Interaktives Lehren an der Hochschule. Bernd Sommer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Sommer
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783960082064
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als Hochschullehrer zu bewältigen suche, herauszuarbeiten.

      Die dabei gewonnenen Einsichten und Erkenntnisse sind nicht mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit verbunden. Dies ist nicht Zielsetzung des vorliegenden Bandes.

      Es werden vielmehr Geschichten aus meiner subjektiv wahrgenommenen Lebenswirklichkeit als Kind, als Heranwachsender und als Erwachsener erzählt, Geschichten, Anekdoten und anderes aus meiner Sicht Lesenswertes, was den Leser zum tiefergehenden Nachdenken über die angesprochenen Themen anregen soll.

       Lehrer-Vorbilder

      Jede/​r von uns hat Werte, Ideale, Illusionen, Vorstellungen, was Leben angeht. Wie diese entstanden sind bzw. sich im Laufe der Jahre verändern, ist ein schleichender, zu einem überwiegenden Teil unbewußt ablaufender Prozeß, dessen Anfang und Ende nicht klar zu bestimmen sind.

      Begegnungen mit Menschen sind bedeutende Stationen im Leben, gemeinsame Erlebnisse, gewonnene Eindrücke, Erfahrungen, Gefühle. All dies prägt uns in unserem Denken und Fühlen, und dies auf jeweils sehr individuelle Weise. Kein Mensch ist mit einem anderen zu vergleichen.

      Als ich 15, 16 Jahre alt war, bestanden meine Vorstellungen, was spätere Berufstätigkeit anging, aus drei Optionen: Mediziner, evangelischer Theologe, Lehrer.

      Hinsichtlich aller drei Berufe hatte ich echte Vorbilder, tatsächlich lebende Menschen, die ich kannte, denen ich im alltäglichen Leben begegnete, nicht über die Massenmedien verbreitete Idealvorstellungen.

      Der Nachbar meiner Eltern, Herr D., war Allgemeinmediziner und Hausarzt.

      Ich erinnere mich gut daran, wie er des öfteren nachts mit seinem Porsche zu Notfällen aufbrach.

      Er hatte nach aufregenden und hart bis unfair geführten Handballspielen in meiner Jugendzeit des öfteren das zweifelhafte Vergnügen, mich in den Abendstunden von Samstagen oder Sonntagen wegen zahlreicher Fingerbrüche und Verstauchungen medizinisch zu versorgen.

      Er hatte mir angeboten, dies im privaten Rahmen vorzunehmen. Ich brauchte also keinen Termin in der Arztpraxis, sondern ging auch zu vorangeschrittener Nachtstunde geradewegs ins Nachbarhaus hinüber. Herr D. versorgte mich und meine Verletzungen mit dem ihn auszeichnenden Gleichmut, er verlor, so zumindest meine Wahrnehmung, nie die Geduld - ein wahres Vorbild.

      Der ortsansässige Pastor Dr. A. war ein besonderer Mensch. Er übte auf mich eine anfangs nur schwerlich zu bestimmende Faszination aus. Vielleicht war es die Nähe zu Gott, die für mich, obwohl nicht im Glauben verwurzelt, spürbar war.

      Ich ging, und dies war ausschließlich der Verdienst des Pastors, als Jugendlicher sonntags regelmäßig in den Gottesdienst. Ich freute mich auf die Predigten, die mich intellektuell ansprachen und mich über den Sinn des Lebens nachdenken ließen.

      Pastor Dr. A. war gleichzeitig als Lehrender in Religion und Philosophie an dem dörflichen Gymnasium tätig, das ich besuchte. Ich habe vieles gelernt, über Weltreligionen, über bedeutende Menschen, auch über Möglichkeiten der Gestaltung schulischen Unterrichts, und dies obwohl Pastor Dr. A. kein Lehrer im eigentlichen Sinne war.

      Ich kann mich auch nach 40 Jahren gut erinnern an einzelne Situationen im Religionsunterricht der Unterprima.

      Pastor Dr. A. pflegte in der Regel ohne schriftliches Konzept, ohne ausgearbeitete Vorlage zu dozieren. Wir Schüler/​innen folgten ihm gebannt in seinen exzellent formulierten, rhetorisch ansprechenden Ausführungen.

      Gleichzeitig beobachteten wir das doch sehr eigentümliche Verhalten des Pastors beim Vortragen.

      Er saß vorn, am Pult, auf einem Stuhl, kippelte nach hinten, so daß er seinen Kopf auf der Schwammablage der Wandtafel ablegen konnte. Zudem hielt er die Augen geschlossen.

      Ob ihm dies einen besonders innigen Kontakt zu Gott ermöglichte oder ob dies seine ihm eigene Form der Konzentration ausmachte, wußte keiner zu deuten.

