Eines Tages stehen einige junge Männer vor der Tür meines Gemeindehauses und klingeln. Sie suchen nicht speziell Hilfe, sondern möchten Kontakte knüpfen. Sie sind erst seit ein paar Tagen in einem großen Wohnhaus in der Nähe der Gemeinde untergebracht. Hier leben sie immer zu viert in einer Wohnung – wie eine multikulturelle WG.
Mit der Zeit finden immer mehr Menschen den Weg in unsere Gemeinde. Klar, dass die Flüchtlinge Deutsch lernen müssen, um hier leben und sich integrieren zu können. Die Sprachkurse der Volkshochschule und anderer Anbieter sind überfüllt. Es fehlt an Lehrkräften, um den Bedarf komplett abzudecken. Deshalb entscheidet unsere Gemeinde, Deutschkurse anzubieten. Im Internet gibt es hilfreiches Material im Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ oder „Deutsch für Migranten“. Im Gemeindehaus können die Flüchtlinge an mehreren Tagen pro Woche an Computern lernen. Immer sind ehrenamtliche Helfer anwesend, die als Lehrer einspringen. Auch Nichtgemeindemitglieder engagieren sich in diesen Kursen. Sie wollen helfen und so Teil dieser Arbeit werden.
Ein paar Monate später melden sich einige der Kursbesucher zur Taufe an. Sie sind gekommen, um Hilfe zu suchen, haben Fragen im Gepäck und wollen mehr über Gott und Jesus wissen. Ihr traditioneller Glaube hat ihnen nicht den Halt in ihrem Leben gegeben, den sie gesucht haben. Teilweise wurden sie sogar ihres Glaubens wegen aus ihrer Heimat vertrieben. Und so entscheiden sich ganze Familien für Gott. Die Freude ist groß, und es wird ein bunter Gottesdienst, in dem sie Zeugnis von dem geben, was sie mit Gott erleben. Ich spüre neben der Freude aber auch meine Zweifel und Ängste. Ich habe von anderen gehört, dass sich viele Menschen aus den arabischen Ländern auch deshalb taufen lassen, weil sie dann als religiös verfolgt gelten und nicht mehr abgeschoben werden können. Sind die Motive dieser Menschen, die sich taufen lassen wollen, echt, oder suchen sie eine Möglichkeit, bleiben zu dürfen?
Ich denke über diese Frage nach und komme schnell zu dem Schluss, dass es nicht in meinem Ermessen liegt, das zu beurteilen. Gott sieht jeden von uns, und er weiß, wie es in unserem Inneren aussieht. Aber manchmal spüre ich auch meine Angst. Wenn Muslime zum Christentum konvertieren, sind sie der Gefahr ausgesetzt, von Freunden oder Familie drangsaliert zu werden. Immer wieder habe ich von Christen gehört, die als ehemalige Muslime ihre Familien und ihr Land verlassen mussten, weil diese ihnen mit dem Tode drohten. Was, wenn die Familien davon hören? Wie werden sie reagieren? Werden wir als Gemeinde eines Tages dadurch Schwierigkeiten haben?
Diese Gedanken gehen mir immer wieder durch den Kopf und werden für mich zur Herausforderung, wenn ich den Gästen und neuen Mitgliedern der Gemeinde offen begegnen will. Gleichzeitig muss ich lernen, mit meiner Skepsis umzugehen. Ich glaube aber auch, dass es ein großes Privileg ist, als Gemeinde auch solche Taufen zu erleben, bei denen sich ehemalige Muslime oder eben anders Glaubende Jesus zuwenden. Das ist es, was ich versuche in meinen Gedanken überwiegen zu lassen.
Gerade in einer großen Gemeinde wie meiner ist es aber leicht, den Menschen aus dem Weg zu gehen. Die Flüchtlinge sind in meiner Gemeinde – aber wie nah lasse ich sie wirklich an mich heran?
Der Fremde auf meinem Sofa
Im Internet lese ich von Mandy. Sie ist Bloggerin und lässt täglich viele Leser über Facebook und auf ihrer Homepage an ihren Erlebnissen und Gedanken teilhaben. So erfahre ich, dass sie und ihr Mann Flüchtlinge bei sich aufnehmen und ihnen für ein oder zwei Nächte einen Schlafplatz anbieten. Das finde ich spannend, und so stelle ich ihr meine Fragen, weil mich nun doch interessiert, wie das so ist!
In Berlin, vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, stehen die Neuankömmlinge mitunter mehrere Wochen Tag für Tag an, um sich registrieren zu lassen. Zwar werden viele von ihnen in Bussen zu anderen Quartieren gebracht, aber einige finden keinen Platz mehr im Bus. Sie müssen bis zum nächsten Tag warten – immer in der Hoffnung, dass dieser Tag eine Registrierung und somit auch eine Unterkunft für sie mit sich bringt. Es ist Ende November, und die Nächte sind eisig kalt.
