Deshalb solle man bitte gerade am Anfang Zurückhaltung üben. Dass es auf der vorigen Reise zwei Todesfälle durch Kreislaufzusammenbruch gegeben hat, wie ich vom Reiseleiter erfahren hatte, wurde den sonnenhungrigen Gästen vorenthalten. Begann für sie doch gerade das teure High Life. Das durfte keine Flecken zeigen.
Schon vor dem Abflug in Frankfurt, als die Türen so lange offen standen, hatte sich jeder in die Wolldecke eingewickelt, die er auf seinem Sitz fand. Eine Ladung einheitlich verpackter Mumien. In einem Flugzeug, das dann wie eine üppig gefüllte Weihnachtsgans über den Atlantik flatterte, manchmal mit unangenehmem Flügelschlagen. Schon der endlos erscheinende Start, als die Maschine mit den 260 Menschen und all ihrem Gepäck auf dem Frankfurter Flughafen die ganze Länge der Rollbahn brauchte, um abzuheben. Weswegen ich versuchte, mich leicht zu machen in meinem engen Sitz.
Der Flughafen von Puerto Ricos Hauptstadt San Juan hatte uns am Morgen mit bedecktem Himmel empfangen, nachdem drei unangenehme Kontrollen überstanden waren. Die Insel ist seit 1952 assoziiertes Mitglied der USA, also nicht ganz in amerikanischem Besitz, dafür umso amerikanischer im Auftreten. Die Inselbewohner wollten nicht von den Amerikanern einverleibt werden, sie lassen sich lieber als Busenfreunde hätscheln. Weil die US-Touristen nicht mehr auf ihrer Lieblingsinsel Kuba Urlaub machen können, von Fidel Castro vertrieben, ergießen sie sich mit Vorliebe über Puerto Rico. Also ist diese Insel doch so was wie ein Stück USA. Das bringt für deutsche Touristen allerlei Umstände. Das fing schon mit der Beschaffung eines Visums an. Dann mussten im Flugzeug besondere Landepapiere ausgefüllt werden, und zwar mit großen Druckbuchstaben. Das Herkunftsland musste auf Englisch genannt werden, bei der Heimatadresse sollten wir zuerst die Hausnummer, dann die Straße und danach den Ort schreiben. Auch Zahlen mussten so geschrieben werden, wie die Amerikaner es gewohnt sind: Die Eins ohne Anstrich und die Sieben ohne Querstrich.
Auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel in San Juan, in dem wir die erste Nacht verbringen sollten, war der amerikanische Einfluss unübersehbar. Riesenreklamen und Riesenautos. Immer wieder verkommene Mietskasernen mit vielen schwarzen Kindern. Dazwischen aber auch typische Landhäuser im alten Kolonialstil, die mit ihren vorspringenden Giebeln, mit vielen Säulen und allerlei Geschnörkel und zierlichem Gitterwerk anheimelnd wirkten.
Puerto Rico ist für den Fremden ein selbstbewusst auftretendes kleines Spanien, trotz der amerikanischen Besatzer. Also liefen wir durch die engen Straßen der Altstadt von San Juan und besichtigten spanische Festungen, die jahrhundertelang den holländischen, französischen und britischen Eroberern getrotzt haben.
In der kleinen Bodega freute sich der Wirt über mein freundliches »gracias« und »hasta mañana«. Auf seiner Theke eine uralte hölzerne Registrierkasse. Oben, wo der Preis abzulesen ist, zugeklebt mit Bildern der Gottesmutter. Wir amüsierten uns noch über die Maria-Hilf-Kasse, als in der Ecke hinter uns ein Huhn laut wurde. Es hatte gerade in der Wirtsstube ein Ei gelegt.
Am 19. November 1493 landete Christoph Kolumbus auf dieser Insel. Er war zum zweiten Mal unterwegs in den Weiten Westindiens, wie er diese von ihm entdeckte Weltecke nannte. Starrköpfig blieb er stets seiner Auffassung treu, dass er Indien durch die Hintertür betreten habe, auf dem von ihm berechneten Westkurs über die See. Was er durch eifriges Karten- und Notizenstudium erfahren hatte, nämlich dass die Erde eine Kugel ist und deshalb der weite Umweg um Südafrika herum nicht erforderlich, um in das sagenhaft reiche Land Indien zu gelangen, das fand er sogar bestätigt beim Propheten Jesaja. Ja, Kolumbus stützte sich nicht nur auf die Fachleute Marinus, Ptolemäus und Toscanelli. Der Prophet von anno dazumal war ihm genauso wichtig. Hatte der doch gesagt: Die Welt ist zu sechs Teilen Trockenland und zu einem Teil Meer. Deshalb war Kolumbus sicher, keine allzu lange Seereise machen zu müssen, um mit Westkurs auf Indien zu stoßen. Er blieb bei seiner Meinung, er habe vorgelagerte Inseln des sagenhaft reichen Kontinents Indien betreten. Den Touristen von heute bescherte er damit tatsächlich Reichtum, nämlich ein Stückchen spanisches Amerika.
