Ruhrpottliebe. Lena Schätte. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lena Schätte
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783865067586
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er gegen die Musik in mein Ohr und legt dabei seine Hand auf meine Schulter, als seien wir Vertraute.

      „Ja“, schreie ich perplex zurück. Er riecht nach Bier und Aftershave.

      „Die Praktikantin?“

      „Wie bitte?“

      „Ich bin Ben.“

      „Wer?“

      „BEN!“, schreit er noch lauter in mein Ohr. Ich lehne mich zurück und sehe in sein Gesicht. Er kommt mir bekannt vor, doch kann ich ihn nicht zuordnen.

      „Sorry.“ Ich zucke mit den Schultern und grinse ihn freundlich an.

      „Ich arbeite in der Nachtschicht. Bei der Firma, in der du Praktikum gemacht hast. Wir haben telefoniert!“

      Jetzt geht mir ein Licht auf.

      „Jaja …“, wedele ich mit der Hand in der Luft herum. „Wie hast du mich erkannt?“

      „Ich muss gestehen, ich hab Jolie gebeten, mir dich auf Facebook zu zeigen.“

      „Ah …“, lächle ich.

      „Dein Praktikum ist jetzt vorbei?“

      „Ja, genau.“

      „Schade.“

      „Ja, war eine lockere Zeit.“

      „Kann ich mir vorstellen. Jolie wird ja eher fürs Rauchen bezahlt!“, lacht Ben. Er ist trotz seiner beachtlichen Größe niedlich. Er erinnert mich an den Teddy aus der Bärenmarkewerbung.

      „Ich wollte es nicht aussprechen“, stimme ich in sein Lachen ein. Große braune Augen funkeln mich an. Sein Blick fährt an mir hoch und gleitet wieder hinunter.

      „Ey, lass ma’ weiterziehen“, stößt ein ebenso großer Fremder zu uns und packt Ben bei der Schulter. Bens Augen huschen zu mir, dann wieder zu ihm, dann wieder zu mir.

      „Ähm …“, beginnt er, als er sich wieder vorgebeugt hat und seine Wange meine berührt. „Hättest du Lust, dich mal mit mir zu treffen?“

      „Öhm … ja, warum nicht?“, nuschle ich überrascht.

      „Alter, jetzt komm …“, wirft der Fremde ein und ruckelt an Bens Schulter.

      „Morgen?“, ruft Ben gehetzt.

      „Morgen?“

      „Ja, morgen.“

      „Ja … meinetwegen.“

      „Um drei am Bahnhof?“

      „Okay.“

      Zum Abschied drückt er mir einen Kuss auf die Wange und lächelt mich noch ein letztes Mal mit funkelnden Augen an, bevor er den Laden verlässt. Wie Matheo es immer macht, wenn er sieht, dass ich mich unter seinem Partyvolk langweile, schmuggelt er einen dreckigen Rocksong zwischen die Kommerzdudler, und ich schwinge mich mit Lisa auf die Tanzfläche. Wieder bohrt sich ein Finger in meinen Rücken. Ich drehe mich um, erwarte wieder Ben, aber falsch. Ein kleiner Skater in meinem Alter mit strohblondem verwuscheltem Haar, auf dem eine bunte Snowboardermütze liegt, steht vor mir. Ich mustere seine Markenklamotten, mein Blick wandert an ihm hinauf. Ich erwidere sein benebeltes Lächeln. Er beugt sich vor, sein Kinn streift meine Schulter, als auch er sich an mein Ohr schmiegt, als seien wir Vertraute.

      „Ich hab dich gesehen, und ich finde, du bist anders. Ich bin auch anders. Wir sollten uns zusammentun.“

      „Anders?“, schreie ich ein wenig verwirrt gegen die Musik an. „Na, alternativ!“

      Meine Augen beginnen prompt das Strahlen.

      Wir stellen uns in eine einsame Ecke der Bar und beginnen zu reden, knallen uns Bandnamen um die Ohren, reden über Festivals, und ich gebe mir die größte Mühe zu verbergen, dass ich lang nicht so tief drinstecke, wie er es tut. Ich hänge an seinen Lippen, sehe ihm fasziniert dabei zu, wie er besoffen wild gestikuliert, immer wieder die Hände an den Kopf legt, als würde ihm jede Sekunde der Schädel platzen, absolut begeistert von all den Dingen spricht, die auch in mir so viel auslösen.

