Opak. Matthias Falke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Falke
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783957770486
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hat, ist exakt diejenige, von der unser Beta-Objekt genauso lange verschwunden war. Wenn ich die beiden Kurven übereinanderblende, erhalte ich eine Deckungslücke, die den statistischen Erwartungshorizonten nicht mehr widerspricht.«

      »Warum haben wir es dann nicht gesehen?«

      »Weil das Alpha-Phänomen für uns nicht existiert.«

      »Und wo war unser Objekt so lange?«

      »Es übernahm – vielleicht – die Exaltationen seines Alpha-Korrelats. Unsichtbar für unsere Instrumente, die auf die fixe Beta-Position fokussiert sind.«

      »Gus, halt mich fest.«

      »Aber das kann doch gar nicht sein.«

      »Sie kommunizieren miteinander.«

      »Sagen wir: Sie stehen in Wechselwirkung.«

      »Bestimmt hecken sie etwas Fürchterliches aus!«

      »Das beweist, dass es sich um eine Entität handelt, die über mehrere Aggregatzustände verfügt.«

      »Darling, kommst du wieder ins Bett? Uns bleibt noch eine halbe Stunde.«

      »Kommt nicht infrage. Besatzung der Dorset: Der Schichtplan ist hiermit außer Kraft. Die gesamte Crew, das gilt auch für dich, Theresa, in zehn Minuten zum Dienstantritt auf die Brücke. Wir gehen längsseits.«

      Eine Viertelstunde später war die Mannschaft, mit flüchtigen Scheiteln und mit Schuhen an den Füßen, zum Briefing versammelt. Commander Carlssen verkündete seinen Entschluss, sich dem Opak so weit zu nähern, dass eine unmittelbare Kontaktierung möglich werden würde. Eine halbherzige Abstimmung ergab ein 3:2-Votum für das Manöver. Theresa leitet das Rendezvous ein. Als die Entfernungsanzeige ihre immergleichen Ziffern herunterzuschnurren begann und der Timer die wenigen Stunden bis zum Touchdown, den sich niemand vorstellen konnte, abrollte, erläuterte Silesio die bisherigen Erkenntnisse, die er in einsamer Nacht den binären Datenmassen entnommen hatte. Sie hörten ihm zu, dessen mathematischen Ausführungen sie besser folgen konnten als den logischen und erkenntniskritischen Einlassungen.

      »Wir haben bisher nichts als eine leere Position, eine abstrakte Koordinate aus drei räumlichen und einem Bewegungsvektor. Das Objekt befindet sich exakt dort, wird alle paar Sekunden verifiziert und hat sich außer der viertelstündigen Eskapade vorhin noch keinen Ausrutscher geleistet.«

      »Aber wenn es nur ein geometrischer Punkt ist, hat es keine Ausdehnung.« Theresa sah von ihrem Pult auf und zottelte an ihren strähnigen Haaren.

      »In der Tat besitzen wir keinerlei Informationen über Abmessung, Gestalt oder Volumen.«

      »Dann kann es kein Licht absorbieren und keine Sterne verdecken.«

      »Das ist selbstverständlich richtig.«

      »Ergo …«

      »Also widerspricht sich jedes Messergebnis, das uns die Position des Objekts anhand eines Verdeckungsereignisses meldet, selbst dadurch, dass es an dieser Position kein Objekt gibt, das für eine Verdeckung herangezogen werden könnte.«

      »Und ihr glaubt, das wird anders, wenn wir noch dichter herangehen?«

      »Wie wäre es denn, wenn wir eine Sonde mitten durch die Koordinate X hindurchschießen? Dann werden wir ja sehen, ob da etwas ist.«

      »Ich wundere mich immer wieder, Gus, wie eine Position der Furcht zu Aktionen von derart aggressiver und provokanter Brisanz umkippt.« Carlssen wirkte ungeduldig und zugleich ernsthaft empört. Er schloss die Augen, umfasste die Stirn mit der rechten Hand und presste die ädrigen Schläfen zwischen den Fingern. »Erst sollen wir abhauen und dann am besten das Ding in die Luft sprengen. Wir können ja den Kilowattlaser drauf abbrennen.«

      »Von mir aus.« Gus warf sich feist herum. »Ich gehe da jedenfalls nicht raus und mach mit dieser Luftblase ohne Blase und ohne Luft Shakehands.«

