Unruhig wälzte er sich in der folgenden Nacht im Bett hin und her und überlegte, ob er seine kostbare Freiheit aufgeben und seiner Pflicht nachkommen sollte, für einen oder mehrere Stammhalter zu sorgen. Dann faßte er den Entschluß, Elaine zu seiner Gemahlin zu machen, da sie alle Voraussetzungen mitbrachte, die er sich nur wünschen konnte. Ihre Abstammung war der seinen ebenbürtig, und in der ganze Beau Monde gab es keine, die den Familienschmuck mit so viel Anmut tragen würde wie sie. Besonders der von ihm so sehr geliebte Saphir-Schmuck mit den tiefblauen, kunstvoll gefaßten Steinen, der selbst den der Königin an Schönheit und Kostbarkeit übertraf, würde Elaines Liebreiz noch unterstreichen.
Seinem Kennerblick war nicht entgangen, daß sie eine makellose Figur hatte und selbst in der schlichten Garderobe, über die sie verfügte, hinreißend aussah. Doch es war vor allem ihr schönes Antlitz, das alle Blicke auf sich zu lenken pflegte. Die blauen Augen und der sanfte Amorbogen ihrer Lippen übten einen überaus anziehenden Zauber aus.
Der Graf konnte dem Wunsch kaum widerstehen, diese verführerischen Lippen zu küssen, doch bisher war ihm nur ein Handkuß gestattet worden, und er wußte aus Erfahrung, daß ihm intimere Zärtlichkeiten erst erlaubt würden, wenn er ihr sein Herz zu Füßen gelegt und sie um ihre Hand gebeten hatte.
Doch als er sie am darauffolgenden Tag in ihrem Mietshaus in Islington aufsuchen wollte, erfuhr er, daß sie plötzlich aufs Land gereist sei, um ihren Großvater, den Herzog von Avondale, zu besuchen. Seine anfängliche Verärgerung darüber wich der Erkenntnis, daß es viel romantischer sein würde, ihr in der ländlichen Umgebung seinen Antrag zu machen, als in dem tristen Wohnzimmer des Mietshauses
So ließ er sich von seinem neuen rassigen Vierergespann in der schnellen Kutsche nach Avondale House bringen. Der Anblick des gelblackierten Phaetons ließ jedes Mädchenherz höher schlagen, und seine Verehrerinnen verglichen ihn schwärmerisch mit Apollo, der mit seinem Streitwagen himmelwärts flog und wie dieser die Dunkelheit der Nacht hinwegfegte. Dieses Kompliment hatte der Graf schon so oft gehört, daß er fast schon selbst daran glaubte. Selbst wenn Elaine noch nichts von Apollo gehört hatte, würde auch sie sich zweifellos von seinem großartigen Auftritt beeindrucken lassen.
Der Graf war im Grunde kein eingebildeter Mensch, aber er war sich seiner Vorzüge wohl bewußt. So konnte keiner seiner Clubkameraden die Zügel so geschickt führen wie er und schneller fahren oder besser reiten als er. Die Möglichkeit, daß Hampton aufgrund seines höheren Adelstitels das Rennen machen würde, erachtete er denn auch als gering. Er brauchte sich nur dessen häßliche Visage und plumpe Figur vorzustellen, um zu erkennen, daß ein Vergleich einfach lächerlich war.
In weniger als einer Stunde passierte er das Eingangstor von Avondale. Der Landsitz nahm sich in der wenig vorteilhaften Lage unscheinbar aus. Aber er beherbergt einen Herzog, dachte der Graf in einem Anflug von Spott.
Vorsorglich hatte er am Morgen einen Kurier losgeschickt, um Elaine zu vermelden, daß er sie zu besuchen beabsichtige. Als er nun vor der Säulenhalle vorfuhr, war er sicher, von Elaine bereits voller Ungeduld erwartet zu werden.
Zwei Lakaien in schlechtsitzenden Livreen, wie er sie bei seiner Dienerschaft niemals geduldet hätte, eilten die mit einem abgewetzten roten Läufer belegten Stufen hinunter, während sein Pferdeknecht vom Kutschbock sprang, um nach vom zu laufen und die Pferde am Halfter festzuhalten.
Der Graf ließ die Zügel langsam fallen und stieg ohne Hast aus dem Phaeton. Am Eingangsportal empfing ihn ein Butler mit tiefer Verbeugung. Ein Lakai nahm seinen Zylinder und die Handschuhe, und der Graf sah sich in der Eingangshalle um, die durch die verstaubten Bilder an den Wänden düster und muffig wirkte. Dann folgte er dem Butler in einen großen, mit Möbeln überladenen Salon, in dem sich zu seiner Verblüffung niemand befand.
