Mein Freund Thorsten und die Flüchtlinge
Frank Bonkowski
Mein Freund Thorsten tickt politisch deutlich weiter rechts und hat eine ganz andere Einstellung als ich, was die derzeitige Flüchtlingspolitik angeht.
Ich kann mich noch gut an ein Gespräch erinnern, das wir vor knapp zwölf Jahren in einer Kneipe in unserer gemeinsamen Heimatstadt in Norddeutschland geführt haben.
Ich lebte damals an der Westküste Kanadas, während mein Freund unsere Heimat nie verlassen hatte.
„Du hast gar keine Ahnung, wie das jetzt hier läuft in Deutschland. Wohin du auch siehst, überall laufen Ausländer rum.“
„Ist doch schön, ich mag Multikulti! Das bereichert euch doch nur!“
„Das ist gar nicht schön. Diese Ausländer kriegen vom Staat UNSER Geld nur so nachgeschmissen, sie nehmen sich unsere Frauen und unsere Arbeit. Landunter, sag ich nur! Ich hab bald die Schnauze voll.“
„Du weißt schon, Thorsten, dass ich mit einer Ausländerin verheiratet bin und drei wunderschöne ausländische Kinder habe, die alle einen kanadischen Pass besitzen?“
„Bei euch ist das ja auch ganz anders, ihr habt ja noch nicht mal vor, nach Deutschland zu ziehen.“
Womit er damals noch recht hatte, obwohl wir zwei Jahre später dann doch wieder hierhergezogen sind.
„Ihr seid ja auch ganz anders als die Ausländer, von denen ich rede!“
Bevor ich meinen Freund bitten konnte, mir zu erklären, woran er unser „anders als die anderen Ausländer“ denn nun genau festmachen würde, kam die Bedienung, um unsere Bestellungen aufzunehmen.
„Ich hätte gerne ein Fladenbrot mit türkischer Wurst“, sagte Thorsten der Kellnerin. „Die musst du auch mal probieren, Frank, die türkische Wurst ist voll lecker!“
Ich glaube, den Humor in diesem Statement hat mein Freund bis heute nie so richtig erkannt.
Meine Familie lebt seit zehn Jahren wieder in Deutschland und nimmt meinem Kumpel seitdem erfolgreich zwei Arbeitsplätze weg, aber er ist tolerant genug und immer noch ein richtig guter Freund.
Und wir führen weiter ähnliche Diskussionen wie damals in der Kneipe und sind, was die derzeitige Flüchtlingsdebatte angeht, komplett unterschiedlicher Meinung.
Ich habe am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie schwer es für Ausländer sein kann, hier in Deutschland anzukommen. Meine Kinder konnten damals nur Englisch, und obwohl Kanada ein westliches Land ist und ich Deutscher war, war die Umstellung wesentlich härter und langwieriger, als ich es jemals für möglich gehalten hatte.
Ich bin dankbar für jeden, der damals einfach nur freundlich und verständnisvoll mit meiner Familie umgegangen ist. Das hat mich zutiefst geprägt.
Ich bin durch meine Arbeit als Pastor etlichen Flüchtlingen persönlich begegnet. Meine eigenen Erfahrungen haben mir diese Kontakte leichter gemacht. Ich habe Gastfreundschaft, Kultur und fantastisches orientalisches Essen kennengelernt, und ich bedanke mich oft bei meinen neuen Freunden Habib, Rachel, Shivaa, Hussain, Samir, Farid und wie sie alle heißen, dass sie mein Herz weich werden lassen.
Wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich zugeben, dass mir all die Nachrichten über den Syrienkrieg wahrscheinlich heute egal wären, wenn ich die Menschen nicht kennen würde, die dort Freunde und Verwandte haben. Mein weicheres Herz führt dazu, dass mir die „Tagesschau“ jetzt regelmäßig richtig wehtut.
Das Interessante ist, dass diese Begegnungen und Geschichten auch meinen Kumpel Thorsten verändern. Wenn ich ihn einlade, mit Habib und Rachel syrisches Essen auszuprobieren, oder wenn ich ihm von Farids abenteuerlicher Flucht über die Berge in den Iran erzähle, dann passiert etwas Wunderschönes: Mein Freund wird neugierig und möchte diese Menschen mit ihren traurigen, spannenden Hintergründen kennenlernen.
Und wenn wir uns kennenlernen, ist schon so unglaublich viel gewonnen.
