365 Schicksalstage. Johannes Sachslehner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Sachslehner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783990401705
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zur Deportation, man versucht die Vorgaben Himmlers buchstabengetreu umzusetzen; ist man sich über die „rassische Einordnung“ eines „Zigeuners“ nicht im Klaren, fordert man Gutachten von der Forschungsstelle Robert Ritters an. Insgesamt sind es acht Transporte, die im Frühjahr 1943 2.348 österreichische Zigeuner ins Auschwitzer „Zigeunerfamilienlager“ bringen; darunter sind auch Häftlinge aus den Lagern in Lackenbach und Salzburg. Kathi Horwath, die Tochter eines Spenglers aus Oberwart, die in Auschwitz ihre Mutter und zwei Geschwister verliert, erinnert sich später: „Und so kamen wir alle auf Viehwaggons, je 50 Personen, darauf stand, Auschwitz‘. Fast ohne Aufenthalt fuhren wir, drei Tage und Nächte, wir litten Hunger und Durst … “

      Im August 1944 wird das Auschwitzer Familienlager aufgelöst, wer nicht mehr arbeitsfähig ist, wird in die Gaskammer geschickt, so sterben allein in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 2.897 Männer, Frauen und Kinder.

       Die Tragödie von Mayerling

      Das Jagdschloss der Habsburger in Mayerling im Wienerwald, 29. Januar 1889, etwa 22 Uhr. Kronprinz Rudolf, der am Abend noch mit seinen Freunden Josef Graf Hoyos und Prinz Philipp von Coburg soupiert hat, zieht sich mit der 17-jährigen Mary Vetsera in sein Schlafzimmer zurück; Kammerdiener Loschek, der im Nebenzimmer schläft, erhält strengste Anweisung, niemanden vorzulassen. Nur er weiß Bescheid über die Anwesenheit des Mädchens. Er hört, wie er später aussagt, die beiden die ganze Nacht über in ernstem Ton sprechen, kann aber nichts verstehen. Folgt man der gängigen Version des Mayerling-Dramas, so nützen Mary und Rudolf die letzten Stunden zum Verfassen von Abschiedsbriefen, die man später im Zimmer der Toten findet. Rudolf schreibt insgesamt sechs Abschiedsbriefe: an seine Frau Stephanie, an seine Schwester Marie Valerie, an seine Mutter Kaiserin Elisabeth, an Loschek, an den Sektionschef Szögyeny und an den Prior von Heiligenkreuz. Nur wenige Zeilen sind es, mit denen Rudolf von seiner Frau Abschied nimmt: „Liebe Stephanie! Du bist von meiner Gegenwart und Plage befreit. Werde glücklich auf Deine Art. Sei gut für die arme Kleine, die das einzige ist, was von mir übrig bleibt. Allen Bekannten, besonders Bombelles, Spindler, Latour, Szögyeny, Gisela, Leopold etc. etc. sage meine letzten Grüße. Ich gehe ruhig in den Tod, der allein meinen guten Namen retten kann. Dich herzlichst umarmend, Dein Dich liebender Rudolf.“ Auf einen Brief an seinen Vater, den Kaiser, verzichtet Rudolf; angeblich, so erzählt später Marie Festetics, die Hofdame Kaiserin Elisabeths, habe er im Abschiedsbrief an seine Mutter festgehalten, dass er es nicht wage, an seinen Vater zu schreiben. Und wörtlich habe es dann geheißen: „Ich weiß sehr gut, dass ich nicht würdig war, sein Sohn zu sein.“

      Mary Vetsera richtet ihre vier Abschiedsbriefe an ihre Mutter und ihre Geschwister Hanna und Feri sowie an Marie Larisch. An ihre Mutter schreibt sie: „Liebe Mutter! Verzeiht mir, was ich getan; ich konnte der Liebe nicht widerstehen. In Übereinstimmung mit ihm will ich neben ihm am Friedhof von Alland begraben sein. Ich bin glücklicher im Tode als im Leben. Deine Mary.“

      Am frühen Morgen des 30. Januar, es ist 6.10 Uhr, erscheint der Kronprinz, vollständig angezogen, bei Loschek und befiehlt ihm, einspannen zu lassen. Der Kammerdiener eilt in den Hof, hört aber plötzlich zwei „Detonationen“. Er läuft zurück ins Haus, findet das Schlafzimmer Rudolfs jedoch versperrt vor: „Was nun machen, ich holte sofort Graf Hoyos, und mit einem Hammer bewaffnet, schlug ich die Türfüllung ein, so dass ich gerade mit der Hand hineinkonnte, um die Tür von innen aufzusperren. Welch grauenhafter Anblick – Rudolf lag entseelt auf seinem Bette angezogen, Mary Vetsera ebenfalls auf ihrem Bette vollständig angekleidet. Rudolfs Armeerevolver lag neben ihm. Beide hatten sich überhaupt nicht schlafen gelegt. Beiden hing der Kopf herunter. Gleich beim ersten Anblick konnte man sehen, dass Rudolf zuerst Mary Vetsera erschossen hatte und dann sich selbst entleibte.“

      Auf dem Nachtkästchen findet Loschek den an ihn gerichteten Abschiedsbrief vor: „Lieber Loschek! Holen Sie einen Geistlichen und lassen Sie uns in einem gemeinsamen Grabe in Heiligenkreuz beisetzen. Die Pretiosen meiner teuren Mary nebst Brief von ihr überbringen Sie der Mutter Marys. Ich danke Ihnen für Ihre jederzeit so treuen und aufopferungsvollen Dienste während der vielen Jahre, welche Sie bei mir dienten. Den Brief an meine Frau lassen Sie ihr auf kürzestem Wege zukommen. Rudolf.“

       Das Grab Mary Vetseras in Heiligenkreuz.

