365 Schicksalstage. Johannes Sachslehner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Sachslehner
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783990401705
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im Kreis der SS-Führer als der Spezialist für alle „organisatorischen“ Abläufe in den „Judenangelegenheiten“; durchdrungen von einer unbedingten „Ideologie der Sachlichkeit“ (Julia Schulze Wessel), hat er sich im Herbst 1941 eingehend über die Möglichkeiten zum industriellen Massenmord informiert und das in Bau befindliche Vernichtungslager Bełżec ​sowie die „Gaswagenstation“ Chelmno (Kulm) besucht, Letztere während des laufenden „Vernichtungsbetriebes“, eine Inspektion im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ist geplant. In seinem einleitenden Vortrag teilt Heydrich seine „Bestallung zum Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage“ durch Hermann Göring mit und betont, dass nun an die Stelle der Auswanderung eine „weitere Lösungsmöglichkeit“ getreten sei, selbstverständlich nach „entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer“: die Evakuierung nach Osten zum „Arbeitseinsatz“, wobei eine „natürliche Verminderung“ anfallen würde, der „allfällig endlich verbleibende Restbestand“ werde dann „entsprechend behandelt werden müssen“. Von dieser „Endlösung“ betroffen wären über elf Millionen Juden, darunter auch, wie eine dem Protokoll beigefügte Statistik ausweisen wird, immer noch 43.700 aus der „Ostmark“. Keinen Zweifel lässt Heydrich über seine Kompetenz in dieser Angelegenheit: Die „Federführung bei der Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage“ liege „zentral“ beim Reichsführer-SS und dem Chef der Sicherheitspolizei, wichtig sei aber auch die „Parallelisierung der Linienführung“ mit den weiteren „Zentralinstanzen“. In „sehr unverblümten Worten“ wird dann „von Töten und Eliminieren und Vernichten“ (Adolf Eichmann) gesprochen, die Ordonnanzen der Herren reichen Kognak, die Stimmung ist entspannt und Reinhard Heydrich erreicht sein Besprechungsziel: Wilhelm Stuckart, der Staatssekretär des Innenministeriums, der für die Zwangssterilisierung aller Juden eintritt, und dessen Kollegen aus den anderen Ministerien geben „fröhlich“ ihre Zustimmung zu den geplanten „Lösungsmöglichkeiten“ und sagen entsprechende Unterstützung zu. „Jedermann“, so wird Eichmann später aussagen, „war froh, sich an der Endlösung der Judenfrage zu beteiligen.“

       Am Großen Wannsee 56 – 58: Die „Endlösung“ ist beschlossene Sache.

      Nach etwa eineinhalb Stunden ist die „Konferenz“ zu Ende; Heydrich, Eichmann und SS-Gruppenführer Heinrich Müller, der Chef der Gestapo, trinken am wärmenden Kamin des Nachbarraums noch einen Kognak, „nicht um zu fachsimpeln, sondern uns nach den langen, anstrengenden Stunden der Ruhe hinzugeben“, dann geht es zurück in die Stadt. Eichmann hat sein Büro in der Kurfürstenstraße 16; hier arbeitet er, penibel wie immer, sein fünfzehnseitiges Protokoll der Besprechung am Wannsee aus, das in 30 Ausfertigungen am 26. Februar 1942 den Teilnehmern zugesandt wird, um sie für die erste „Nachfolgebesprechung“ im Büro Eichmanns am 6. März 1942 zu instruieren – ein Dokument der Menschenverachtung, das seinesgleichen sucht.

       Das Spatzenpatent

      Auf den Haussperling (Passer domesticus L.) wurde seit jeher Jagd gemacht. Das kleine Tierchen gilt zwar nicht gerade als Leckerbissen, in den barocken Kochbüchern finden sich dennoch Rezepte für seine Zubereitung: Nimm ein höltzernes Fäßlein, darnach du viel Vögel hast, und legs voll an, saltz es, daß sie recht im Saltz seyn, leg ein wenig gestossene Wachholder-Beeren darzwischen, gieß ein mittelmäßigen Eßig daran, daß über die Vögel gehet, und vermach es.