Und so ist mein Freund Thorsten, der so ganz anders tickt als ich, der Grund geworden, warum ich diese Begegnungen und Geschichten, die persönlichen Schicksale, aufschreiben und erzählen möchte, weil ich mir wünsche, dass sie uns alle weicher machen und verständnisvoller.
Es begann mit einem „Shereve!“
Frank Bonkowski
Wie lernt man eigentlich einen Flüchtling kennen?
Seit ein paar Jahren kommen bei uns Syrer in den Gottesdienst. Seitdem wird bei uns viel gelächelt. Das ist gleichzeitig nett, hat aber auch immer so etwas leicht peinlich Berührtes.
Manchmal gibt es einen, der ein bisschen Englisch kann, aber so sehr man sich auch bemüht, Kommunikation ist erst mal einfach nur mühsam, wenn man so gar keine gemeinsame Sprache hat. Wer dann noch schüchtern ist, der ist komplett außen vor.
Vielleicht hilft ja diese Geschichte. Ende September 2015 ist Samir zum ersten Mal bei uns im Gottesdienst. Durch einen anderen Syrer erfahren wir, dass er gerade in einem Nachbardorf untergekommen und ganz frisch in Deutschland ist. Ansonsten wieder viel von dem netten, peinlich berührten gemeinsamen Anlächeln.
Als wir später mit ein paar Leuten zum Mittagessen in ein Oktoberfestzelt fahren wollen – die gibt es tatsächlich auch im hohen Norden –, sehen wir ihn, wie er zu Fuß nach Hause läuft. Wir halten an, lächeln, machen das universell übliche Zeichen für Essen, und Samir steigt ins Auto.
Zum Glück gibt es im Oktoberfestzelt Bilder. Ich zeige auf eine nett gemalte Schweinshaxe, mein Gast lächelt und hebt den Daumen. Gott sei Dank für dieses allgemein gültige Zeichen. Dann zeige ich auf ein Bild von einem enorm großen Bierglas, es folgt ein enorm großes Lächeln auf Samirs Gesicht. Das wäre geklärt. Unser neuer Freund isst Schwein und trinkt Bier.
Als die eingeflogene Bayrische Band das Festzelt zum Prosten auffordert, versuche ich meinem Mittrinker zu erklären, was hier gerade passiert: „Prost? Cheers? Salute? Skoll?“
Er grinst: „Shereve!“
An unserem Tisch sitzt auch noch eine junge Frau aus dem Iran. „Salam ati!“, ruft sie uns zu.
Wir ernten jetzt zwar einige komische, verwirrte Blicke, als unser Tisch nach jeder Schunkeleinlage „Shereve!“ und „Salam ati!“ brüllt, aber keiner hat so viel Spaß wie wir.
Irgendwann zückt Sammy, so heißt er inzwischen, weil das einfacher ist als Samir, sein Handy und zeigt mir ein Bild von seinem Baby, das er noch nie in den Armen gehalten hat, und von seiner Frau.
Wir kennen erst ein gemeinsames Wort, aber der erste Kontakt ist gemacht.
Zwei Wochen später bin ich bei meinem Freund Habib eingeladen, ein Deutschsyrer, der Sammy zum gemeinsamen Frühstück eingeladen hat, um ein Interview zu machen. Zum Schluss erzählt er mir, dass es am Abend für ein paar Neuankömmlinge Pasta geben wird.
„Ich versuche, meine Freunde an die europäische Küche zu gewöhnen“, meint er lachend.
„Super, wenn Sammy die Pasta mag, dann bring ihn Freitag zu mir, zum Pizzaessen. So gegen 19 Uhr“, antworte ich.
Das passiert dann auch. Ich war gerade nach Hause gekommen, es ist 17 Uhr, und Habib bringt Sammy vorbei. Genaue Zeiten werden im arabischen Raum etwas anders gehandhabt als bei uns. Ich bin alleine zu Hause, komme gerade vom Sport und wollte jetzt eigentlich duschen und die Küche vorbereiten.
Egal. Ich bitte Sammy mit einem Getränk an unseren Bistro-Tisch in der Küche. Wir lächeln, als ich anfange, die Küche ein bisschen aufzuräumen.
Aber irgendwie ist das blöd. Wir können uns doch jetzt nicht zwei Stunden lang lächelnd anschweigen, bis die anderen kommen.
Irgendwann kommt mir