Bube, Dame, König. Fabian Vogt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fabian Vogt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783865064486
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Reiz durch kleine rote Vögel, die in jedem dritten Muster auf der Ranke sitzend von der jeweils daneben liegenden Blüte kosteten. Der feine Pinselstrich und die Natürlichkeit der Motive verliehen der Wand so intensive Konturen, dass der Betrachter sich in das Bild hineingezogen fühlte.

      Verblüfft starrte Lord Kilmarnok auf die lebhafte Fläche. Dann aber glitt sein Blick an der Frau herab. Sie trug nur ein beigefarbenes Korsett, auf dem die gewellten dunklen Haare ihrerseits ein mäanderndes Muster bildeten. Zwischen den Schnüren, die den Rücken einsperrten, blitzte hell die Haut hervor. Die Beine aber steckten in einer Männerhose. Da der Adlige noch niemals ein weibliches Wesen in Hosen gesehen hatte, war er einen Augenblick lang unsicher, ob er tatsächlich eine Frau vor sich hatte. Dann aber drehte sich die Dunkelhaarige um und sein Blick fiel auf ihr Dekolleté. Mit einer neckischen Geste strich sie sich die Haare aus dem Gesicht und lächelte das kleine Mädchen aufmunternd an. Dann erst wandte sie sich dem Eindringling zu. Belustigt über sein verwirrtes Gesicht, fragte sie: »Könnt Ihr nicht klopfen?«

      Offensichtlich besann sich der Mann schnell auf sein Vorhaben, denn er sagte mit befehlsgewohnter Stimme auf Deutsch: »Wo ist er?«

      Die Frau legte den gerade aufgenommenen Papierbogen zur Seite, wischte ihre verklebten Hände an der Hose ab und zog die Augenbrauen zusammen. Sie musterte den erregten Mann miss trauisch. Ein lauernder Zug erschien auf ihrem Gesicht und verlieh ihr etwas Katzenhaftes. Sie flüsterte eindringlich: »Schascha, komm her!« Dann hob sie fragend die Hand: »Wer seid Ihr?«

      Ohne auf die Frage zu antworten, zog Lord Kilmarnok seine Pistole aus dem Gürtel und richtete sie auf die Frau: »Ich will wissen, wo er ist.«

      Das kleine Mädchen schniefte heftig, klammerte sich noch fester an die Frau, als wolle es eins mit ihr werden, und rührte sich nicht mehr. Nur das Knarren der Dielen durchbrach die Stille. Wortlos starrten die Frau und der Mann einander an. Da ließ eine ruhige Stimme von der Treppe den Lord herumfahren: »Ihr wollt Geld? Vergesst es! Es ist keines mehr da! Ihr kommt zu spät.«

      Gemächlich stieg die bisher verborgene Gestalt die Stufen hinunter. Nach und nach wurde im Licht der Lampen der aus gemergelte Körper eines alten Mannes sichtbar. Endlich tauchte auch sein Gesicht aus dem Schatten auf. Zwischen den Strähnen des Bartes lugten volle Lippen und runde Wangenknochen hervor, die ihm etwas von einem grau gewordenen Hamster gaben. Die dichten Brauen stachen wie kleine Gebüsche aus dem frisch gepflügten Feld der Stirnlinien hervor. Die dunklen Augen aber schauten herausfordernd auf den Edelmann, an dessen Hals ein Muskel zuckte.

      Ohne ein Wort zu sagen, schwenkte Lord Kilmarnok seinen Arm herum, so dass die Mündung der Waffe auf den Greis zeigte, spannte den Hahn und drückte ab.

      Der schrille Schrei des Mädchens nahm den Knall auf. Die Frau in Hosen warf sich instinktiv über die Kleine und drängte sie zu Boden, wo beide mit einem dumpfen Ächzen im Leim landeten. Der alte Mann dagegen fiel schwer auf die Treppe, rutschte haltlos die letzten Stufen hinunter und blieb regungslos auf den Fliesen liegen. Schnell verbreitete sich der herbe Geruch des Schießpulvers im Raum, während der Dampf aus der Pistole vor das üppige Grün des Wandschmucks zog wie eine kleine Wolke über eine Frühlingslandschaft. Auf dem Antlitz von Lord Kilmarnok zeigte sich ein Zug tiefer Befriedigung.

      Als der Schütze sich zur Tür wandte, um zu gehen, stand dort ein kräftiger, fast schon kahler Geselle, dessen Kleider über und über mit Blut besprengt waren. Mit einem unterdrückten Schrei hieb er dem Lord die Faust ins Gesicht und ließ ihn rückwärts ins Zimmer zurücktaumeln. Ein Schlag in die Magengrube und ein weiterer auf das Kinn setzten den Adligen gänzlich außer Gefecht. Er sackte auf dem Boden zusammen, gekrümmt wie ein Fragezeichen. Der kräftige Mann rief ängstlich ins Zimmer: »Isabelle? Ist dir etwas passiert?«

      Die Frau richtete sich langsam auf, als müsse sie selbst erst einmal ihre Unversehrtheit prüfen, und nahm das kleine Mädchen tröstend in den Arm. Dann sagte sie: »Mir geht es gut. Schascha auch! Er hat auf Jizchak geschossen.«

