Die Hochzeitskapelle. Rachel Hauck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rachel Hauck
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783865069641
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spät. Er war ein alter Mann. Zu spät, um etwas wegen unerfüllter Träume zu unternehmen. Zu spät, um eine Liebe wiederzugewinnen, die längst verloren war. Zu spät für alles, das die Kapelle repräsentierte.

      Er, der Footballcoach, der es in die Hall of Fame gebracht hatte, hatte das Spiel des Lebens auf der Ersatzbank verbracht und darauf gewartet, in eine Partie eingewechselt zu werden, die nie begonnen hatte.

       Kapitel Sechs

      JIMMY

       September 1948

       Freitagabend unter dem Flutlicht

      Mit langen Schritten sprintete er auf die Endzone zu. Heißer Atem wirbelte unter seinem Helm hervor. Den Football hielt er fest gegen seine Rippen gepresst, seine Brust weitete sich mit jedem tiefen Atemzug.

      Er linste unter dem Helm zur Seite und sah das Publikum auf den Beinen, die Hände erhoben, der Jubel jedoch unhörbar, sein Puls übertönte alles. Noch zwei Schritte weiter, und er riskierte einen Blick nach hinten, wo er einen Verteidiger aus Bolton vermutete.

      Aber er stürmte allein über das Mittelfeld, kein Abwehrspieler in Sicht.

      Haha. Jimmy nahm Fahrt auf, verlängerte seine Schritte und … Touchdown!

      Das Brüllen der Menge ging ihm durch und durch. Zweihundert Volt menschliche Elektrizität. Er liebte jedes einzelne Kitzeln und Britzeln davon. Er donnerte den Ball auf den Boden, riss die Arme hoch und ließ den tiefsten, wahrsten, herzzerreißendsten Urschrei fahren.

      „Go, Rockets!“

      Von hinten traf ihn etwas Schweres, das ihn zu Boden warf. Jimmy hörte gerade noch Clems Stimme, bevor er unter einem Haufen Mannschaftskameraden begraben wurde, die ihm auf Helm und Schulterpolster klopften, durcheinanderschrien und lachten.

      Er hatte es geschafft. Den Siegtouchdown erzielt. Auf der Uhr waren nur noch zehn Sekunden übrig. Das hier, genau jetzt, war der Zauber eines Freitagabends unter dem Flutlicht. Möge er niemals enden.

      Die Pfeife des Schiedsrichters bereitete dem Freudentaumel ein Ende, und Jimmy kroch unter dem Stapel hervor. Er rannte zur Bank, während die Spieler des Special Teams sich für einen Zusatzpunkt aufstellten. Die Zuschauer jubelten, als der Ball zwischen den Pfosten hindurchsegelte.

      Coach Wilmer klopfte Jimmy im Vorbeigehen auf den Helm. „Gute Arbeit, mein Junge. Los geht’s, Defense. Haltet sie noch für zehn kümmerliche Sekunden auf. Meint ihr, ihr schafft das?“

      Jimmy nahm den Helm ab und sah nach, ob er auf den Zuschauerrängen seinen Vater finden konnte. Ein weiterer Grund, warum er die Footballsaison liebte, war, dass er die Beziehung zu seinem Vater vertiefen konnte. Der machte nicht viele Worte, weshalb die Tatsache, dass er kein Spiel verpasste, Bände sprach.

      Jimmy entdeckte ihn auf halber Höhe in der Mitte. Mit den Händen in den Taschen stand er da. Zigarettenrauch kräuselte unter der Hutkrempe hervor.

      Er erwiderte Jimmys Blick mit einem einzigen Nicken. Das war dann auch das Äußerste der Gefühle – Grunzen und Nicken. Dad behauptete, die Weibsbilder seien für den Weicheierkram zuständig, zum Beispiel dafür, die Väter anzustupsen, damit die ihre Söhne in den Arm nahmen und so was sagten wie: „Ich bin stolz auf dich, mein Sohn.“ Aber seitdem Mama abgehauen war, hatten sie keine Weibsbilder mehr zu Hause – außer Nana, die sonntags kam, um das Essen zu machen –, also packte Dad die Liebe in das Nicken und die Handschläge.

      Obwohl es da mal diesen unangenehmen Moment gegeben hatte, als Jimmy dreizehn war und Dad ihn dazu brachte, sich zu einem Gespräch mit ihm hinzusetzen. Jimmy wand sich, weil er dachte, Dad würde gleich mit den Bienen und den Blümchen anfangen.