Er war fest davon überzeugt gewesen, daß Elaine ihn hier erwarten und freudig begrüßen würde, wie er es von seinen Besuchen bei anderen jungen Damen gewöhnt war. Er hatte sich vorgestellt, daß sie ihm zu Ehren ihr hübschestes Kleid tragen und ihn, am anderen Ende des Zimmers stehend, erwarten würde, damit beschäftigt, Blumen in eine Vase zu ordnen. Sein Auftauchen würde ihr einen Freudenschrei entlocken, als sei sie völlig überrascht, dann würde sie ihn mit strahlenden Augen ansehen und auf ihn zulaufen, um sich in seine Arme zu werfen.
»Ich . . . hatte so gehofft, daß du kommen würdest, Darril!« würde sie hervorstoßen. »Ich . . . fürchtete schon, du hättest mich vergessen!«
»Wie könnte ich!« würde er erwidern.
»Ich liebe dich, Darril!« würde sie ihm mit vor Leidenschaft bebender Stimme zuflüstern. »Ich liebe dich.«
Ihre Lippen würden ihm verlangend dargeboten werden und ihr Körper sich an den seinen pressen, daß er ihren Herzschlag spürte.
All das war ihm so vertraut, daß er sich jedes Mal auf einer Bühne wähnte, wo er eine Rolle zu spielen hatte, die er mittlerweile perfekt beherrschte. Umso mehr verblüffte es ihn, daß Elaine seine Erwartungen in keiner Weise erfüllte, und nicht ohne Zynismus mußte er sich eingestehen, daß sie klüger war, als er angenommen hatte.
Fünf Minuten später betrat sie den Raum; sie hatte ihn lange genug warten lassen, um die Spannung zu erhöhen, jedoch nicht so lange, daß er verstimmt sein könnte.
Sie sah reizend aus in dem Kleid, das sie in der vorigen Woche schon einmal getragen hatte, das jetzt aber nicht mit rosa Bändern, sondern mit blauen verziert war. Ihr Haar war nach der neuesten Mode frisiert, aber so geschickt, daß es natürlich wirkte. Am Arm trug sie einen länglichen Korb mit frisch geschnittenen Rosen.
Einen Augenblick blieb sie auf der Schwelle stehen und sah ihn an.
»Tut mir leid, daß ich Sie warten ließ«,- sagte sie dann, »aber ich hatte Sie nicht so früh erwartet.«
Das klang zwar ehrlich, aber der Graf war erfahren genug, ihr nicht abzunehmen, daß sie tatsächlich im Garten gewesen war, um Rosen zu holen.
Elaine setzte den Korb auf einem Stuhl ab und begab sich zum Kamin, der mit bunten Blumen gefüllt war, die zur Farbe ihres Kleides paßten.
»Sie sehen bezaubernd aus«, sagte er leise.
Sie errötete nicht, sondern senkte nur scheu den Blick, wie es einem keuschen jungen Mädchen geziemte, aber es wirkte berechnend, nicht spontan.
»Es war sehr freundlich von Ihnen, die lange Fahrt auf sich zu nehmen, um mich zu besuchen«, sagte sie leise.
»Es war nicht weit«, erwiderte der Graf. »Eine Kleinigkeit für mein neues Gespann, das ich Ihnen bei dieser Gelegenheit gern vorstellen wollte.«
Am liebsten hätte er hinzugefügt, daß Hampton ein miserabler Fahrer war und zudem ein zweitklassiger Reiter, dem temperamentvolle Pferde nicht lagen. Doch jetzt war nicht der Augenblick, an Hampton zu denken; es galt, seine eigenen Interessen zu vertreten.
»Ich bin gekommen«,- sagte er mit tiefer, bewegter Stimme, »um Ihnen etwas mitzuteilen.«
Ihre blauen Augen sahen ihn fragend an.
»Was denn?« gab sie arglos zurück. »Hätte das nicht bis zu meiner Rückkehr nach London warten können?«
»Nein, eben nicht«, antwortete der Graf mit Nachdruck. »Zudem fand ich, daß die ländliche Umgebung, die Sie gewiß ebenso lieben wie ich, der geeignete Rahmen dafür ist.«
Ihre schönen Augen und die halb geöffneten Lippen wirkten so bezaubernd, daß er den Wunsch verspürte, sie zu küssen. Ganz sicher war er der erste Mann, der in diesen Genuß kommen würde.
»Ich wollte Sie fragen, Elaine«, fuhr, er fort, »ob Sie mich heiraten wollen.«'
Elaine riß erstaunt die Augen auf und sagte stockend: »Ich ... ich hatte keine Ahnung, daß Sie eine so starke Zuneigung zu mir hegen.«
»Aber genau so ist es.«
Er legte