Imponierend genug sind sie, diese gewaltigen Befestigungsanlagen, das Fort San Christobal und das Castillo de San Felipe El Norro. Stolze Reste des spanischen Weltreichs von anno dazumal. Wenn uns die übrig gebliebenen Geschütze auch als putzige Kanönchen vorkommen. Sie haben viele Eroberungsversuche unmöglich gemacht. Jede Zeit hat ihr eigenes Format, damit müssen sich unsere von der Moderne geweiteten Augen abfinden.
Die Straßen der Hauptstadt San Juan, jetzt voll von großstädtischem Autoverkehr, sind immer noch enge Schluchten zwischen Häusern mit streng geschlossenen Gesichtern. Überall Erker und Balkone mit kunstvollen schmiedeeisernen Gittern. So hinter Gittern durften die Frauen und Töchter der spanischen Eroberer sitzen und dem Leben zuschauen, wohl behütet vor der Welt. Sie wurden nicht gefragt, ob ihnen das gefällt.
Auch als Tourist auf Kurzbesuch bekam ich wie durch eiserne Gitterstäbe nur schmale Ausschnitte des Lebens zu sehen. Dort amerikanisch protzige Hotelkästen, hier ein Hilton-Hotel, das nur eines von vieren war, womit San Juan die Großstädte Berlin und Kairo ausstach. Und das Darlington-Hotel, das an meinem Erkundungsweg stand, sollte mit seinen dreißig Stockwerken sogar das höchste Gebäude Westindiens sein. So verriet San Juan sich als Ausflugsziel der US-Bürger. Dass es an Sonn- und Feiertagen nachmittags auch Stierkampfveranstaltungen gab, typisch spanisch, obwohl die Stiere nicht getötet wurden, kriegte ich nur als Information mit. Genauso den Namen der Ureinwohner dieser Insel, der Arawaks. Sie wurden von den spanischen Kolonisten, die unter der Führung von Juan Ponce de Leon im Jahre 1508 auf die Insel kamen und sie zu einer spanischen Festung ausbauten, gnadenlos ausgerottet.
Erst 390 Jahre später, im Jahre 1898, im spanischamerikanischen Krieg, wurde die Festungsstadt San Juan von den Amerikanern erobert. 1916 bekamen die Puertoricaner, diese Nachkommen von Arawaks und Spaniern und ihren afrikanischen Sklaven, sogar die amerikanische Staatsbürgerschaft. Sehr großzügig. Wer von ihnen sich jedoch verleiten lässt, in eine der US-Großstädte auszuwandern, der gehört dann zu einer der ärmsten und am geringsten geachteten Minderheiten in den USA, wie mir bei einem einmonatigen Aufenthalt in New York aufgefallen war. Sein Schicksal ist dort meist weitaus härter als das der Puertoricaner, die auf ihrer Insel bleiben. Die Daheimgebliebenen können wenigstens das milde Klima ihrer Insel genießen, wie sie da auf Bänken und Mäuerchen sitzen, unter Schatten spendenden Bäumen, und Domino spielen.
Eine von den kleinen, oft übersehenen Touristen-Attraktionen, die ich genossen habe. Dafür musste ich auf größere Attraktionen verzichten, wie auf den Besuch der Bacardi-Rum-Destillerie oder die Fahrt in den El-Yunque-Regenwald in den Luquillo-Bergen. Ein Rest von tropischem Urwald, mit feuchter Bruthitze und kurzen, heftigen Regenfällen, die einen in jeder Stunde mehrmals überraschen können.
Ich habe mich ein wenig auf unserem Schiff umgesehen, mit dem Informationsheft der Schwarzmeer-Reederei in der Hand. Neun Decks hat das Schiff, was schon Hochhausformat ist, 176 Meter lang ist es und fast 24 Meter breit. Ein 20 000-Tonnen-Schiff mit 350 Mann Besatzung, die weitgehend aus jungen Frauen besteht. Weitere Attraktionen sind der Swimmingpool und zwei Bibliotheken, das Kino und die Läden, die zwei Friseurbetriebe für Damen und Herren, der Souvenirshop, der Fotokiosk und die Schneiderwerkstatt, aber für den täglichen Bedarf vor allem die drei Restaurants, die fünf Bars und drei Musikkapellen, außerdem zig Liegestühle. Das ist es, was der Winterurlauber braucht neben dem Sonnenbaden, Sonnenbaden, Sonnenbaden. Immer mal wieder sich im Meerwasserbecken abkühlen, dann Tischtennis spielen oder Schach, Skat, Bingo, Volleyball, Shuffleboard. Und alle paar Stunden ein neues Tischlein-Deck-Dich-Erlebnis in mehreren Gängen. Am Abend dann Musik und Tanz. Für die Unermüdlichen in der Ukraine-Bar sogar bis halb fünf. So kurz zusammengefasst das Leben auf dem von der Firma N-U-R gecharterten russischen Passagierschiff Taras Shevchenko, das – natürlich linientreu – nur eine einzige Klasse führt: Alles steht jedem zur Verfügung, wenn auch die Kabinen unterschiedlich groß und teuer sind.
Zwei Dieselmotoren mit zusammen 21 000 Pferdestärken konnten das Schiff auf eine Höchstgeschwindigkeit von 20 Knoten bringen, rund 38 km/h. Die Taras Shevchenko war eins von fünf Schiffen der sogenannten Schriftsteller-Klasse, die Mitte