Berichte der Hofbauverwaltung, später der Preußischen Schlösser- und Gartenverwaltung über die „Gebrechen“ am Oktogon waren Legion.9 Die zu bewältigenden Aufgaben stuften die Verantwortlichen stets und beinahe schon gewohnheitsmäßig als dringlich ein, aber nicht immer gingen die notwendigen Sanierungsmaßnahmen mit gebotener Zügigkeit voran, sei es aus Mangel an Geld, sei es aus Mangel an Interesse von Seiten des jeweils regierenden Monarchen. Grundsätzlich besser wurde die Situation selbst dann nicht, als nach der ‚Verfassungsrevolution‘ von 1830/31 die Stände in Budgetfragen ein Mitsprache- und Bewilligungsrecht hatten und mehrfach ihre Bereitschaft bekundeten, sich – obwohl nicht dazu verpflichtet – an der Finanzierung zu beteiligen, was freilich haushaltspolitische Finten und Volten des Monarchen oder der Deputierten in der Kammer keineswegs ausschloss, insofern das tiefe Misstrauen, das die Verfassungsorgane gerade im Feld der ohnehin begrenzten parlamentarischen Mitwirkungs- und Kontrollrechte gegeneinander hegten, sich auch hier zu Gehör brachte.10
Im Januar 1847 beklagte die Hofbau-Direktion, dass eine „Fortsetzung der Herstellungsarbeiten am Oktogon“ abermals in „ungewisse Ferne“ gerückt sei.11 Ähnlich klang, was Hofbaumeister Dehn-Rotfelser 1863 notierte. Zwar sei 1851 eine Berechnung der Kosten für notwendige „Restitutionsarbeiten“ vorgelegt und bewilligt worden. In den verflossenen zwölf Jahren aber habe sich nichts bewegt, „so daß die schadhaften“ Bereiche am Oktogon „schutzlos den zerstörenden Einflüssen des Wetters preisgegeben waren“, was den Zerfallsprozess erheblich beschleunigt habe.12 Teils wurden kleinere, teils größere Summen veranschlagt und verausgabt, Kostenpläne, Gutachten, Vorschläge und dringliche Mahnungen lösten einander ab, dauernd wurden Löcher gestopft, hangelte man sich von Provisorium zu Provisorium, die Aussicht jedoch, den vorhandenen und immer aufs Neue ans Tageslicht drängenden Probleme und Misshelligkeiten endgültig abhelfen zu können, war und blieb gering. Auch wurde durch die fortwährenden Erhaltungs- und Erneuerungsarbeiten die „ursprüngliche Gestalt und Wirkung des Denkmals“ erheblich beeinträchtigt.13 Dass die Öffentlichkeit daran lebhaften Anteil nahm, zeigen die Debatten in der Ständeversammlung, illustriert aber auch ein Eintrag im Piererschen Universal-Lexikon, das 1836 vermerkte, es sei schade, „daß die großen Kaskaden nicht mehr im Gange“ seien: „Das ganze Werk ist in das Stocken geraten, so wie auch das Oktogon sehr baufällig geworden ist, Reparaturkosten aber sind so bedeutend (man versichert über 150.000 Thaler), daß wohl zu befürchten ist, daß jenes Werk bald nur noch eine Ruine sein wird, welche die Größe des einstigen Ganzen andeutet.“14
Knapp 100 Jahre später, im August 1930, als sich bereits die negativen Wirkungen der Weltwirtschaftskrise abzeichneten, die in Deutschland eine tiefe Krise des politischen und sozialen Systems auslöste, meldete das „Kasseler Tageblatt“, der „große Christoph“ sei „in Nöten“. An ihm nage „gemächlich“ der „Zahn der Zeit“: Zweihundert „Winter und Sommer mit ihrer Kälte und Wärmeerscheinungen [so!] haben dem Mauerwerk hier und da Wunden geschlagen, die nicht übersehen werden dürfen.“ Gefordert sei der preußische Staat, den man an seine Pflichten erinnern müsse. Um dem Nachdruck zu verleihen, lud der Wehlheidener Bürger-Verein zu einer Begehung ein, an der sich circa 30 Interessierte beteiligten, neben Repräsentanten der verschiedenen Kulturvereine, darunter des Vereins für Natur- und Heimatschutz, einige Angehörige der Schlösser- und der staatlichen Bauverwaltung. Im Ergebnis wurde eine Kommission gewählt, die „Mittel und Wege finden“ sollte, „um die Fortführung der Instandsetzungsarbeiten zu gewährleisten.“15 Tatsächlich bereitete der Zustand des Oktogons auch dem Direktor der staatlichen Schlösser und Gärten „schwere Sorgen“, die „Schäden“ seien „wesentlich ernster“ als bisher angenommen. „Ich glaube nicht betonen zu müssen“, fügte er hinzu, „daß der Herkules nicht einfach als Ruine seinem weiteren Schicksal überlassen werden kann, denn ein solches Verhalten würde im ganzen Hessenland den denkbar ungünstigsten politischen Eindruck hervorrufen.“ Schließlich hänge die Bevölkerung sehr an „ihrem Wahrzeichen“.16
Dies war die Maxime auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Vom „Patienten Herkules“ war die Rede17, er sei ein „wackliger Riese“18, habe gar „nasse Füße“19, so oder so ähnlich lauteten die Meldungen in der lokalen Presse. Die Komplexität der Aufgaben, die auf die mit der Sanierung beauftragten Ingenieure, Statiker und Handwerker warteten, wurde in handliche Bilder übersetzt, dabei nicht selten das Können der Bauleute mit dem aufzubringenden finanziellen Aufwand verknüpft. „Seit 50 Jahren erhält“ der Herkules, schrieb im April 1983 die „Hessische Allgemeine“, „ungezählte Spritzen aus Spezialmitteln, allein von 1951 bis 1971 wurden elf Millionen Mark investiert.“20 An die Bausünden aus den Anfängen erinnernd, titelte die Zeitung 1985: „Landgraf sorgte für ein Dauer-Bauprogramm am Herkules.“21 Zwei Jahre später sah man „keine Gefahren mehr in der Unterwelt“, will sagen: Der kranke Herkules sei als „geheilt entlassen“, freilich nur im Blick auf den ihn tragenden „Untergrund“, und das wiederum hieß, er „sollte weiter unter Beobachtung bleiben.“ Schuld daran seien die „Schlampereien“ des Erbauers Guerniero.22 Immerhin brachten die Arbeiten einem der Beteiligten akademische Würden ein, was die Kasseler Presse mit Stolz vermeldete. Der Ingenieur Helmut Sander nämlich, der zwischen 1951 und 1971 die Arbeiten am Monument geleitet hatte, wurde an der Technischen Universität Berlin mit einer Studie über das „Herkules-Bauwerk“ promoviert, die sich als Beitrag zur „Geschichte der Denkmalspflege“ und der sich in diesem Feld wandelnden „Methoden und Ziele“ verstand.23