Wiener Wahn. Edwin Baumgartner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Edwin Baumgartner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Культурология
Год издания: 0
isbn: 9783532600740
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nur der Ferdinand, auch etliche der anderen Kaiser sind G’spritzte27 gewesen.

      Jetzt wett’ ich mit Ihnen um einen Apfelstrudel, den ich hier sehr empfehlen kann, dass Sie an die Habsburger denken. Recht so. Wenn es heißt: „österreichische Kaiser“, hat jeder ein Bild vom Franz Joseph vor Augen und von der Maria Theresia, obwohl die ihr Leben lang nur eine Erzherzogin gewesen ist. Der Kaiser, das ist ihr Mann gewesen, der Franz I. Stephan, ein Lothringer. Genau genommen, ist damit die Linie der Habsburger-Kaiser unterbrochen. Aber wenigstens ist eine Habsburgerin die Frau vom Kaiser gewesen, gerade so, wie eine Frau von einem Arzt in Wien eine Frau Doktor ist, sogar dann, wenn sie selbst was ganz Anderes studiert hat, meinetwegen Architektur, womit sie eine Frau Diplomingenieur wäre, oder Altphilologie, was sie zu einer Frau Magister machen würde. Aber wenn sie einen Arzt heiratet, ist sie eine Frau Doktor. Grad so ist die Maria Theresia eine Kaiserin gewesen.

      Jo, eh, die Lektorin meines Vertrauens sagt auch immer, ich soll darauf nicht gar so herumreiten, grad heute geht es doch um Gleichberechtigung, was ich ja gut finde, aber ich kann deshalb doch, und wenn ich es noch so möchte, eine Erzherzogin nicht zu einer Kaiserin machen, nicht einmal dann, wenn sie selber sich so gefühlt hat und die Geschichte eher sie verzeichnet als ihren Mann.

      Nach dessen Tod ist ihr Sohn Kaiser geworden. Jetzt hat die Dynastie halt Habsburg-Lothringen geheißen. Merken Sie was? „Habsburg“ steht an erster Stelle, obwohl der Franz Stephan gerade nach damaligem Verständnis zuerst kommen hätte müssen, und der ist, wie ich Ihnen gerade erzählt habe, ein Lothringer gewesen. Da hat’s also doch sowas Ähnliches gespielt wie Gleichberechtigung. Aber kommen wir zum Sohn von der Erzherzogin Maria Theresia und ihrem kaiserlichen Gemahl – der, der Sohn, meine ich, war nämlich ein rechter Spinner.

      Dabei gilt der Joseph II.28 als der große Reformer unter den Kaisern. Das ist er bestimmt gewesen. Er hat keinen Stillstand geduldet. Selbst ist er inkognito als „Graf von Falkenstein“ in der Kutsche durch Europa gereist und hat sich angehört, was die Probleme der Menschen sind. In seinen Verordnungen hat er sich strikt an der Nützlichkeit orientiert. Zum Beispiel: Sind religiöse Auseinandersetzungen nützlich oder schaden sie dem Zusammenleben aller? – Also Religionsfreiheit. Oder: Was bringen Folter und Todesstrafe? – Ergo schafft er beides ab29. Wer produziert mehr und besser: Ein Bauer, der auf eigene Verantwortung arbeitet, oder ein Leibeigener? – Also weg mit der Leibeigenschaft.

      Soweit ist alles bestens. Aber mit den Auswüchsen seiner Kontrollsucht sind die wenigsten zurechtgekommen. Ich meine: Es ist ja schön, wenn sich der Kaiser höchstpersönlich um die Einzelheiten der Staatsgeschäfte kümmert, aber muss er gleich auch die Zahl der Kerzen regeln, die bei einem Gottesdienst entzündet werden? Den Komponisten hat er untersagt, lange Messen zu schreiben. Das mutwillige Schreien und Händeklatschen auf der Gasse hat er per Gesetz verboten, er hat bestimmt, wieviel Petersilie in der Küche von Schloss Schönbrunn verbraucht werden darf, und er hat sich für straffällig gewordene Adelige eine besondere Buße einfallen lassen: Sie mussten die Straße kehren. Obendrein hat er für die Theater angeordnet, dass kein Stück ein tragisches Ende haben darf. William Shakespeares „Romeo und Julia“ beispielsweise endet mit dem Wiener Schluss in einer fröhlichen Hochzeitszeremonie. Schmähohne.

      Sogar die Art des Begräbnisses hat der Kaiser geregelt. Natürlich ist es ihm auch da um die Nützlichkeit gegangen. Der Körper soll schnell verwesen. Ein Sarg ist da nur hinderlich, und außerdem ist es eine Verschwendung, eine Truhe einzugraben, die könnte man schließlich mehrfach verwenden. Ergo schreibt der Kaiser Joseph den Sparsarg vor, der nach ihm auch Josephinischer Klappsarg heißt. Das ist eine Truhe, deren Boden aus einer Klappe besteht. Der Leichnam wird, in ein Tuch gewickelt, hineingelegt, zum Grab transportiert, der Sarg wird über das Grab gestellt und die Klappe betätigt. Schon plumpst der Leichnam in die Grube. Die Klappe wird geschlossen und der Sarg wartet auf seinen nächsten Benützer. Sie können sich denken, was in Wien los gewesen ist, wo vielen eine „scheene Leich“30 mehr zählt als ein schönes Leben. Am 23. August 1784 hat der Kaiser die Verordnung erlassen, am 27. Jänner 1785 hat er sie wieder zurückgenommen. Richtig grantig ist der Kaiser da gewesen – warten Sie, das muss ich Ihnen wörtlich vorlesen: „Da ich sehe und täglich erfahre, daß die Begriffe der Lebendigen leider noch so materiell sind, daß sie einen unendlichen Preis darauf setzen, daß ihre Körper nach dem Tode langsamer faulen und länger ein stinkendes Aas bleiben: so ist mir wenig daran gelegen, wie sich die Leute wollen begraben lassen; und werden sie also durchaus erklären, nachdem sie die vernünftigen Ursachen, die Nutzbarkeit und Möglichkeit dieser Art Begräbnisse gezeigt habe, ich keinen Menschen, der nicht davon überzeugt ist, zwingen will, vernünftig zu seyn, und daß also ein jeder, was die Truhen anbelangt, frey thun kann, was er für seinen todten Körper zum Voraus für das Angenehmste hält.“