      Bald landen wir draußen bei einer Handvoll Rauchern, die sich in der klirrend kalten Nacht aneinanderdrücken, und hocken uns auf eine Mauer. Er rutscht immer näher, bald legt er seinen Arm um mich.

      „Dortmund ist doch tot. Jedenfalls was unsere Altersgruppe angeht. Jeder, der ein bisschen was im Kopf hat, geht, wenn er kann, und der Rest hängt frustriert an den Bushaltestellen herum. Das deprimiert“, philosophiert er vor sich hin und nimmt mal wieder die Hände an den Kopf.

      „Nun sind wir aber noch hier.“

      „Ja. Wir armen Schweine.“

      Wir prusten beide laut los, und ich kippe etwas Bier in meinen Schal statt in meinen Mund.

      „Ich meine, hier gibt es so wenige wie uns!“, fährt er fort, und ich muss lachen, da er von uns spricht, als seien wir eine vom Aussterben bedrohte Tierart oder die letzten Illuminaten.

      „Manchmal, wenn ich ein Bandshirt sehe oder ein Festivalbändchen, dann fühle ich mich halt direkt verbunden.“

      Noch eine Weile sitzen wir da, auf der kalten Mauer, und reden Blödsinn. Gegen Sonnenaufgang fährt mein Lieblingsfahrer am Taxistand vor und winkt mir durch die Autoscheibe zu. Ich springe von der Mauer.

      „Ich geh dann mal.“

      Plötzlich springt der kleine Skater ebenfalls auf, drückt sich an mich, packt mich mit festem Griff und drückt seine kalten Lippen auf meine. Eine Weile mache ich mit, doch komme ich mir vor wie ein hilfloser Teenager. Also lasse ich ab, flüstere noch ein zartes „Ciao“ und drehe mich um.

      „Nach Hause?“, lächelt Georgius, als ich in seinem eierschalenfarbenen Benz sitze. „Ja, nach Hause.“

      Angezogen falle ich ins Bett, fahre Karussell und spüre, wie die Trunkenheit weicht. Mein Kopf fühlt sich weich an, Schmerz blitzt über meiner Stirn auf.

      Ich habe mir fest vorgenommen zu schlafen, bis mir die Knochen vom Liegen wehtun, doch meine Mutter macht mir einen Strich durch die Rechnung. Gegen elf jagt sie mich aus dem Bett, und ich streife mit Slatko durch den Wald. Der Tag verspricht beinahe scheiße zu werden, doch dann fällt mir alles wieder ein: Ben! Date! Drei Uhr! Ein Schmunzeln macht sich breit, und ich stapfe zurück zum Haus.

      Heute mag ich mich. Das ist ein seltenes Geschick, deshalb schlägt es sich auch prompt in meinem Äußeren nieder. Die Haare liegen locker-flockig, die Jeansjacke federt auf der Taille, ich fühle mich gut. So schreite ich in Richtung Bahnhof, wo Ben und ich um drei verabredet sind. Ich sehe ihn schon von Weitem. Er steht neben einer zerkratzen orangefarbigen Bank, auf der normalerweise zu jeder Tageszeit eine Oma mit Rolli oder Gehhilfe platziert ist, doch heute ist sie frei. Er unterhält sich mit einem braun gebrannten Typen, wippt aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. Neben ihm sieht der andere aus wie ein winziger Schokoladenzwerg. Ben trägt eine schlichte Jeans und ein Hemd mit, sagen wir, interessantem Karomuster.

      „Ben?“, hauche ich mit meiner flirty Stimme. Er reißt den Blick vom Südländer weg und schmeißt ihn zu mir. „Dana!“, presst er hervor.

      Er wirkt ganz hibbelig. Ein nasser Kuss auf die Wange folgt. „Gehen wir ein bisschen bummeln?“, frage ich grinsend.

      „Was auch immer“, haucht er. Hat er gekifft, um sich locker zu machen, ist er nervös, oder ist das einfach seine Art?

      Wir laufen den mit Kopfstein gepflasterten Weg hinunter in Richtung Innenstadt. Die Sonne fällt mir angenehm warm auf Kopf und Nacken. „Warst du dieses Wochenende beim Eishockey?“, frage ich, um das Eis zu brechen. Nicht dass es mich interessieren würde, aber ich kann mich erinnern, dass da irgendwas auf seiner Facebookseite stand, von wegen Wochenenden in Sonderzügen und Abenden auf der Fantribüne. Heute Mittag habe ich noch kurz im Internet recherchiert, wollte nicht gänzlich unwissend sein.

      „Ja! War super!“ Er lächelt mich schüchtern von der Seite an.