Die Kämpfer des Schutzbundes wehren sich mit dem Mut der Verzweiflung, stehen jedoch auf verlorenem Posten, da die Verbindung zwischen den einzelnen Gruppen bald unterbrochen ist. Bereits in der Nacht zum 13. Februar wird von den Regierungseinheiten der Ahornhof am Wienerberg in Favoriten umstellt, in dem die „Kampfleitung“ des Schutzbundes ihren Sitz hat; die Arbeiter im Goethehof in Kaisermühlen, im Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt oder im Reumannhof in Margareten müssen nach zähem Widerstand der Übermacht weichen. Zu schweren Kämpfen kommt es noch am 13. Februar beim Schlingerhof in Floridsdorf, wo das Bundesheer zwei Panzer einsetzt, um die Barrikade der Arbeiter auf der Brünner Straße zu durchbrechen. Nach Artilleriebeschuss fällt der Schlingerhof am Nachmittag in die Hände des Heeres, das nicht verhindern kann oder will, dass ein LKW mit gefangenen Schutzbündlern von Angehörigen der Heimwehr unter Feuer genommen wird – mehrere Arbeiter werden erschossen.
Im Morgengrauen des 13. November flieht Otto Bauer in die Tschechoslowakei; die letzten Schutzbündler ergeben sich am 15. Februar; an diesem Tag verlässt auch der durch Granatsplitter verletzte Schutzbundobmann Julius Deutsch das Land. Nach offiziellen Angaben haben die „Februarkämpfe“ 314 Tote, davon 196 Schutzbündler, und über 800 Verletzte gefordert, tatsächlich liegen die Opferzahlen wohl bei über 1.000 Toten.
Die Innenstadt ist abgeriegelt: Soldaten des Bundesheeres auf der Ringstraße gegenüber dem Café Heinrichshof, Höhe Wiener Staatsoper.
Engelbert Dollfuß sieht die Stunde gekommen, um mit den verhassten „Roten“ ein für allemal abzurechnen: Neun Schutzbündler werden von Standgerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet, unter ihnen Koloman Wallisch (siehe 19. Februar), Georg Weissel, der Wachkommandant der Wiener Berufsfeuerwehr, und Karl Münichreiter, der Schutzbundkommandant von Wien. Die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften sowie alle sozialdmokratischen Arbeiterorganisationen werden verboten; alles, was an die Verdienste der Sozialdemokratie erinnern könnte, wird getilgt: Kruckenkreuzfahnen verhüllen das Republikdenkmal an der Wiener Ringstraße, später ersetzt man die Büsten von Hanusch, Adler und Reumann durch Bilder von Fey, Dollfuß und Starhemberg. In Wien werden die Schulreformen von Otto Glöckel zurückgenommen, ebenso die von Hugo Breitner eingeführten Steuern und Abgaben, das bahnbrechende soziale Wohnbauprogramm wird eingestellt; die Bibliotheken werden von „gefährlichem Schrifttum“ gesäubert. Und nicht zuletzt nimmt nun auch die Diskriminierung jüdischer Mitbürger im „Ständestaat“ immer drastischere Formen an: Jüdische Ärztinnen und Ärzte werden aus dem Dienst entlassen, jüdische Beamte werden zwangspensioniert, mit allen Mitteln versucht man die Juden aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben zu verdrängen.
Hermann Maiers Sturz in Nagano
Herrenabfahrt bei den Olympischen Spielen in Nagano 1998. Über dem Olympic Course I von Happo One, dem Schauplatz der alpinen Wettkämpfe, scheint endlich wieder die Sonne. Das letzte Training hat vor sechs Tagen stattgefunden, inzwischen haben sich jedoch die Bedingungen auf der 3289 m langen Piste völlig geändert – es ist deutlich schneller geworden. Österreichs Skistar Hermann Maier, den blonden Kraftlackel aus Flachau, kümmert das wenig, er will gewinnen. Mit der niedrigen Nummer vier drückt er vom Start weg aufs Tempo, nach einer ersten harmlosen Gleitpassage und dem „Alpen-Jump“ kommt nach etwa 17 Fahrsekunden eine lang gezogene Rechtskurve, die der „Herminator“ auf einer möglichst engen Linie ansteuert. Er gibt Druck, um die Kurve „zuzumachen“ – da passiert’s: Er streift mit dem Schischuh den Schnee, der Außenski rutscht weg, Maier drückt dagegen, eine „Trampolinwirkung“ ist die Folge: Genau auf der Kante hebt er ab, rudert mit den Händen, um den Körperschwerpunkt noch einmal nach vorne zu bringen, doch es ist zu spät: „Ich liege schräg in der Luft, da sehe ich unter mir das Richtungstor. Umlegen! Noch ist nix passiert. Ich bin schon öfter so schräg in der Luft gelegen und wieder auf den Füßen aufgekommen. Okay, das Tor krieg ich nicht mehr. Dafür lande ich ordentlich. Ich lass’ also dem Körper in der Luft Zeit. Mit Gewalt geht da nichts. Ich beobachte alles von oben und will meine Landung dem Gelände anpassen. Ich glaube noch immer an ein Happy End und denk’ mir:, Wenn ich weiterflieg, fallen die Ski durch die Schwerkraft wieder nach unten, und dann fahr ich wieder.‘ (…) Da wird mir auf einmal bewusst:, Wahnsinn, jetzt schau ich schon senkrecht nach unten. Ich seh ja alles verkehrt!’