      Verblüfft beugte der große Mann den Kopf: »Was? Auf den greisen Frömmler? Wer will denn dem etwas antun?«

      Isabelle wischte sich mit einer angeekelten Bewegung den Kleber von den Ellenbogen: »Keine Ahnung!« Als käme ihr erst jetzt der Ernst der Situation wirklich in den Sinn, stürzte sie zur Treppe, um nach dem alten Mann zu sehen. Der saß inzwischen mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der untersten Stufe und hielt sich den rechten Arm. Dabei schimpfte er vor sich hin: »Wie kann man nur so schlecht schießen? Das gibt es doch gar nicht! Ich meine, es gehört schon einiges dazu, jemanden aus zwei Meter Entfernung zu verfehlen. In meiner Jugend hätte man sich für so einen Schuss geschämt. Na ja! Vielleicht habe ich aber auch einfach Glück, dass ich so dünn bin.«

      Isabelle zog seine Hand nach oben, um einen Blick auf die Verletzung zu werfen: »Er hat dich doch getroffen!«

      Jizchak schüttelte den Kopf: »Nicht richtig! Es ist nur eine Fleischwunde. Das wird schon wieder. Lass uns lieber mal diesen Verrückten angucken. Nebenbei, Philipp, du sündiger Metzger: Wenn du mich noch einmal einen greisen Frömmler nennst, dann zeige ich dir mal, wie man richtig boxt.«

      Offensichtlich war die Wunde doch schmerzhafter, als der alte Mann zugeben wollte, denn sein Lachen endete in einem ächzenden Klagelaut. Trotzdem erhob er sich aus eigener Kraft und wandte sich dem Adligen zu, der mitten im Zimmer auf dem Boden lag und gerade wieder zu sich kam. Sein Kinn war dunkel angelaufen und sein linkes Auge schwoll so schnell zu, dass man dabei zusehen konnte. Die junge Frau stellte sich vor den Geschlagenen und sah ihn böse an. Sie warf ihr Haar energisch nach hinten und deutete dann mit dem Finger auf ihn. Fordernd sagte sie: »He, Ihr da! Vielleicht erinnert Ihr Euch an meine Frage: Wer seid Ihr?«

      Der Mann stützte sich auf seine Ellenbogen und schwieg. Das Mädchen aber senkte neckisch den Kopf und flüsterte: »Mama, er heißt Frederik. Lord Frederik von Kelmandock oder so! Und er ist überhaupt kein Prinz!«

      Schascha umschlang Isabelle von hinten und linste neugierig an ihrer Hüfte vorbei. Der Adlige hob zum ersten Mal den Blick: »Ich heiße Kilmarnok. Lord Frederik von Kilmarnok.« Dann schwieg er wieder.

      Jizchak krempelte vorsichtig den Ärmel über seiner Wunde hoch und betrachtete die Verletzung. Ohne seinen Angreifer eines Bli ckes zu würdigen, fing er an, seinen Gedanken über ihn freien Lauf zu lassen: »Nun: Er ist wahrscheinlich einer dieser gedungenen Mörder aus Genua, die dem König noch immer nach dem Leben trachten. Oder einer der vielen Gläubiger, die sich an dem so gepriesenen und so wohlhabenden Königreich dumm und dämlich verdienen wollten. Nein, wartet mal. Jetzt habe ich es!« Er grinste breit in den Raum: »In den Steckbriefen aus Genua hieß es doch immer, der König sei so unglaublich gut aussehend. Wahrscheinlich hat dieser Kerl deshalb geglaubt, ich sei es.« Er bekräftigte seine Schlussfolgerung mit einem meckernden, hohen Lachen.

      Lord Kilmarnok sah ungläubig im Zimmer umher. Sein Blick huschte von einer Person zur nächsten und verharrte in tiefer Ratlosigkeit. Stammelnd fragte er: »Was? Ihr ... Ihr, du bist es nicht? Du bist nicht der König?«

      Jizchak erhob sich langsam und lehnte sich dann schwer auf den Handlauf der Treppe. Seine Stimme klang leicht sarkastisch: »Eure Lordschaft! Schaut mich doch einmal etwas genauer an. Sehe ich etwa aus wie ein König?« Plötzlich wurde er ernst: »Na gut, Theodor sieht auch nicht mehr aus wie ein König. Aber Euer Gedächtnis scheint genauso miserabel zu sein wie Eure Treffsicherheit. Ihr kommt hier hereingestürmt, wollt den König erschießen und erinnert Euch nicht einmal mehr daran, wie er aussah?«

      Der immer noch am Boden Liegende hatte plötzlich Tränen in den Augen. Unsicher rückte er seine Perücke zurecht und sprach mehr zu sich als zu den Anwesenden: »Ich kenne ihn gar nicht! Ich bin ihm auch nie vorher begegnet. Ich bin nach London gekommen, um die Ehre meiner Familie zu verteidigen.«

      Isabelle nahm eine einfache Mantua vom Stuhl und hängte sie sich über die entblößten Schultern. Ihre Stimme war eng und gepresst: »Und Ihr meint, dass Ihr Eure törichte Familienehre wiederherstellt, wenn Ihr einem Sterbenden die letzten Tage raubt und daneben ein Kind zu Tode erschreckt?«

      Als der Adlige sich erheben wollte, stellte ihm Philipp den Fuß auf die Brust und