      Pastor Dr. A. war aufgrund seines Intellekts, der gepaart war mit einem unerschöpflichen Reservoir an menschlichem Einfühlungsvermögen und dem Wunsch, ja dem immer wieder wahrnehmbaren Drang nach verbalen Auseinandersetzungen gehobenen Anspruchs sowie aufgrund seiner eher unkonventionellen, unangepaßten Verhaltensweisen ein wirkliches Vorbild.

      Pastor Dr. A., so erzählte er mir in einem von mehreren Gesprächen im privaten Rahmen, war aus innerer Überzeugung Pastor geworden.

      Er war aufgewachsen in der Zeit des Nationalsozialismus und hatte sich entschlossen, seinen Beitrag dafür zu leisten, daß sich die Gräueltaten des diktatorischen Hitler-Regimes wie auch der in seinem Namen begangene Völkermord in der Geschichte der Menschheit nicht wiederholen dürften.

      Hier war für mich bereits als Heranwachsender eine Verbindung zwischen Beruf und Berufung wahrnehmbar geworden. Pastor Dr. A. war auch deshalb so überzeugend in seinem gesamten Auftreten, da sein Denken, Fühlen und Handeln eine Einheit bildete, die ich als Jugendlicher zwar intellektuell-kognitiv nicht fassen konnte, die dennoch deutlich spürbar war. Pastor Dr. A. war authentisch, er war belesen, er war von herausragenden intellektuellen Fähigkeiten, er war kommunikativ und stets für ein anspruchsvolles, tiefgehendes Gespräch offen. In der Summe machte dies die Faszination aus.

      Hinsichtlich des Berufswunsches Lehrer hatte ich als Schüler, der insgesamt 13 Jahre die Grundschule und darauf aufbauend das Gymnasium bis hin zum Abitur besuchte, reichlich und ausgiebig Gelegenheit, abschreckende und nachahmenswerte Vorbilder zu erleben.

      Bei intensivem Nachdenken über Schule und Lehrer/​innen fallen jedem von uns Beispiele ein, die auch nach Jahrzehnten noch im Gedächtnis abgespeichert sind.

      Vielfältige Einflüsse im Sinne von Personen und Vertretern/​innen von Institutionen wirken auf uns ein: Eltern, Familie, Geschwister, Freunde, Erzieherinnen, Lehrer/​innen, Trainer, Betreuer, Animateure.

      In dem angesprochenen Zusammenhang ist hier der Bereich der schulischen oder auch institutionellen Sozialisation angesprochen. Nicht fachlich geschrieben bedeutet dies: viele unterschiedliche Menschen begegnen uns in den wichtigen Entwicklungsphasen von Kindheit und Jugend. Sie prägen uns, stellen uns ein Bild von Wirklichkeit vor, das wir (noch) nicht hinterfragen, das wir noch nicht mit eigenen Erfahrungen füllen und überprüfen können. Dies wird Aufgabe von spätem Jugendalter und dem Erwachsenenalter sein. Aber wir haben uns auch bereits im Alter von 14 oder 15 Jahren verstärkt Gedanken um den Sinn des Lebens gemacht.

      Ich hatte als 15-Jähriger die Möglichkeit, in einem erlauchten Kreis von Honorationen meines Heimatortes, Bürgermeister, Lehrer/​innen, Mitgliedern des hiesigen Gemeinderates, dem Pastor, an einem regelmäßig stattfindenden Gesprächskreis teilzunehmen. Inhaltlich wurden hier existentiell bedeutsame Themen besprochen: Glauben, Gott, der Sinn des Lebens.

      Sowohl damals wie auch heute habe ich mich geehrt gefühlt, in diesem Kreis nachdenklicher Persönlichkeiten einen festen Platz eingenommen zu haben.

      Ich war der einzige Jugendliche, der in diese Runde berufen wurde, der ich zu den anstehenden Themen um meine jugendliche Perspektive gefragt wurde. Ich habe mich wahrgenommen und ernst genommen gefühlt. Das war eine besondere Situation, die, von heutiger Sicht betrachtet, in mir schlummernde Talente zum Vorschein brachte: die Fähigkeit zu intensivem Zuhören, zum Mitfühlen, zum Sich-Hineindenken, zum selbstkritischen Reflektieren, zum Austauschen, zum konstruktiven Diskutieren.

      Diese Ressourcen waren mir über schulischen Unterricht nicht bewußt geworden. In der Schule, zumindest in den höheren Klassen des Gymnasiums, war überwiegend das Ausprägen intellektueller Fähigkeiten angesagt. Musische, handwerklich-kreative und sportliche Anforderungen wurden auch gestellt, standen jedoch von Umfang und Bedeutung zumeist im Schatten der sogenannten Hauptfächer.

      Das Erlernen von Kritik-, Kompromiß- und Konfliktfähigkeit, das Bilden und Vertreten einer eigenen begründeten Meinung, das selbstkritische Nachdenken, wesentliche Bestandteile sozialer Kompetenzen, waren nicht gefragt.

      Unabhängig von den inhaltlichen Zielsetzungen schulischen