Jimmy war letztes Jahr ein paarmal hingegangen, aber er ließ Dad nicht gerne alleine am Freitagabend, der dann nur wieder auf seiner Anlage Frank Sinatra oder Bing Crosby hörte, die ihre Liebeslieder schmachteten. Das schien ihm irgendwie bemitleidenswert. Jimmy schüttelte den Kopf. Er verstand es einfach nicht. Dad mochte die Balladen, aber er machte nie einen Schritt Richtung Romantik.
„Werden Fred und Jean dort sein?“, fragte Dad, der sich auf den Weg zur Treppe machte.
„Wo sollten sie sonst sein?“ Jimmy strebte zur Küche, holte seine Jacke und glättete mit der freien Hand sein Haar. Unter dem anderen Arm hielt er immer noch den Ball. „Meinst du, die würden Clem zu Hause allein lassen? Mit einer Horde Footballspieler?“
„Schätze nicht.“ Dad machte einen Schritt die Treppe hoch. Seine Hand ruhte auf dem Geländer, sein Gesicht lag im Schatten. „Sei nicht wütend, Jimmy. Sei nicht wütend auf deine Mama. Du hast sie nicht gekannt. Sie war eine gute Frau.“
„Sie hat uns verlassen. Wie gut kann sie da sein?“
„Sie war … voller Leben. Ein Freigeist. Zu hübsch für ihr eigenes Wohl. Und klug.“ Kopfschüttelnd pfiff er. „Sie hätte aufs College gehen können, wenn sie nicht in anderen Umständen gewesen wäre.“
„Das war nicht mein Fehler.“ Er hatte die Geschichten gehört, wie Mama, die Jahrgangsbeste, am Tag ihrer Diplomübergabe schwanger war. Über den Sommer, in dem Mama ihr Collegestipendium aufgab, um Dad zu heiraten – dem ihr Vater wiederum die Pistole an den Kopf hielt.
„Nein, das war meiner. Mein Fehler.“ Dad verschwand auf der dunklen Treppe und machte sich nicht einmal die Mühe, das Flurlicht einzuschalten, als er oben angekommen war.
Jimmy war es egal, wessen Fehler es war. Und während er so gar keine Erfahrung mit dem Kindermachen hatte, war er sich doch ziemlich sicher, dass da immer zwei dazugehörten. Es war einfach nicht richtig, was Vera getan hatte: Dad sitzenzulassen und ihn so fertigzumachen. Und Jimmy zu verlassen.
Aber Dad sah die Schuld nur bei sich selbst. Diese Last ließ ihm gerade noch genug Herz dafür, arbeiten zu gehen und abends wieder nach Hause zu kommen. Sonst für nicht viel. Mit seinen fünfunddreißig Jahren war er ein alter Mann.
Nun ja, Jimmy hatte nicht vor, mit sechzehn ein alter Mann zu sein. Er flog aus der Küchentür und joggte zu Clem. Heute war sein Abend. Er würde ihn feiern, indem er mit Colette sprach. Er würde sich nämlich eher erhängen, als sich für ein Leben wie das seines Vaters zu entscheiden.
Und auf eine Frau zu warten, die niemals nach Hause kam.
Kapitel Sieben
JACK
In der Wohnung war es still und dunkel, als Jack eintrat, der sich nicht darum bemühte, leise zu sein. Aus Gewohnheit und mit einer geübten Handbewegung warf er seine Schlüssel auf den Tisch neben der Wohnungstür. Klappernd landeten sie auf dem alten, abgenutzten Holz.
Taylor hatte das Ding aus einem Sperrmüllhaufen an der Straße gerettet. Sie hatte vorgehabt, ihn „upzucyceln“. Sie sagte, er hätte Charakter, und wenn sie ihn erst bearbeitet hätte, würde der Tisch das Markenzeichen ihrer Wohnung werden.
Dennoch blieb der Tisch ramponiert und abgewetzt. Nicht einmal die Nachmittagssonne konnte das durstige Holz zum Schimmern bringen.
Jack ließ sich in den Clubsessel fallen, der dem offenen Kamin gegenüberstand. Der gedämpfte Lichterschein der Stadt reichte ihm als Beleuchtung.
Er fühlte sich unwohl. Nein, krank. Todkrank. Er streifte die Schuhe ab, lockerte die Krawatte und ließ sie zu Boden fallen. Dann schlüpfte er mit einem Schulterzucken aus der Jacke, knüllte sie zusammen und warf sie gegen den weißen gemauerten Kamin.
