„Wir kommen aber mit, nicht wahr, Friedrich?“, sagte Julia. Der Kleine nickte.
„Dann schauen wir uns noch einmal Russlands schöne, neue Hauptstadt an, oder?“, kam von Frank.
„Hi, hi, hi!“, lachte Friedrich nur und rannte über die Wiese.
„Wer hätte je gedacht, dass wir einmal als freie Männer in unserem eigenen Land leben dürfen“, fügte Bäumer hinzu.
„Keine Geschichten vom Krieg heute. Den will ich vergessen“, murmelte Frank und schnappte sich auch eine Bierflasche.
„Nein, keine Sorge. Ich meinte ja auch nur“, erwiderte Alf. „Und? Wann seid ihr soweit?“, fragte Kohlhaas plötzlich. Er wandte sich Svetlana zu.
„Was du meinst, Frank?“, gab sie zurück und wirkte verdutzt.
„Wann kommen eure „Djeti“, Svetlana?“
„Diese Frage musste ja kommen!“, stöhnte Alf.
„Unser Kinder? Ich weiß nicht, aber ich hoffen bald“, antwortete die junge Russin lächelnd.
„Sie sind in Arbeit!“, meinte Bäumer.
„Das gehört auch zu Arturs großem Aufbauprogramm. Wir sollen uns vermehren“, blödelte Kohlhaas.
„Frank, du spinnst …“, sagte Julia erheitert. Alf verdrehte die Augen.
„Vielleicht habt ihr zwei ja auch bald so einen kleinen, süßen Fratz“, bemerkte sie und knuddelte ihren Sohn.
Alfred Bäumer zuckte mit den Achseln und erwiderte: „Es kommt, wie es kommt.“
Dann ließ sich der Hüne in seinen Liegestuhl zurücksinken und stieß ein lautes Schnaufen aus. Frank tat es ihm gleich. Sie genossen diesen herrlichen Nachmittag.
Artur Tschistokjow band nach und nach die gesamte Bevölkerung des Nationenbundes in sein politisches System ein und die von der Freiheitsbewegung beherrschten Medien Russlands erzogen das Volk ganz im Geiste des neuen Souveräns. Mit dem geplanten „Tag der russischen Einheit“, einer gigantischen, jährlichen Massenveranstaltung mit Paraden und Kundgebungen, sollten sich die Russen verschiedener Schichten und Berufe symbolisch verbrüdern und ihre Einigkeit unter dem Banner des Drachenkopfes demonstrieren.
Für dieses Spektakel hatte Tschistokjow extra ein eigenes Versammlungsgelände einige Kilometer östlich von Tula aus dem Boden stampfen lassen. Der für Paraden und Massenzusammenkünfte errichtete Platz und die dazugehörigen Straßen waren von Säulen aus Kalkstein im antiken Stil und diversen anderen Monumenten umgeben, was der Szenerie einen pompösen Eindruck verleihen sollte. Für den ersten „Tag der russischen Einheit“, der für Anfang September 2043 geplant war, rechneten die Veranstalter mit etwa einer Million Menschen.
St. Petersburg, die Hauptstadt des neuen Russland, sollte hingegen noch in diesem Jahr zum Schauplatz des „Tages der russischen Familie“ werden, womit Artur Tschistokjow den Lebenswillen seines Volkes neu zu erwecken gedachte. „Zuerst muss der Geist Russlands geheilt werden, erst dann wird alles andere möglich sein“, erklärte der Anführer der Rus und er ließ seinen Worten Taten folgen.
Von einer Umstellung der Lerninhalte in den Schulen und der Einweihung moderner Bildungsstätten für hochbegabte russische Kinder bis hin zur Errichtung neuer Minen und Bergwerke, widmeten sich Tschistokjow und sein Kabinett den vielfältigen Aufgaben des Wiederaufbaus ihrer gebeutelten Heimat.
Schließlich begannen einige Regionen Russlands und der Ukraine gewaltigen Baustellen zu gleichen, denn unermüdlich wurden Industriekomplexe, Agrarsektoren, Straßen und Gebäude errichtet. Riesige Schwärme aus Hunderttausenden von Arbeitern waren überall rund um die Uhr im Einsatz und bauten mit atemberaubender Geschwindigkeit.
Das neue Staatsoberhaupt des Nationenbundes verrannte sich geradezu fieberhaft in diese neuen Projekte und das Volk liebte ihn dafür. Artur Tschistokjow sah sich selbst gerne als den „großen Erbauer“. Immer wieder betonte er, wie sehr er hoffte, dass die Zukunft friedlich bleiben würde. Doch es war unwahrscheinlich, dass die Weltregierung auf Dauer tatenlos zusah, wie ein abtrünniger Machthaber sein Volk langsam immer mehr innerlich einte, es aufrichtete und wieder vermehrte.