      Stattdessen räusperte er sich und …

      „Ich werde dir das jetzt sagen, weil deine Nana mir deswegen in den Ohren gelegen hat. Also … ich liebe dich, du bist mein Sohn … und ich bin stolz auf dich. Das ist mir ernst, jetzt und für immer. Egal, was kommt.“

      Jimmy stürzte einen Becher Wasser hinunter und setzte sich ans Ende der Bank. Irre, welche Gedanken einem nach einem Touchdown durch den Kopf gingen. Da hatte die ganze Rennerei anscheinend sein Gehirn ein bisschen zu sehr aufgeschüttelt, sodass die Erinnerungen durchsickerten.

      Er trank sein Wasser aus, warf den Pappbecher in den Müll und feuerte die Abwehr an, als Bradley den Quarterback erwischte. Die Wildcats hatten keine Chance. Nicht, wo nur noch fünf Sekunden übrig waren und die Defense der Rockets unter Strom stand.

      „Westbrook, hier rüber.“ Clem winkte ihn zu sich und dem Rest der Mannschaft an die Nulllinie herüber.

      Auf dem Weg dorthin warf Jimmy noch einen Blick auf die Zuschauerränge und blieb abrupt stehen, als er sie sah. Sie ging gleich auf der anderen Seite des Maschendrahtzauns vorbei. Sie lachte, und ihr Haar glänzte im Licht des Stadions.

      Clems Cousine. Das Mädchen von dem Foto. Er hatte sie am Tag ihrer Ankunft gesehen, als sie mit ihrer Schwester ins Haus der Clemsons eingezogen war. Aber Dad hatte ihn zur Arbeit verdonnert, daher hatte Jimmy keine Zeit gehabt, anzuhalten und sie richtig in Heart’s Bend zu begrüßen.

      In der Schule erfuhr er ihren Namen. Colette. Der schönste Name, den er je gehört hatte. Und in den letzten drei Wochen war er immer wieder an ihr vorbeigelaufen, in den Fluren, nach dem Essen, auf seinem Weg zum Matheunterricht. Er sagte Hi, aber sie hielt ihren Blick gesenkt und ihre Bücher fest im Arm.

      Clem sagte, sie seien so still wie kleine Mäuschen, Peg und Colette, und doppelt so traurig.

      „Die Armen, die haben im Krieg alles verloren. Erst ihre Mutter in der Luftschlacht um England. Dann ihren Vater in der Luftschlacht um Berlin. Der wurde abgeschossen.“

      Kurz bevor sie die Treppe zur Tribüne hinaufging, drehte sie sich um und sah ihn direkt an. Als wären sie Liebende auf einer Kinoleinwand. Jimmys Herz klopfte lauter und schneller als vorhin, als er zum Touchdown gesprintet war. Sofort überkam ihn der Wunsch, noch einen Touchdown zu machen, extra für sie.

      Der letzte Pfiff ertönte, und die Fanfare dröhnte in der kalten Abendluft. Das Spiel war beendet. Die Rockets hatten gewonnen!

      Jimmy schnappte sich seinen Helm und rannte in die Kabine. Alle Gedanken an sie schob er beiseite und zwang sich, sich im Sieg seiner Mannschaft zu sonnen. Feiere!, sagte er sich selbst. Hör auf, ein Mädchen anzuschmachten.

      Der Coach stand auf einer Bank und lenkte mit einem schrillen Pfiff die Aufmerksamkeit auf sich. Den Ball in seiner ausgestreckten Hand haltend, sagte er: „Game Ball: Jimmy Westbrook. Der beste Lauf, den ich seit langem gesehen habe. Weiter so.“

      Die Jungs explodierten, jubelten, ihre Stimmen echoten von den Wänden: „Jimmy … Jimmy … Jimmy.“

      Er grinste und wich seinen Freunden und ihren rabiaten Rückenklopfern spielerisch aus. Er hatte den Game Ball verdient! Da würde Dad vielleicht doch noch ein Knopf vom Hemd springen.

      Weniger als eine halbe Stunde später war er geduscht und umgezogen. Seine dreckigen Sachen steckten in der Sporttasche. Der letzte Spieler war schon raus aus der Umkleide. Jimmys großer Abend war vorbei. War Geschichte.

      Er war der Letzte, der rausging, löschte das Licht und machte sich auf den Heimweg, einer Brise entgegen, in der sich der Duft des Spätsommers mit dem des nahenden Herbstes vermischte. Mondlicht erhellte auch die dunkelsten Schatten.

      So gut er konnte, hielt er sich an seinem Triumph fest, wie er den Ball fest im Arm hielt. Er wollte irgendetwas tun, irgendwohin gehen.

      Er war noch nicht bereit dafür, den Abend für beendet zu erklären. Aber Moment um Moment verstrich er einfach. Die anderen