Veränderungen im Allgemeinen und in Bezug auf die Frauen ergaben sich zunächst durch das Zuströmen von Jugendlichen aus breiteren Bevölkerungsschichten in die bürgerliche Jugendbewegung – u. a. die vor dem ersten Weltkrieg entstandenen Pfadfinder- (1909) und Arbeiterjugendgruppen (1903/4)34 (vgl. Giesecke, 1981, S. 38) – und den damit verbundenen Neugründungen von Bünden (vgl. Klönne, 1996, S. 261). Nur kurze Zeit später war es der Erste Weltkrieg (1914 - 1918), der wesentliche Veränderungen bewirkte. Die Begeisterungsfähigkeit der Wandervögel und Freideutschen wurde mit Kriegsausbruch 1914 in patriotische Bahnen gelenkt, was zur Folge hatte, daß sich Tausende der jungen Männer freiwillig an die Front meldeten (vgl. Klönne, 1990, S. 109). Bedingt durch die Verluste der Wandergruppenführer im Kriege „fiel den Mädchen eine große Aufgabe zu: Die Gruppen weiterzuführen“ (Mann in: „Frauengeschichten in der Jugendbewegung“, 1985, S. 166), wodurch sie auch führende Rollen in den Bünden übernahmen. Gestärkt durch allgemeine gesetzliche Veränderungen, wie zum Beispiel das Wahlrecht für Frauen, setzte auch eine Veränderung im Gesicht der Jugendbewegung ein. So wurde die soziale Arbeit zum neuen Schwerpunkt, und infolge der Kriegserfahrungen entstand eine Art Kriegsfürsorge (vgl. Musial, 1985, S. 20).
Geprägt von den Kriegserfahrungen und den sozialen und politischen Krisen in den zwanziger Jahren35, wandten sich die Jungen und jungen Männer in den verschiedenen Bünden von der „individualisierenden und romantischen Vielfalt des Vorkriegswandervogels ab, hin zum soldatisch-heroischen Männlichkeitsbild“ (Klönne, 1996, S. 262). Damit ging die Zeit des Wandervogels und der Freideutschen Jugend (1920/23)36 in die Phase der Bündischen Jugend über – die Zeit der Bünde bzw. „Orden“ begann. Diese waren straffer organisiert als die früheren Wandervogelgruppen und versuchten, bestimmte Werte bzw. Aufgaben für sich verbindlich zu machen. Disziplin statt Freiheit, Bindung statt Autonomie, Dienst an Volk und Staat (vgl. ebd., S. 266) und „Erneuerung des Volkes“ (Fischer, 1933, S. 238) hieß die neue Tendenz. In den Leitvorstellungen der Bünde, geprägt von der Rückbesinnung der Jugend auf die vorbürgerliche Gesellschaftsutopie der „Volksgemeinschaft“ (Frobenius, 1927, S. 280) bzw. Gemeinschaft der edlen Ritter37, die sich unbeirrbar und treu einer Aufgabe (Dienst am Orden, Volk oder Staat) verschrieben hatten, und von einer Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen (vgl. ebd., S. 279), bestand kaum noch Platz für die Mädchen (vgl. Giesecke, 1981, S. 104). Es dominierten nun die mädchenfreien Jungenbünde.
Hinzu kam die enorme Rezeption der Schriften Blühers (vgl. 3.1) in der Jugendbewegung, die den Männerheld und die Männerbünde sowie die Geschlechterpolarität stark betonten. In Blühers Schriften werden die weiblich Jugendbewegten als unzählige Gefahren für die männlich Jugendbewegten gedeutet. Von nun an sollten sich die Jugendlichen in geschlechtsspezifischen Gruppen nach ihren natürlichen „Eigenarten“ entfalten, wobei die Jungen und Männer in den Bünden sich zum Kämpfer und Helden, die Frau bzw. Mädchen indes zur Mutter und Dienerin entwickeln sollten (vgl. Andresen, 2003, S. 128,132) – zu „ihrer weiblichen Art und Berufung“ (Lütkens, 1925, S. 175). Die Richtung für die weibliche Jugendbewegung war nun deutlich vorgegeben: In den meisten Bünden der Jugendbewegung war nun die Trennung von den Mädchengruppen angesagt, sprich Geschlechtertrennung. Und das obwohl der Anteil der Mädchen und Frauen in der bürgerlichen Jugendbewegung inzwischen auf ca. ein reichliches Drittel der Gesamtzahl (ca. 9000 - 10 000)38 gestiegen war (vgl. Klönne, 1996, S. 262). Den Anfang machte der AWV im Jahre 1920, der die Mädchen in Abwesenheit ihrer Führerinnen auf ihrem Bundestag in Bad Sachsa, der deshalb auch als „Sachsa“ Vorfall bekannt wurde (vgl. Mancke/Wolf, 1961), ausschloß. Andere folgten.39 Im Zuge dieser ideologischen Veränderungen der Bünde nahm auch der Begriffsinhalt der Kameradschaft eine Wandlung vor. In der Bündischen Zeit bezeichnete er das sachlich orientierte Miteinander in gleichgeschlechtlichen Gruppen sowie der getrennten Gruppen untereinander (vgl. Musial, 1982, S. 156, vgl. 3.2), was bis zum Ende der historischen Jugendbewegung (1933) Bestand hatte.
Danach versuchten jene Mädchengruppen weiter zu existieren. So gab es von 1920 an z. B. den Altwandervogel-Mädchenbund, daneben den Jungwandervogel-Mädchenbund, den Wandervogel-Mädchenbund, um nur einige zu nennen (vgl. Musial, 1985, S. 23 ff). Diese Situation änderte sich mit der eher liberalen Deutschen Freischar, einem Zusammenschluß der Mehrheit der Wandervogel-Jungenbünde und Pfadfinderbünde 1926/1927, in dem Mädchengruppen offiziell wieder aufgenommen wurden bzw. dort eintraten (vgl. ebd., S. 134). Dort erfolgte jedoch bald ein Führungswechsel: Der deutschnationale Vizeadmiral a. D. von Trotha herrschte patriarchalisch über die Freischar und ihre Mädchen. Dabei bestand sein politisches Interesse, wie auch das anderer, darin, Mädchen und Frauen in der Jugendbewegung mit ihrer Mutterrolle in den Dienst des Volkes zu stellen (vgl. Andresen, 2003, S. 134 f). Ähnlich verstanden es auch die nationalen und politischen Frauengruppen – der Hagalbund e. V., Bund deutscher Mädchen und Frauen (1923), der Jungnationale Bund (vgl. 3.2), die Jungdeutsche Schwesternschaft innerhalb des Jungdeutschen Ordens und Neuland40 – als ihre Aufgabe, sich zum Dienst am Volk, der Familie, dem Beruf usw. zu verpflichten (vgl. Musial, 1985, S. 32 f).
Das Ende der Jugendbewegung sieht man im allgemeinen in der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. Diese lösten die Bündische Jugend auf, verhängten ein Verbot über sie und ersetzten sie durch die „Hitlerjugend“ (kurz: HJ) für die Mädchen des „Bund Deutscher Mädchen“ (kurz: BDM), (Klönne, A., 1987, S. 209). Bis zu jenen Zeitpunkt (1933) umfaßte die Bündische Jugend einschließlich der Pfadfinderorganisationen rund 60 000 Jungen und 17 000 Mädchen (vgl. Fischer, 1933, S. 234).41
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