Wenn der russische Staatschef auch nur einen Bruchteil seiner Pläne in die Tat umsetzen konnte und zusammen mit Japan weiterhin in fester Allianz gegen die Logenbrüder stand, dann war deren Weltherrschaft auf lange Sicht durchaus gefährdet. Zudem hatte Tschistokjow die Strukturen des weltweiten Geheimbundes in dem von ihm kontrollierten Gebiet gnadenlos zertrümmert. Sein Geheimdienst führte noch immer einen versteckten Feldzug gegen alle, die im Verborgenen gegen das russische Volk arbeiteten.
Inzwischen war es bereits August geworden und Frank kehrte mit Julia und Friedrich wieder aus St. Petersburg zurück. Artur Tschistokjow hatte ihm noch drei weitere Monate Auszeit gewährt und die Führung der Warägergarde seinem Stellvertreter übertragen.
Sie waren erstaunt gewesen, wie viel in Russlands neuer Hauptstadt inzwischen gebaut wurde. Ehrfürchtig hatten sie vor dem noch von zahllosen Gerüsten umgebenen, neuen Präsidentenpalast Tschistokjows gestanden. Ansonsten hatten sie ein paar entspannende Tage verbracht, sich an St. Petersburgs Sehenswürdigkeiten erfreut und das Leben genossen. Schließlich waren sie nach Ivas zurückgekehrt und Frank hatte mit Alf einige Renovierungsarbeiten in ihrem alten Wohnhaus durchgeführt.
Gestern war er von Wilden angerufen worden, dass heute Abend eine Reportage über ihn im westeuropäischen Fernsehen ausgestrahlt werden würde. Kohlhaas konnte sich denken, dass er mit keiner Lobeshymne zu rechnen hatte. Nachdenklich hatte er sich im Wohnzimmer seines alten Hauses niedergelassen und wartete auf den Beginn der Sendung …
„Frank Kohlhaas, auch genannt der „Schlächter von Nowgorod“, ist einer der berüchtigsten Schergen des russischen Diktators Artur Tschistokjow. Die Liste seiner Mordtaten ist lang und die Propaganda der Rus hat ihn immer wieder zum Helden stilisiert. In Wahrheit ist Kohlhaas jedoch nicht viel mehr als ein blutrünstiger Psychopath, der in unzählige Kriegsverbrechen und Massenmorde während des russischen Bürgerkrieges verwickelt gewesen ist. Schon vor Jahren wurde der General der gefürchteten Warägergarde, der Eliteeinheit Tschistokjows, vom internationalen Gerichtshof des Weltverbundes wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zum Tode verurteilt und vorgestern hat die Weltregierung erstmals einen Auslieferungsantrag an Russland gestellt.
Seit Kohlhaas im Jahre 2028 aus einer Nervenheilanstalt nahe Berlin ausgebrochen und in Osteuropa untergetaucht ist, ziehen sich seine Gewalt- und Mordtaten wie ein roter Faden durch seine Biographie.
Laut aktuellen GSA-Berichten stand der heutige General in engem Zusammenhang mit dem Bombenanschlag auf den ehemaligen Gouverneur des Verwaltungssektors Europa-Mitte, Leon-Jack Wechsler, im März 2029. Auch im japanischen Krieg hat er sich als Söldner Matsumotos einen traurigen Ruf erworben. Schließlich schloss sich Kohlhaas 2033 der sogenannten Freiheitsbewegung der Rus an, wo er sich seitdem als besonders skrupelloser Killer im Auftrag Tschistokjows einen Namen gemacht hat.
Heute ist Russland den Wahnvorstellungen seines neuen Machthabers schutzlos ausgeliefert und Leute wie General Kohlhaas sind mehr denn je federführend, wenn es darum geht, das verarmte Land mit Völkermord und Terror zu überziehen.
Die folgende Sendung versucht, den bedrückenden Werdegang der menschlichen Bestie Frank Kohlhaas zu rekonstruieren. Wir wünschen Ihnen nun gute Unterhaltung mit der folgenden Sendung aus der Reihe „Artur Tschistokjow und sein Schreckensregime“.
Verpassen Sie auch die nachfolgende Reportage „Thorsten Wilden – Der Vordenker der Finsternis“ nicht, in der EB-Network einen verstörenden Blick auf den russischen Außenminister werfen wird …“, sagte eine junge Nachrichtensprecherin.
Franks Konterfei erfüllte den Bildschirm. Düstere Musik ertönte und grauenhafte Bilder aus dem russischen Bürgerkrieg erfüllten den Fernsehbildschirm. Anschließend wurde ein altes Foto von Franks Scanchip gezeigt und eine Stimme sagte: „Dies ist einer der brutalsten Kriegsverbrecher des 21. Jahrhunderts. Seine Gesichtszüge wirken