Brown erklärte Bruno, dass Tyvis Pryor sein liebster und bester Schützling sei.
„Und Sie haben ihn in nur einer Saison wieder hinbekommen?“
„Ich will ja nicht prahlen“, sagte der Coach grinsend. „Aber er hat einen Notendurchschnitt von Zwei plus und ist gleichzeitig der beste Passgeber in seiner Liga geworden. Hat alle Rekorde gebrochen.“
Ungefähr an der Fünfzig-Yard-Linie sah Bruno einen kräftigen Jugendlichen mit langen Armen, stämmigen Beinen und einem eleganten Wurf.
„Ein Meter achtundneunzig, hundertfünf Kilo“, sagte der Coach. „Ich sag Ihnen, das ist der nächste Tom Brady. Und keiner will ihn sich auch nur anschauen.“
„Er ist ein JUCO-Kid, Coach. Natürlich guckt ihn sich keiner an. Wenn er wirklich so gut ist, dann schicken Sie ihn doch auf die FSU, die Florida State University, oder runter nach Florida. Die brauchen da einen Quarterback.“
„Aber er ist schon zweiundzwanzig und möchte eine Chance bei den Profis.“
Klar wollte er das. So wie jeder andere College-Student.
„Ihm ist aber schon klar, dass Aschenputtel ein Märchen ist, oder?“ Bruno verfolgte den Ball, der sich auf ein schmales Ziel zuschraubte.
Nachdem Bruno sich jetzt seit anderthalb Jahren abmühte, hatte er genau zwei Klienten unter Vertrag. Wenn er in dieser Rekrutierungsphase nur einen JUCO-Kandidaten unter Vertrag bekam, konnte er Sports Equity dichtmachen, und dann hätten Kevin Vrable und Brunos Vater recht behalten.
Dann wäre Bruno Endicott wirklich ein Nichts.
„Haben Sie gesehen, wie er den Ball zum Ziel gezwirbelt hat?“ Bruno schüttelte das Wort Nichts ab und konzentrierte sich wieder auf den Coach. „Er hat von der Fünfzig-Yard-Linie aus getroffen. Kommen Sie schon, geben Sie ihm eine Chance.“
„Ja, warum nicht?“, gab Bruno schließlich mit steifer Haltung und vor dem Oberkörper verschränkten Armen nach, während er Tyvis zusah.
Das gesamte Projekt hier strahlte irgendwie Verzweiflung aus. Kein Spielerberater, der auch nur einigermaßen bei Verstand war, hätte einen Spieler aus dem Junior College unter Vertrag genommen, denn das kam einem beruflichen Selbstmord gleich.
Doch wenn ein Vertrag mit Tyvis Pryor ihm das Wohlwollen von Calvin Blue einbrachte, des Spielers, den Bruno eigentlich haben wollte, dann würde er es vielleicht tatsächlich machen.
„Komm schon, Calvin, mach’s wie dein Freund und komm zu Sports Equity und dann bringen wir mal ein bisschen Leben in die NFL.“
In dem Moment blies der Coach in seine Trillerpfeife, winkte Tyvis zu sich an die Seitenlinie und rief: „Ich hab hier jemanden, den ich dir gern vorstellen möchte“, woraufhin der Quarterback vom Feld getrabt kam. „Das hier ist Bruno Endicott, der Spielerberater, von dem ich dir erzählt habe.“
Bruno begrüßte den Spieler mit einem Männerhandschlag und sagte: „Dein Kumpel Calvin lobt dich in den höchsten Tönen.“
Tyvis lächelte nur ganz kurz, aber es war ein echtes Lächeln. „Wir sind seit unserem ersten Jahr an der Florida State Freunde.“ Seine Stimme passte zu seiner Statur und seiner Spielweise – dröhnend, elegant und kontrolliert. „Er hat mir erzählt, dass Sie mal einer der Top-Spielerberater im Land gewesen sind und bei Watershed gearbeitet haben.“
„Einer der Top-Spielerberater bin ich immer noch.“ Angeberei half eigentlich immer. „Kennst du Jack Stryker? Luke Mays? Dustin Clever?“ Bei jedem der großen Namen aus der NFL bekam der Junge größere Augen und einen hoffnungsvolleren Blick. „Ich habe mit allen die Verträge ausgehandelt.“
„Das sind schon ein paar ernst zu nehmende Spieler.“
Bruno gab Tyvis seine Karte und sagte: „Ich habe jetzt meine eigene Agentur. Sports Equity.“
„Fernandina Beach, Florida?“, fragte der Junge erstaunt, als er die Visitenkarte las. „Wo ist denn das?“
„Ein bisschen außerhalb von Jacksonville.“ Jetzt stellte der Junge ihm schon die Fragen.
