Auslaufgebiet. Lotte Bromberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lotte Bromberg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783945611050
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aller Rassen. Terrier protzten vor Doggen, Dackel liebäugelten mit Schäferhundedamen – und alles ohne Leine, Straßenverkehrsordnung und Beleuchtung.

      Die entstellte Frauenleiche lag weiter draußen. Oberhalb von Krummer Lanke und Schlachtensee verteilten sich Herr und Hund weiträumig unter Eichen, Buchen und Kiefern. Hin und wieder schaute eine Rotte Wildschweine vorbei.

      MM, alte Freundin und Friseurmeisterin aus seinem Kiez hatte Jakob ihren Mops in den Arm gedrückt, damit er im Auslaufgebiet nicht auffiel und Anschluß fand. Nach wüsten Drohungen, was ihm alles blühe, nähme Hektor im finsteren Wald Schaden, war Jakob mit neun Kilo Faltenwurf am Ende einer straßbesetzten violetten Leine zur U-Bahn gestiefelt, jetzt sicherte der schnaufende Knirps breitbeinig Jakob und die Lichtung.

      Iris Gerber, das ehemalige Kind aus der Plattenbauwohnung im Osten der Stadt, hatte ein teures Penthouse am Potsdamer Platz bewohnt. Sie fuhr einen schneeweißen BMW-Roadster mit roten Ledersitzen, in ihrem Navigationsgerät war zwei Mal pro Woche als Ziel der Parkplatz Hüttenweg im Grunewald eingegeben. Sie war regelmäßig im Auslaufgebiet gewesen. Im Kofferraum des Wagens lag eine Sporttasche mit zwei Garnituren frisch duftender Joggingkleidung, daneben zwei Paar identische Laufschuhe, am einen hing noch das atemberaubende Preisschild.

      Heute war einer der Joggingtage, die Zeit stimmte, Jakob wollte ihre Laufstrecke rekonstruieren und Zeugen finden. Falls Jakob das Finden nicht verlernt hatte. Immerhin mußte er, wenn er sich täppisch anstellte, kein hämisches Kollegenpublikum befürchten, keine Buche wußte, wie sich ein professioneller Kriminaler und wie ein auf den Kopf gefallener Exbulle benahm. Oskar hatte, als er das ungewohnte Fremdeln seines Freundes bemerkte, gefeixt, er könne ihn ja vom Wald aus anrufen, falls gar niemand vorbeikäme.

      Hektor stromerte durchs Gebüsch, als sich Jakob auf dem Weg ein Rudel Wölfe näherte. Jakob rief nach dem Knirps, aber Hektor reagierte nicht. Das hier war weder sein Friseursalon noch ein Schöneberger Bürgersteig, und er eindeutig im Urlaub.

      Also ging Jakob allein auf ein Dutzend freilaufende Hunde zu. Immerhin ragte ein Erziehungsberechtigter aus ihrer Mitte. Jakob erkannte Rottweiler, Terrier, Boxer, Schäferhundmischlinge und einen Labrador. Nichtsahnend brach der gut gelaunte Hektor aus dem Unterholz.

      Jakob sah sich schon auf der Suche nach einer neuen Friseurin, aber der Schöneberger hielt sich tapfer. Alle beugten sich freudig zu dem drallen Zwerg hinunter, beschnupperten gedetschte Schnauze und Ringelschwanz. Das Straßgeschirr blinkte eitel und Hektor setzte sich erst einmal.

      »Napoleon, nicht so aufdringlich«, sagte der Mann. Der Labrador nahm die Nase aus Hektors Hinterteil.

      »Hören die alle so gut?«, fragte Jakob und behielt den Rottweiler im Auge.

      Der Mann grinste. »Neu hier?«

      »Ich führe den Hund einer Freundin aus.«

      Der Mann nickte verständnisvoll. »Ich bin Thies und wenn die nicht alle gut hören würden, hätte ich meinen Beruf verfehlt.«

      »Ich bin Jakob. Und was bist Du von Beruf?«

      Thies lachte. »Hundeausführer. Außerdem Trainer für die dazugehörigen Zweibeiner.«

      Jakob sah ihn an. Er trug eine randlose Brille vor ruhigen und genauen Augen, Cargohose und Outdoorjacke mit prallen Taschen, alles etwas abgegriffen. Seine Wanderschuhe waren ähnlich ausgelatscht wie Jakobs. »Wie wird man denn sowas?«, fragte Jakob.