      Doch nun, beeinflusst vom „Nützlichkeitsdenken“ der Aufklärung, hält es Regentin Maria Theresia für an der Zeit, einen wahren „Vernichtungsfeldzug“ (Georg Wacha) gegen die „listigen, diebischen und gefräßigen Tiere“ zu beginnen. Da man ihnen die Schuld am Rückgang der Getreideernten zuschiebt – sie würden das Körnl mit dem Schnabel gleichsam ausdreschen und so die ganze Ähre leer machen –, erlässt sie 1749 nach preußischem Vorbild, wo die planmäßige Sperlingsbekämpfung bereits 1744 mit einem Edikt Friedrichs II. beginnt, erste Verordnungen betreffend den Kampf gegen die Spatzen. In einem kaiserlich-königlichen Patent vom 7. August 1749 für Niederösterreich verlangt sie eine genaue Prüfung der Modalitäten wegen Ausrottung deren Spatzen und bittet um entsprechende Vorschläge; wohl gestützt auf diese Erkenntnisse verfügt sie am 21. Januar 1750 für das Land Kärnten ein „Spatzenpatent“, mit dem sie im ganzen Land neun eigene Spatzen-Commissarii einsetzt. Die verantwortungsvolle Aufgabe der kaiserlichen Beamten: Sie müssen die Köpfe der getöteten Spatzen abliefern, wobei anhand einer amtlichen Liste überprüft wird, ob auch die vorgeschriebene Tötungsquote erreicht worden ist. Die Anzahl der zu tötenden Vögel richtet sich jeweils nach der Größe des Besitzes des Ablieferers; die Spatzenköpfe werden unter behördlicher Aufsicht verbrannt. Gelingt es einem Spatzen-Commissarius nicht, die vorgeschriebene Menge an Spatzenköpfen vorzuweisen, muss er eine Gebühr entrichten. Bis 1777 kann man diese Spatzen-Commissarii in Kärnten nachweisen.

      Die Zahl der Vögel, die in den habsburgischen Ländern getötet werden, ist hoch; genaue Zahlen sind etwa aus dem Land ob der Enns überliefert, wo etwa in der Herrschaft Steyr im Jahr 1751 insgesamt 510 Spatzenköpfe abgeliefert werden.

       Kaiser Franz II. proklamiert innere Erneuerung

      Wenige Wochen nach Austerlitz (siehe 2. Dezember). Napoleon und seine Grande Armée sind abgezogen, Mitte Januar 1806 kehrt Kaiser Franz I. zusammen mit Johann Philipp Graf Stadion (1763 – 1824), seit Weihnachten neuer Leiter der Staatskanzlei, aus dem „Exil“ im ungarischen Holics zurück nach Wien. Nach der Unterzeichnung des bitteren Friedens von Pressburg am 26. Dezember 1805, der dem Habsburgerreich den Verlust von Tirol und Vorarlberg sowie von Vorderösterreich, Venetien, Istrien und Dalmatien gebracht hat, sind Reformen dringend notwendig. Kaiser Franz ist zwar nicht unbedingt ein Mann von großer Tatkraft, doch er hört auf seinen Kanzler, den Grafen Stadion. Und dieser rät ihm, sich mit einer Proklamation an das Volk zu wenden; Stadion arbeitet wohl auch am Text mit, der einige für Habsburg ungewohnte Töne anschlägt. In der Stunde der Not ist Franz auch bereit, „alle Volksklassen mitwirken“ zu lassen – was immer das auch heißen mag:

      „Ich kenne kein anderes Glück, als das Glück dieser Völker, keinen höheren Ruhm als Vater dieser Völker zu seyn, die an Biedersinn, an fester und unerschütterlicher Treue, die an reiner Liebe zu ihrem Monarchen und ihrem Vaterlande keiner Nazion (sic!) Europas nachstehen. Sie haben durch schöneren Nazional-Charakter selbst dem Feinde eine unwillkürliche Achtung abgezwungen … Die Wunden, welche der Krieg schlug, sind tief … Die Staatsverwaltung hat mehr als jemals große und schwere Pflichten zu erfüllen; sie wird sie erfüllen, aber sie hat auch mehr als jemals die höchsten Rechte auf die Mitwirkung aller Volksklassen … Durch das wechselseitige Band des Vertrauens und der innigsten Liebe mit meinen Unterthanen verbunden, werde ich nur dann erst glauben, meinem Herzen als Fürst und Vater genug gethan zu haben, wenn Österreichs Flor fest gegründet, wenn vergessen ist, was seine Bürger litten und nur das Andenken an meine Opfer, an ihre Treue und an ihre hohe unerschütterliche Vaterlandsliebe noch lebt.“

      Große Worte und große Versprechungen, die allerdings nicht so schnell verwirklicht werden können; Stadion gibt immerhin die Richtung vor: Straffung der Wiener Zentralverwaltung, Förderung der Entwicklung in den Provinzen und Errichtung einer „Nationalmiliz“, wie dies auch von Erzherzog Carl gefordert wird. Man will Napoleon in einem Entscheidungskampf gegenübertreten …

       Der Lucona-Skandal

      Ein herrlicher Tag wölbt sich über den Indischen Ozean. Ein leichter Wind weht aus Nordost, das Meer weist kaum Wellengang auf. Da Sonntag ist, haben