      Es kommt aber noch grotesker: Der Kaiser hat befunden, dass Pfeffernüsse31 schädlich seien und sie deshalb verboten. Das ist so eine Art Wiener Pfeffernuss-Prohibition gewesen. Obendrein hat er sich vor Farbe im Gesicht geekelt. Deshalb hat er darauf gedrängt, dass sich die Hofdamen nicht schminken, und er hat Harlekine verabscheut.

      Auch seinem Neffen und Nachfolger, dem Franz I.32, hat er mit seinem ewigen Tadel das Leben so schwer gemacht, dass der Franz sich lieber in Gesellschaft von Blumen aufgehalten hat, weil die nicht die ganze Zeit motschkern33. Seine Leidenschaft für alles Pflanzliche hat dazu geführt, dass er liebend gerne mit der Gießkanne in der Hand unterwegs gewesen ist, Unkraut gejätet und Rosen beschnitten hat. Er hat höchstderoselbst einen Garten gestaltet und ihn 1823 für alle Bürger geöffnet. Seither heißt er Volksgarten – und er schaut heute noch so aus, wie seine Majestät es für gut und richtig befunden hat. Auf dem Gelände von Laxenburg hat er einen künstlichen Teich anlegen lassen mit einer Insel in der Mitte, auf der hat er ein Kitsch-Schloss errichtet. Dann hat er sich ans Ufer der künstlichen Insel gesetzt und nach Dingen geangelt, die er zuvor selbst in den Teich geworfen hat.

      Außerdem hat der Kaiser Franz sehr gerne Geige gespielt, nur leider nicht gut. Partout hat er im Quartett des Badener Bürgermeisters Johann Nepomuk Trost mitspielen wollen. Kann man einem Kaiser sein Begehr verweigern? Aber der Trost hat den Kaiser an die Zweite Geige gesetzt. Seine Majestät soll gegrantelt haben: „Aber in Wien spiel ich die Erste Geige.“

      Über den Rudolf II.34 sollte ich eigentlich nichts erzählen – nicht, weil es nichts zu erzählen gäbe, sondern, weil er zwar ein ganzer Kaiser, aber kein richtiger Wiener gewesen ist. Das heißt: Geboren ist er in Wien, aber 1583 hat er seine Residenz nach Prag verlegt. Als Grund wird immer angegeben, dass er das Volk und den Adel Böhmens enger an das Reich binden hat wollen. Wissen Sie was? – Ich glaub’ das nicht. Ich bin überzeugt, es ist ihm um etwas Anderes gegangen. Prag hat damals als eine Stadt der Magie gegolten. Es ist die Stadt, in der Rabbi Löw 1580 den Golem geschaffen haben soll. Prag ist ein mystischer Ort gewesen, eine Stadt der Alchemisten, der Magier und Sterndeuter. Genau das hat den Rudolf fasziniert. Kaum ist er in Prag gewesen, hat er alle Künstler und Wissenschaftler geholt, die ihm etwas Geheimnisvolles bieten haben können. Da sind Astronomen darunter gewesen wie Tycho Brahe und Johannes Kepler, aber auch der Londoner Magier John Dee, der für seine Gespräche mit Engeln die henochische Sprache entwickelt hat. Und dann – bitte, schauen Sie sich einmal die Gemälde vom Giuseppe Arcimboldo an: Der hat sich zwar nicht erst für den Kaiser Rudolf seine eigenartigen Porträts einfallen lassen, in denen er Gesichter aus Früchten, Gemüse, Meerestieren, Blumen und Blättern zusammensetzt. Doch in Prag ist der Arcimboldo so richtig aufgeblüht. Er hat sogar ein Portrait des Kaisers gemalt, genannt Vertumnus, der Gott der herbstlichen Ernte, bestehend aus Gemüse, Obst und Blumen. Da steckt natürlich die Symbolik der Fruchtbarkeit und des Erntesegens drin, der Kaiser sorgt dafür, dass es allen gut geht. Auf mich jedoch macht das Bild einen irgendwie beunruhigenden Eindruck. Der Kaiser schaut so gar nicht gütig aus seinen Augenweichseln und seine Mundkirschen haben etwas Ungutes. Der Rudolf hat den Arcimboldo obendrein mit dem Bau von mechanischen Apparaten beauftragt, er hat Wunderdinge aus aller Welt gesammelt, je absonderlicher, desto besser, Tiere von seltsamem Aussehen, Korallen, eigenartige Steine und bizarre Kunstobjekte. Die ganze Versenkung ins Absonderliche hat dem Gemüt des Kaisers geschadet. Er hat panische Angst gehabt, vergiftet zu werden und hat sich einen magischen Pokal anfertigen lassen, der alle üblen Substanzen neutralisiert. Depressionen hat