„Was ist denn an der FSU vorgefallen?“, fragte er Tyvis als Nächstes. Obwohl Coach Brown ihn schon aufgeklärt hatte, wollte Bruno Tyvis’ eigene Version hören.
„Könnten wir uns vielleicht auf den Weg zum Essen machen, Gentlemen?“, fragte der Coach und schlug Bruno mit der flachen Hand auf den Rücken. „Meine Frau macht die beste Lasagne, die Sie jemals gegessen haben, und mir läuft schon beim Gedanken daran das Wasser im Mund zusammen. Lassen Sie uns zu mir nach Hause fahren, dann können wir beim Essen weiterreden. Wann haben Sie denn das letzte Mal ein hausgemachtes Essen bekommen?“
„Lassen Sie mich nachdenken ... Welches Jahr haben wir noch mal?“, fragte Bruno grinsend.
Als Spielerberater war er ständig unterwegs und lebte aus dem Koffer, sodass er meistens aus Tüten oder Schachteln aß. Wenn er zu Hause war, kochte seine Mutter manchmal für ihn, aber ihr Job bei Mrs. Acker war ziemlich anstrengend und kochen gehörte nicht unbedingt zu ihren Prioritäten.
„Ab unter die Dusche, Tyvis, während ich Bruno deine Leistungsstatistik zeige.“
Der junge Mann nickte daraufhin und trabte Richtung Trainingshalle davon.
„Der Junge rennt immer“, sagte der Coach und deutete Bruno mit einer Geste, ihm in sein Büro zu folgen.
Trotz seiner Vorbehalte war Bruno von dem, was Tyvis auf dem Platz gezeigt hatte, beeindruckt. Der Junge war schnell, hatte gute Füße und werfen konnte er auch.
Wenn er vom richtigen College mit dem richtigen Coach käme, wäre Tyvis vielleicht tatsächlich ein Kandidat. Bei dem bisschen, das er an diesem Nachmittag gesehen hatte, war das schwer zu beurteilen, aber als Spieler von einem Junior College und dann noch mit einer problematischen Vergangenheit … Eigentlich sah Bruno für den Jungen keine Zukunft.
„Also, Bruno, was ist bei Watershed passiert?“, fragte der Coach, als sie das kleine quadratische Büro betraten, das mit Ausrüstungsgegenständen und Papieren vollgestopft war.
„Es gab Meinungsverschiedenheiten.“
„Gibt es denn überhaupt jemanden, der mit Vrable keine Meinungsverschiedenheiten hat?“, fragte der Coach und setzte sich. „Ich habe gehört, dass Ihre Mutter krank war.“
„Ja, sie hatte einen Autounfall. Sie hatte sich an zwei Stellen das Bein gebrochen und brauchte mich damals, Kevin nicht.“
„Und Sie sind wieder nach Hause gezogen, um sich um sie zu kümmern?“
„Ja, so in etwa“, sagte Bruno, um eine Antwort auf die Frage zu finden, wie acht Jahre bei Watershed damit enden konnten, dass Kevin ihn vor der gesamten Belegschaft von Watershed niedergebrüllt hatte.
„Du bist ein Nichts, Endicott.“
„Hier sind seine Leistungsstatistiken von der FSU und vom Junior College, also seine Zeit über vierzig Yards, seine vertikale Sprungkraft und seine Werte beim Bankdrücken … Aber sehen Sie selbst.“
Bruno nahm den Hefter und setzte sich auf den Stuhl, der am nächsten stand. „Und er will nicht erst ein Jahr an einem College mit einer Footballmannschaft in der ersten Liga spielen?“
„Wie gesagt, er ist mit zweiundzwanzig schon ziemlich alt und möchte es lieber gleich in der NFL versuchen. Für ihn heißt es: jetzt oder nie. Jedenfalls sieht er es so. Sie wissen ja wahrscheinlich, wie es ist, wenn man unbedingt eine Chance braucht.“ Dabei zog der Coach fragend die Augenbrauen hoch, als wollte er sagen: „Haben Sie mich verstanden?“
„Sie beide haben viel gemeinsam, wissen Sie das?“, fuhr der Coach fort.
„Tyvis und ich? Was denn zum Beispiel?“, fragte Bruno erstaunt.
„Sein