      »Gar keine so schlechte Definition.« Silesio erzeugte ein Bündel von Krähenfüßen um seine grauen Augen. »Was bleibt von einer Seifenblase, wenn wir die seifige Blase und die Luft, die sie umspannt, wegnehmen? Vielleicht nichts. Vielleicht aber auch ein abstrakter Sinneseindruck, ein Phänomen wie das ölige Schillern, das von der Haut hervorgerufen, aber nicht mit ihr identisch ist. Vielleicht eine Empfindung oder eine Erinnerung. Wo ist die Seifenblase, die du vor 50 Jahren über eine Wiese hast wehen lassen? Sie existiert nicht mehr und doch siehst du sie vor dir. Wenn wir die Metapher wieder umdrehen, haben wir das Opak: Es existiert, obwohl wir es nicht sehen und nicht einmal eine bildhafte Vorstellung von ihm haben. Nur eine mathematische Umschreibung und eine Definition als ausdehnungslosen Punkt. Wie erklären wir uns das?«

      »Das ist es!«

      »Wie groß ist es?«

      »Ich kann nichts sehen.«

      »Ich habe es immer gewusst.«

      »Silesio, was macht die Telemetrie?«

      »Immer langsam.« Der Chefprogrammierer blieb in seine Anzeigen verkrochen. »Wir haben eine sehr schwache Abtastung im ultravioletten Bereich – Moment: Ich schaffe es nicht, eine dreidimensionale Darstellung zu generieren. Das ist ein verdammt unsichtbares Ding.«

      »Sag halt, was du hast.«

      »Nun: Die größte bisher feststellbare Ausdehnung beträgt etwa 367 Meter. Es ist nicht scharf umrissen, sondern scheint sich logarithmisch in den leeren Raum zu verlieren.«

      »Die Längsachse beträgt also …«

      »Von einer Achse kann man nicht sprechen, da es keine körperliche Gestalt aufweist.«

      »Aber du sagtest doch …«

      »Das ist die maximale Ausdehnung seines Bereichs. Vielleicht stellen wir uns eher ein Phänomen von Feldcharakter vor.«

      »Meinetwegen. Breite, Tiefe, Symmetrien.«

      »Es nimmt ein gewisses Quantum Raum ein. Eine Volumenbestimmung war allerdings nicht möglich. In der Richtung der geringsten Erstreckung scheint es gegenwärtig ungefähr einhundert Meter zu messen.«

      »Wieso gegenwärtig?«

      »Es fluktuiert natürlich.«

      »Natürlich. Was auch sonst? Wir wissen also nicht, wie groß es ist und wie es geformt ist, aber wir wissen, dass es Größe und Gestalt verändert.«

      »So in etwa.«

      »Wo ist es jetzt?« Groenewold stand mitten auf der Brücke. Ihre Frage schien an Gus gerichtet, der aus dem großen Backbordfenster den leeren Raum anstarrte. »Wie weit ist es noch weg?«

      »Bezogen auf den Ortungspunkt befinden wir uns in genau einem Kilometer Distanz.« Theresa saß aufrecht vor den Monitoren voller irrationaler Daten. »Bezogen auf die wie immer geartete Oberfläche also hundert Meter weniger. Das ist alles sehr rätselhaft und es macht das Navigieren nicht einfacher. Commander, was hältst du davon, wenn wir noch näher rangehen?«

      »Es ist deine Entscheidung, aber ich glaube gutheißen zu können, dass wir uns auf 500 m ranschleichen. Silesio?«

      »Im Augenblick habe ich eine maximale Ausdehnung von 298 m und eine minimale Erstreckung von 126 m. Ich glaube, ich kann eine Distanzverringerung vertreten.«

      Die Erste Offizierin, die aktuell diensthabende Schichtführerin war, brachte uns dichter heran. Die Daten blieben im Rahmen dessen, was die Lambdamodule seit den frühen Morgenstunden meldeten. Das Objekt schien eine maximale Größe von 400 m nicht zu überschreiten. Manchmal zog es sich auf weniger als 100 m zusammen. Es pulsierte, wobei es nicht mehr überraschte, dass die Abfolge dieser Aufblähungen und Kontraktionen – ganz abgesehen davon, dass sie trotz allem keine räumliche Gestalt, geschweige denn irgendwelche Aussagen über Oberflächenbeschaffenheit, spezifische Dichte oder gar materielle Zusammensetzung ermitteln konnten – keinerlei rhythmischem Grundmuster gehorchte. Theresa navigierte mit erbitterter Entschlossenheit und schob die Dorset schließlich so weit vorwärts, dass sie das Opak im Maximalstadium fast hätten berühren können.