War er wirklich so naiv? Wie hatte er das denn nicht kommen sehen können? Er hatte nie auch nur eine Vermutung gehabt. Nie. Wie konnte sie nur?
Er stand auf und tigerte zur Balkontür. Er öffnete sie und trat auf den weiten, gekachelten Anbau hinaus. Die milde Nachtluft hauchte seinen kalten Knochen und seinen steinernen Gefühlen etwas Leben ein.
Betrogen. Er hasste es. Es gab nichts Schlimmeres. Nichts. Und dieser besondere Betrug schnitt ihm tief ins Mark.
Jack schlug mit der flachen Hand auf das glatte, kalte Geländer. Vor dem Hintergrund des Straßenlärms hörte man das leise Geräusch kaum. Irgendwo auf dem Fluss stöhnte das Horn eines Schleppdampfers. Und die Melodie der Lichter, die von der Skyline Manhattans aus Richtung Brooklyn strömte, verursachte lange, geschwungene Wellen auf der Wasseroberfläche.
Er hob die Hand und griff nach der Stadt – nach den Gebäuden, den Lichtern, der Brücke, den wimmelnden Straßen, dem Erfolgsversprechen. Es sollte doch alles so einfach sein. Streck die Hand aus, nimm, was du willst, und halt es fest.
Aber nein, er war doch Jack Forester. Wie konnte er das nur vergessen? Das Leben weigerte sich, ihn ganz einzulassen. Alles, was er wollte, wurde ihm weggerissen. Weg. Gerissen. Mit der Zeit. Keine Übertreibung. Er könnte ein verfluchtes Buch darüber schreiben.
Heute hatte er nicht nur einen Stammkunden von 105 verloren, Hops bedrängte ihn nach wie vor wegen London.
„Was machst du denn hier draußen?“ Taylors Stimme unterbrach ihn, ein weicher Meißel gegen den harten Fels seiner Gedanken.
Er sah hin, als sie durch die Tür auf den Balkon trat. Der Saum ihres Nachthemds streifte kaum ihren Beinansatz. Mann, sah sie gut aus mit ihrem wirren Haar, das ihr unordentlich über die Schultern fiel. Das geisterhafte Licht der Straßenlaternen berührte ihr Gesicht.
„Es ist spät. Du solltest schlafen.“
„Es ist nicht spät.“ Sie kam an seine Seite, stützte die Arme auf dem Geländer ab und hielt das Gesicht in die Nachtluft. „Es ist früh. Ein Uhr morgens. Wo warst du denn?“
„Arbeiten.“
An jenem Nachmittag, als er auf dem Weg zurück zu seiner Agentur auf der Straße in sie hineingerannt war, war er besorgt und abwesend gewesen, nachdem er mit einem Kunden gestritten hatte. Die Kälte und die wechselhaften Januarwinde stachelten seine Irritation nur weiter an.
„Hey, pass doch auf.“ Er versuchte, dem menschlichen Hindernis auszuweichen, das da um die Ecke der 67. bog, aber sie bewegte sich in dieselbe Richtung.
„Entschuldigung, ich habe nicht aufgepasst … Jack? Jack Gillingham?“
Als er in ihre königsblauen Augen sah, ließ seine Anspannung etwas nach. „Taylor Branson?“ Er umarmte sie, und als ihr Lachen sein Ohr küsste, verstummte das Grollen in seiner Brust. „Was machst du hier in New York City? Und es ist Forester. Gillingham war der Name meiner Pflegeeltern.“ Er trat zurück und ließ sie los, obwohl er das eigentlich gar nicht wollte, weil die Kälte sofort die Stelle an seiner Brust beanspruchte, wo er gerade noch ihre Wärme gespürt hatte.
„Ich wohne jetzt hier.“ Sie klopfte auf ihre Fototasche. „Ich bin im Juni von L.A. hierhergezogen.“
„Warum? Ist dir der Sonnenschein auf die Nerven gegangen?“
Wieder lachte sie, und sein Werbegehirn sagte ihm, er könnte Milliardär werden, wenn er nur den Klang ihres Lachens in Flaschen abfüllen könnte. „Ich habe einen Tapetenwechsel gebraucht. Ein Freund hat eine Reihe Aufträge klargemacht, und da habe ich mir das Auto gepackt und bin einmal durch