Ein Bild, das um die Welt geht: Hermann Maiers Sturz in Nagano 1998.
Nach 1,7 Sekunden in der Luft kracht Hermann Maier mit Schlüsselbein und Schulter in den Schnee, durchschlägt zwei Fangzäune und bleibt nach einigen Purzelbäumen kopfüber im Tiefschnee stecken. Aufatmen bei den Fans zu Hause, als er sich aufrappelt und in die Fernsehkamera winkt; ÖSV-Teamarzt Toni Wicker, ist der erste Helfer, der sich durch den Schnee zu ihm durchkämpft, und plötzlich steht auch noch der Fotograf Carl Yarbrough von Sports Illustrated neben Maier und freut sich über seinen Great Shot!
Drei Tage später, am 16. Februar 1998, gewinnt Hermann Maier, der mit diesem Sturz endgültig zum Medienstar und „Außerirdischen“ (Heinz Prüller) wird, auf dem Olympic Course I die Goldmedaille im Super-G, es ist die erste für Österreich in dieser Disziplin.
Leben und Sterben der Sozialistin Stefanie Kunke
Unter ihrem Mädchennamen Jelinek ist sie so wie der um drei Jahre jüngere Bruno Kreisky Mitglied im Vorstand der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ und nach dem Februar 1934 zusammen mit ihrem Mann Hans Kunke Mitglied des Zentralkomitees der „Revolutionären Sozialistischen Jugend“: Stefanie „Steffi“ Kunke, umgekommen in Auschwitz, ist heute vergessen, Bruno Kreisky wurde Bundeskanzler und zu einem „großen Österreicher“.
Aus Wien-Mauer stammend, Jahrgang 1908, arbeitet Stefanie Kunke als städtische Hilfslehrerin an der Mädchen-Volks- und Hauptschule in der Feldmühlgasse 26 im 13. Wiener Gemeindebezirk. Zusammen mit ihrem Mann organisiert sie die Landesleitung der RSJ. Ihre Tätigkeit bleibt bei den Polizeistellen des Schuschnigg-Staates nicht lange unbemerkt: 1936 verhaftet man das Ehepaar. Stefanie Kunke wird am 8. Juli 1936 zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt, Hans zu 18 Monaten – in der Urteilbegründung wird ihnen das Verteilen „illegaler sozialdemokratischer Schriften“ vorgeworfen.
Das Amnestiegesetz bringt ihnen zwar die Freiheit, doch dann erfolgt der „Anschluss“ und die Gestapo braucht nicht lange, um sich auf die Spur der beiden zu setzen: Am 20. Mai 1938 werden sie wegen Betätigung für die „Revolutionären Sozialisten“ wieder verhaftet; Hans Kunke wird nach Buchenwald verschleppt und dort am 31. Oktober 1940 erschossen; Stefanie Kunke weist man zunächst ins Frauen-KZ Lichtenburg in Sachsen ein, dann kommt sie nach Ravensbrück und von dort schließlich nach Auschwitz. Die genauen Umstände ihres Todes in Auschwitz am 14. Februar 1943 sind unbekannt, wahrscheinlich stirbt sie an Typhus. Eine Urne mit ihrer Asche gelangt nach Wien und wird am 30. März 1943 am Hietzinger Friedhof beigesetzt. Nach „heldenhaftem Ringen“ sei sie „fern der Heimat gestorben“, lässt ihre Tante Flora Jelinek am Partezettel vermerken.
In Ravensbrück erinnert heute ein Gedenkraum an Stefanie Kunke, in Wien-Mauer würdigte die Stadt Wien den Opfergang des Ehepaars Kunke mit der Kunkegasse.