      »Als Richtungswechsler. Eine Kollegin hatte einen Bioladen in der falschen Gegend, einer wartet seit zehn Jahren auf einen Studienplatz in Tiermedizin, ein anderer war mal Friseur.«

      »Und Ihr habt genug zu tun?«

      »Es gibt 100.000 Hunde in Berlin, und das sind nur die Steuerzahler. Aber laß uns ein Stück gehen, ich werde schließlich nicht fürs Rumstehen bezahlt.« Als er sich in Bewegung setzte, hampelten die Hunde begeistert los. Hektor bemühte sich, Schritt zu halten. »Jeder findet die Kunden, die zu ihm passen.«

      »Und warum gehen die Leute nicht selbst mit ihren Tieren?«

      »Machen sie ja, aber ein-, zweimal die Woche wollen sie dem Hund ein Rudelerlebnis gönnen. Es gibt natürlich auch Leute, die sich in Mitte einen schicken Weimaraner leisten und keinen Waldboden an ihren edlen Schuhen mögen. Ganz zu schweigen von denen, die berufstätig sind und acht Stunden an einem Stück weg. Oder sie werden plötzlich krank und der Hund soll trotzdem raus.«

      »Sind die denn alle friedlich?«

      »Hunde sind Rudeltiere mit ausgeprägtem Sozialverhalten.«

      Im Gegensatz zu den Zweibeinern, dachte Jakob. Gibt viel Galle in der Stadt. »Und was war Deine alte Richtung?«, fragte er.

      »Althistorisch. Erbsenzählen bei Cicero. Ist schon o. k., wenn Du dafür einigermaßen bezahlt wirst.«

      »Wurdest Du aber nicht.« Jakobs Prof hatte aus ihm einen promovierten Literaturwissenschaftler machen wollen. Aber Literatur half nicht beim Umgang mit dem jämmerlichen Tod geliebter Menschen, Jakob brauchte einen Richtungswechsel.

      Das Zeitlupenableben seiner Mutter hatte Jakobs Kindheit wie eine dräuende Wetterfront begleitet, er verstand eindeutig am meisten von Sterbenden und Toten. Dem Medizinsystem traute er außer sadistischer Hilflosigkeit nichts zu, als nekrophiler Beruf fiel ihm nur noch Bestatter ein.

      Er hospitierte bei einem Sarghersteller, wusch Leichen und entwarf Trauerreden. Eines Morgens las er über seinen Pausenkaffee gebeugt in der Morgenpost von einem mörderischen Familiendrama, dachte sich, das Knäuel hätte er gern und besser entwirrt und bewarb sich bei der Kripo. Der Umgang mit Mördern und Toten, deren mitten im Satz abgerissene Geschichte er zuende erzählte, schlug bis heute jedes Doktorandencolloquium.

      »Drei Monate Drittelstelle«, antwortete Thies, »paar Monate Pause, wieder Drittel. Ich saß in einer Einzimmerbude in Neukölln und habe mir eingebildet, für ein authentisches Leben als Wissenschaftler zu darben.«

      »Und hattest Zeit für einen Hund.«

      »Dessen Hundesteuer ich dann nicht mehr zahlen konnte.«

      »Und jetzt?«

      »Muß ich Neukunden ablehnen. Brutus, laß das.« Ein Jack-Russel zog den Kopf aus einem Mauseloch.

      »Sind das alles Historikerhunde?«

      Thies deutete auf eine schmalen Podengo mit riesigen Ohren, durch die die Sonne schien. »Mommsen. Das professorale Herrchen hat eine Finca auf Mallorca. Dort schreibt er seine ungelesenen Bücher und mümmelt Oliven.«

      »Die Drittel sind ungerecht verteilt.«

      »Jetzt bekomme ich ja auch ein paar Krumen davon ab. Übrigens«, Thies deutete auf Hektor, »zwei Speckrollen weniger würden ihm guttun, sag das Deiner Freundin.«

      Jakob seufzte. »Ihr Sohn ist Staatsanwalt, schämt sich für seine wellenlegende Mutter und läßt sich zu selten blicken.«

      »Und die Liebe muß irgendwohin, verstehe.«

      »Apropos Liebe«, Jakob zog ein Photo von Iris Gerber mit vollständigem Gesicht hervor, »kennst Du diese Frau?«

      Thies griff sich Jakobs Kopie und schüttelte den Kopf. »Zeig mir lieber ein Bild ihres Hundes.«

      »Sie hatte keinen.«

      »Hatte?«

      »Die Leiche da hinten, das war sie.«

      »Bist Du Bulle?« Er blieb abrupt stehen, seine Hunde auch.

      »Suspendiert. Ich habe trotz Krankschreibung gearbeitet.«

      »Der Berliner Öffentliche Dienst bestraft neuerdings Leute, die freiwillig arbeiten?« Thies lachte.

      »Dann war da noch meine geladene Dienstwaffe auf dem Tisch neben einem Geiselnehmer.«

      »Ups.«

      »Ich lag auch da, unter dem Tisch.« Jakob seufzte. »Bewußtlos, mit Spucke vor dem Mund.«

      Thies