Bilanz einer Lüge. Christopher Stahl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christopher Stahl
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783482728815
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Nicht nur im Beruf, nein auch privat hatte ich dramatische Umwälzungen zu verkraften gehabt. Die Kanzlei, damals noch in Wiesbaden, hatte ich von meinem Vater übernehmen müssen. Quasi in Erbfolge. Widerspruch war zwecklos gewesen! Schließlich hatte er mir das Studium bezahlt. Wie nicht anders zu erwarten, hatte es ab dem ersten Tag Meinungsverschiedenheiten über die Kanzleiführung gegeben. Damals war ich schon drei Jahre mit Beatrice verheiratet gewesen und Mark, unser erster Sohn, war gerade zur Welt gekommen. Drei Jahre später war Marius dazugekommen. Kurz danach war mein Vater gestorben und meiner Mutter nachgefolgt. Ich hätte nie gedacht, dass er mir einmal so fehlen würde. Ich hatte mich in die Arbeit gestürzt, die Kanzlei war rasant gewachsen und die 80-Stunden-Wochen hatte Einzug gehalten. Mit ihnen waren die ersten Konflikte mit Beatrice gekommen, die sich rasch verschärft hatten. Genauso oft wie ich Besserung und Reduzierung meiner Arbeitszeit gelobt hatte, hatte ich meine Versprechen gebrochen. Acht Jahre lang hatten wir versucht, unsere Ehe zu retten – dazu waren wir umgezogen nach Bernheim, Beatrice Heimat. Ich hatte die Kanzlei verkleinert. Wir hatten unser kleines Weingut gekauft, da man dann etwas anderes zu tun hat, als nur im Büro zu sitzen.Die Arbeit war jedoch an Beatrice hängen geblieben. Wir hatten uns zwei Hunde angeschafft, da man dann gezwungen ist, mit ihnen an der frischen Luft spazieren zu gehen. Aber lediglich Beatrice und die Jungs hatten sich um sie gekümmert. 1997 war es zur Scheidung gekommen. Gedankenlos hatte ich meinen Anspruch an berufliche Verfügbarkeit übertrieben und dafür mein weiteres Zusammenleben mit Beatrice und meinen Söhne geopfert.

      Die drastische Änderung meiner Lebenseinstellung, ausgelöst durch die aufrüttelnden Erlebnisse bei der Aufklärung des Mordes an Horst, meinem besten Freund, sie kam zu spät. Der Verkauf der Kanzlei an Carlo war nur noch eine logische Konsequenz gewesen. Ein Notverkauf. Nicht in finanzieller Hinsicht, sondern als lebenserhaltende Maßnahme.

      Carlo, ich musste schmunzeln. Hier in diesem Zimmer hatte er früher gesessen. Beauftragt mit Betriebsprüfungen. Ein wenig übergewichtig war er damals gewesen. 85 Kilo bei einer Körpergröße von 1,72 Metern. Seine einleuchtende Erklärung dafür: „Ich bin net zu schwer, Herr Schäfer, ich bin zu klaa für mei Gewicht.” Idiomatisch Geübte konnten die sprachliche Vermengung heute noch heraushören: Ein Hesse in Rheinland-Pfalz. Carlo war zudem ein lebendes Chronometer. Mit absoluter Zuverlässigkeit konnte man die Uhr nach ihm stellen. Auch sein Tagesablauf war systematisch geregelt. Von acht bis zwölf Uhr und von ein bis sechs Uhr. Montags bis freitags. Abweichungen davon würde ihm Irene, seine Frau, auch verübeln. Und ich wusste, wie sie sein konnte. Ich hatte ihre diesbezüglichen Dispositionen lange genug genießen dürfen, als sie noch Dengler hieß und meine Sekretärin war. Integer, zuverlässig, schlagfertig, kompetent. Aber auch launenhaft. Nun war sie Carlos Sekretärin und Ehefrau in Personalunion.

      Dennoch ließ sie es sich heute nicht nehmen, mich aus alter Gewohnheit mit ihrem einmaligen Cappuccino zu verwöhnen. Sanft stellte sie die Tasse auf dem Schreibtisch ab. Zuvor hatte sie noch störenden Papierkram (ihre Bezeichnung) zur Seite geschoben. Statt anschließend wie üblich wieder an ihren Arbeitsplatz zugehen, bleib sie dieses Mal stehen.

