sie kann die Seuche also nicht haben.«

      Der Arzt legte ihr die Fingerspitzen an den Hals.

      »Ich wäre ja früher gekommen, aber die Ausgangssperre und die Soldaten auf den Straßen ...«

      Martin stockte. Tränen verschleierten seinen Blick. Der Arzt hob den Blick und schüttelte den Kopf.

      »Sie ist tot.«

      »Das kann nicht sein. Sie hat die Seuche nicht. Wir waren doch seit drei Wochen nicht mehr draußen gewesen.«

      Der Arzt nickte jemandem hinter Martin zu und verschwand in dem Gewühl auf dem Gang. Martin starrte hilflos hinter ihm her.

      »Aber sie ist nicht tot!«

      Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Er drehte sich um und sah einen Soldaten im Schutzanzug vor sich stehen. Hinter dem Soldaten standen zwei weitere.

      »Geben Sie sie her«, kam es dumpf aus der Maske.

      »Aber ... das ist meine Verlobte. Sie kann die Krankheit nicht haben.«

      »Und wenn es die heilige Jungfrau Maria persönlich wäre. Der Arzt hat sie für tot erklärt. Ihre Leiche wird wie die der anderen Toten verbrannt.«

      Wut und Verzweiflung kamen in Martin hoch. Seine Muskeln spannten sich. Die Soldaten hinter dem, der ihn angesprochen hatte, hoben langsam ihre Waffen. Die Menschen wichen in dem engen Gang so gut es ging zurück. Martin schluckte. In Deutschland herrschte Kriegsrecht. Sollte er es riskieren, standrechtlich erschossen zu werden? Er konnte für Karin nichts mehr tun.

      Es war zu spät.

      Dieser letzte Gedanke rollte mit einer Wucht durch sein Denken, das es ihm schwindelte. Ein heißes Brennen schoss in seine Augen. Er blickte auf den leblosen Körper in seinen Armen. Ein dumpfer Schmerz schnürte ihm die Kehle zu. Die Stimmen der Menschen wurden zum sinnlosen Murmeln eines weit entfernten Meeres, dessen Wellen an einer einsamen Küste leckten. Sein Blickfeld zerfranste an den Rändern seiner bewussten Wahrnehmung. Die Wirklichkeit kippte.

      Zu spät.

      Er hatte zu lange gewartet.

      Die Worte hallten wie ein Mantra immer wieder durch sein Denken. Er hob den Blick, ohne zu sehen. Der Soldat neigte den Kopf zur Seite.

      »Wenn Sie wollen, können Sie mitkommen und sie selber ins Feuer legen.«

      Die Stimme, eben noch dumpf und ohne eine Spur Emotion, bekam einen weichen Klang. Martin nickte dem Soldaten zu. Sein Körper gehörte nicht mehr ihm, als er hinter dem Soldaten auf die Straße trat.

      Karin war tot.

      *

      Vor dem Eingang zur Notaufnahme stand ein Lastwagen mit offener Ladefläche. Unzählige Leichen bildeten dort bereits einen Berg aus verdrehten Körpern. Zwei Soldaten nahmen ihm Karins Leiche ab und warfen sie auf den Berg zu den anderen. Der Anblick versetzte Martin einen Stich, durchdrang den Schmerz, der sich betäubend um sein Denken gelegt hatte. Dann kam die bittere Erkenntnis.

      Es war zu Ende.

      Endgültig.

      Der Soldat, der Martin hinausgeführt hatte, deutete ihm die Richtung zu einem Militärlaster mit Plane. Ein blasses Gesicht schaute aus der Dämmerung unter der Plane hervor. Martin schlich mit hölzernen Beinen in die angegebene Richtung. Bevor er in den Wagen stieg, schaute er hoch. Der Himmel hatte die Farbe eines Blutergusses und der Wind trieb tiefschwarze Wolken vor sich her. Es würde bald anfangen zu regnen. Mit einem letzten Blick zu dem Wagen, auf dem Karin zwischen all den anderen Toten lag, kletterte er auf die Ladefläche und setzte sich auf eine Pritsche. Am vorderen Ende der Ladefläche, zur Fahrerkabine hin, saßen zwei Soldaten. Auch sie trugen Masken und Schutzanzüge.

      Ameisen.

      Einfache Arbeiter ohne Hirn, die nur den Duftspuren ihrer Befehle folgten.

      Martin wandte seinen Blick ab und sah vor sich den einzigen anderen Zivilisten sitzen. Einen hohlwangigen Mann in einem zerschlissenen Anzug. Der Mann bemerkte seinen Blick. Er griff in die Innentasche seines Jacketts. Die Soldaten hoben ihre Waffen. Mit einem schwachen Lächeln, und einem Seitenblick zu den Soldaten, zog der Mann ein silbernes Zigarettenetui hervor. Mit einem fragenden Blick hielt er es vor Martin. Der zögerte. Vor drei Monaten hatte er es endlich geschafft, dieses Laster aufgegeben, genauso wie das Schnupfen. Dafür hatte er jetzt in der Leiste, direkt neben den Hoden, einen Stelle, die wie das kalte Buffet einer Horde Moskitos aussah. Ein weiterer Moment des Zögerns. Dann nickte er und nahm dankend eine Zigarette heraus. Vor seinem geistigen Auge sah er Karin, wie sie missbilligend die Stirn runzelte.

      »Declan Smith«, sagte der Mann in akzentfreiem Deutsch. Er beugte sich vor und gab Martin Feuer.

      »Freier Handelsvertreter