      Graf Hoyos übernimmt es, nach Wien zu fahren und die kaiserliche Familie zu informieren; Loschek wird beauftragt, den Hofarzt Widerhofer in das Jagdschloss zu rufen. Philipp von Coburg bleibt am „Tatort“ zurück, um die Toten bis zum Eintreffen des Arztes und der Hofbeamten zu schützen. Hoyos und Loschek lassen sich von Bratfisch nach Baden bringen, wo der Kammerdiener auf Dr. Widerhofer wartet, während der Graf einen Eilzug aus Triest anhalten lässt und mit diesem nach Wien weiterfährt. Knapp nach 10 Uhr trifft Hoyos in der Hofburg ein, der Erste, der von ihm informiert wird, ist Graf Bombelles, der Obersthofmeister des Kronprinzen. Gemeinsam spricht man dann mit Baron Nopcsa, dem Obersthofmeister der Kaiserin, anschließend mit dem Grafen Paar, dem Generaladjutanten des Kaisers. Über die Hofdame Ida Ferenczy will man Kaiserin Elisabeth informieren, legt sich dafür aber eine neue Version der Ereignisse zurecht: Mary Vetsera hätte Rudolf vergiftet.

      Elisabeth fällt die Aufgabe zu, Franz Joseph die Todesnachricht zu überbringen, auch er wird zunächst in dem Glauben gelassen, dass Mary Rudolf ermordet hätte …

      In Mayerling ist inzwischen Dr. Widerhofer eingetroffen, der eindeutig feststellt, dass Mary den Kronprinzen nicht ermordet haben kann. Er versorgt den toten Rudolf mit einem Notverband um den Kopf und bereitet die Leiche für den Abtransport nach Wien vor; die „zweite Leiche“, die der Wiener Hof am liebsten heimlich verschwinden lassen möchte, versteckt man unter Kleidern.

      Während seine Geliebte am 1. Februar heimlich auf dem Friedhof in Heiligenkreuz beerdigt wird, warten auf den toten Thronfolger die Aufbahrung in der Hofburg und ein festliches Begräbnis in der Kapuzinergruft, das nur dadurch möglich wird, dass man Rudolf für zum Zeitpunkt des Selbstmordes „geistig umnachtet“ erklärt.

       Slalom-Gold für Toni Sailer in Cortina

      Olympische Winterspiele in Cortina d’Ampezzo 1956. Als zweiter Alpinbewerb der Herren steht der Slalom am Programm. Die eisige Piste ist schlecht präpariert, man befürchtet ein Startnummernrennen. Respekt flößt den Läufern vor allem der Steilhang unmittelbar nach dem Start ein – blankes Eis, darunter Fels.

      Der Start zum 1. Durchgang erfolgt pünktlich um 10 : 30 Uhr. Zuvor noch ein peinlicher Moment: Als die österreichische Technikertruppe am Startgelände in 1748 m Höhe eintrifft, bemerkt man plötzlich, dass man die Startnummern im Hotel „Croce bianca“ vergessen hat. Die Startrichter verteilen freie Nummern an die vier ÖSV-Läufer; ihre vorgesehenen Startplätze dürfen sie behalten – Toni Sailer bekommt die Nummer 135.

      Das Rennen beginnt so gar nicht nach dem Geschmack der rot-weiß-roten Fans: Nach Stürzen von Josl Rieder und Anderl Molterer sowie einem verbremsten Lauf von Othmar Schneider ruhen alle Hoffnungen auf Toni Sailer, der sich auch durch die Ausfälle in seiner totalen Konzentration nicht beirren lässt: Elegant zieht er seine Schwünge, die Anzeigetafel weist für ihn schließlich Bestzeit aus: 1 : 27,3, knappe drei Sekunden Vorsprung. Aber noch ist die Konkurrenz nicht geschlagen: Adrien Duvillard aus Megève fährt trotz eines Absitzers 1 : 27,5, der Amerikaner Brooks Dodge 1 : 27,5 – Spannung für den von Trainer Fred Rößner ausgesteckten 2. Lauf ist garantiert. Wieder studiert Sailer den Kurs genau, wieder legt er sich seinen „Plan“ für die diesmal 92 Tore zurecht.

      Die Hektik vor dem Start ist groß, Fred Rößner befiehlt: „Tonei, lass tuschn, der Duvillard wartet nicht!“ – und Toni gehorcht: Sailer lässt es wieder so richtig