Mandy kommt immer wieder an diesem Ort vorbei, und sie merkt bald, dass es ihr abends auf ihrem Sofa immer schwerer fällt, in Ruhe den Abend zu genießen, während draußen in der Kälte Menschen mit Temperaturen um den Gefrierpunkt zu kämpfen haben. Sie erkundigt sich, wie sie helfen kann, und kommt so über eine Facebook-Gruppe auf eine Webseite, auf der sie ihr Sofa anmeldet. Ein Gästezimmer hat sie nicht, aber das Sofa reicht völlig. Das ist keine Lösung auf Dauer, aber für kurze Zeit ist das in Ordnung. Mandy und ihr Mann sind Christen und versuchen zu helfen, wo sie können. Allerdings sind sie nicht der Meinung, dass es speziell für uns Christen wichtig ist, zu helfen.
„Ich habe als Christ keine besondere Verantwortung. Jeder Mensch hat die Verantwortung für sein Leben und das der Menschen um ihn herum“, sagt Mandy.
Für sie steht dabei die Menschlichkeit im Fokus, aber vielleicht hat sie als Christin, die Gottes Liebe in ihrem Leben erlebt, mehr zu geben?! Dennoch frage ich mich, wie die beiden die Zeit mit den ausländischen Gästen erleben.
„Mit Brahim aus Syrien haben wir einen Apfelkuchen gebacken, Pizza gemacht, mein Mann war mit ihm beim Angeln, ich habe mit ihm Tischtennis gespielt, und wir saßen gemeinsam vor dem Kamin.“ Mit diesen Worten gibt Mandy einen Einblick in diese Begegnungen.
Meist wollen ihre Gäste sich im Warmen ausruhen, schlafen und duschen. Mittlerweile waren mehrere Gäste nach und nach über Nacht bei ihnen zu Besuch, und noch immer stehen sie vor kleineren oder größeren Herausforderungen. Das beginnt schon beim Frühstück. Was essen Menschen aus Syrien oder dem Iran zum Frühstück? Wenn sie das deutsche Müsli nicht wollen – liegt das dann am Müsli? Es klingt nach vielen spannenden Erlebnissen, die bei solchen Übernachtungsbesuchen entstehen.
Mandy erhält aber auch Anfeindungen. Im Internet liest sie immer wieder hässliche Botschaften von Menschen, die ihr unterstellen, mit den Flüchtlingen auch den IS in ihr Haus zu holen. Dies tut ihrer Hilfsbereitschaft allerdings keinen Abbruch. Sie hat eine weitere Idee, wie man helfen kann. Im Internet können Schlafsäcke und Isomatten bestellt werden. Viele Gleichgesinnte beteiligten sich schon an dieser Idee, und so lieferten ihr die Postboten mehrere Wagenladungen. Diese verteilte Mandy Abend für Abend vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales. An jedem Schlafsack steckte ein Zettel, auf dem in verschiedenen Sprachen zu lesen ist, dass dies ein Geschenk von mitfühlenden Menschen ist.
„Viele dieser Leute sind Christen und glauben, dass Gott dich unendlich liebt. Wir hoffen, dass der Sack dich warm hält und dir ein wenig hilft, durch diese kalte, harte Zeit zu kommen“, steht beispielsweise darauf. Wer seinen Schlafsack nicht mehr benötigt, kann ihn an andere Menschen weitergeben, die noch keinen Schlafplatz im Warmen erhalten haben. Eine weitere Aktion, an der sich jeder ganz praktisch und leicht beteiligen kann.
Wie nah lasse ich die Flüchtlinge nun tatsächlich an mich heran? Die Nächte auf dem Sofa kommen für mich nicht infrage. Es klingt toll, was Mandy und ihr Mann erleben, und es sind sicherlich viele bereichernde Begegnungen. Aber ich wohne alleine, und da halte ich das Einquartieren von Männern bei mir zu Hause für wenig klug.
Ich habe in den letzten Monaten auch immer mal mit dem Gedanken gespielt, hauptamtlich mit Flüchtlingen zu arbeiten. Ich könnte meinen Arbeitsplatz aufgeben, um in einem Massenquartier als Sozialarbeiterin tätig zu sein. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, weil ich auf Dauer mit der Belastung und den Geschichten und Schicksalen der Menschen emotional wahrscheinlich nicht umgehen könnte.
Manche Familien haben es auf dem Herzen, Kinder, die alleine gekommen sind, aufzunehmen. Für andere kommt das nicht infrage. Für manche bedeutet Flüchtlingshilfe, im Café der Gemeinde zu helfen, Kleidung zu spenden oder Deutsch zu unterrichten. Vielleicht laden meine Freundinnen und ich ja irgendwann mal eine junge Frau zum Essen ein. Wie nah wir die Flüchtlinge in unser Leben lassen, muss letztendlich jeder für sich selbst entscheiden. Wer sich allerdings in der Bibel mit den Themen „Fremdlinge“, „Hilfsbereitschaft“