      „Danke für den Cappuccino.” Beinahe hätte ich gedankenversunken vergessen, mich zu bedanken. Doch das schien es nicht gewesen zu sein, sie schien etwas loswerden zu wollen. „Ist noch etwas?”

      Sie setzte sich und strich sich eine Strähne ihrer blonden Haare aus dem Gesicht.

      „Es geht um Arnold. Ich möchte dir nur einen Tipp geben. Mit Carlo konnte ich darüber nicht sprechen. Er wollte nichts davon hören. Er meinte, wir sollten uns nicht am Dorfklatsch der Siefersheimer beteiligen.”

      Ich sah Irene aufmunternd an. „Ich höre?”

      „Da ist seit einiger Zeit eine Kampagne gegen Gero Arnold im Gange. Das ging kurz nach dem Tod seiner Mutter los.”

      „Kampagne? Was meinst du damit?”

      „Anfangs und alleine für sich gesehen, waren es scheinbar nur Belanglosigkeiten. Oder besser: Dinge, die halt im Geschäftsleben vorkommen. Aber im zeitlichen Verlauf und unter Beachtung der Häufigkeiten ergibt sich ein ganz anderes Bild. Es wird schlecht über ihn geredet. Er sei unzuverlässig. Kunden springen ab und auch bei den Mitarbeitern gibt es eine hohe Fluktuation. Seit er alleine lebt, soll er angefangen haben zu trinken. Er ließe sich häufig nachts Frauen von zweifelhaftem Ruf – du weißt schon – ins Haus kommen.”

      „Und, ist da etwas dran?”

      „Das ist es ja. Ich glaube das stimmt hinten und vorne nicht. Er ist einfach nicht der Typ dazu. Ich kenne ihn recht gut durch unsere Theatergruppe. Er ist für die Kulissen, die Plakate und unser Programmheft zuständig. Ich habe ihn jedenfalls noch nie alkoholisiert gesehen. Und uns Frauen und den Mädchen gegenüber verhält er sich zwar kameradschaftlich, aber stets korrekt. Da versucht jemand, ihn gezielt mit Gerüchten zu diskreditieren.”

      „Hast du eine Idee, wer das sein könnte und weshalb?”

      Sie schüttelte zögernd den Kopf und erhob sich.

      „Ich habe eine Vermutung. Ich habe das Gefühl, da steckt noch mehr dahinter. Eine Riesenschweinerei. Aber ich will nicht, dass du eventuell in eine falsche Richtung recherchierst. Falls du eine Spur hast, kannst du gerne mit mir darüber sprechen. Vielleicht kommst du auf dasselbe Ergebnis wie ich.”

      Nachdem Irene die Tür hinter sich geschlossen hatte, wandte ich mich dem Protokoll zu. Es war ordentlich strukturiert und dank Carlos gestochener Handschrift sehr gut lesbar. Neben seinem penibel geordneten Schreibtisch ein weiteres Indiz für seine fast schon pathologische Ordnungsliebe, für die ich ihn jedoch insgeheim bewunderte. Meine Hieroglyphen konnte ich nämlich manchmal selbst nicht mehr entziffern. Gedankenverloren rührte ich in meinem Cappuccino, während ich mich mit dem Inhalt des Protokolls befasste. Ich versuchte es in Einklang zu bringen mit dem, was sich aus dem Gespräch mit Carlo und aus Irenes Hinweisen ergeben hatte.

      Zahlen:

Seit 2009 überproportionaler Umsatzrückgang. Prognose 2011 2,1 Mio EUR/Ist 2009 3,3 Mio EUR = Rückgang um fast 30 %
gleichzeitig Anstieg der Materialkosten von 29 % 2009 auf prognostiziert 38 % 2011
2011 wird erstmals in der Geschichte des Unternehmens ein Verlust erwirtschaftet, geschätzt 150.000 EUR

      Ereignisse:

Auftragseingang geht zurück
Altkunden gehen zur Konkurrenz (meist zu Knober, Hunoldsheim)
sie springen sogar von vertraglichen Vereinbarungen ab, sodass sich auch die Auftragsvorlage verschlechtert
ähnliches Bild bei Neukunden
bei der Suche nach Gründen über direkte Nachfragen geben sie an, dass Knober preiswerter sei oder
sie flüchten sich in Ausreden oder erzählen von Informationen über das Unternehmen, aufgrund derer sie kein Vertrauen mehr in Qualität der Produkte und Zuverlässigkeit haben
wichtige Mitarbeiter kündigen
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