Auslaufgebiet. Lotte Bromberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lotte Bromberg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783945611050
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sah, die ihm den Weg zum Täter wiesen, war es zu spät für Oskars treue Neuköllner Seele.

      Natürlich überforderte ihn das. Er war Bulle, hatte das Abitur mit Petting gewonnen, schnarchte bei jedem Buch ab Seite fünf, hatte keinen Bock, irgendwelchen Arschlöchern in die Seele zu gucken und war froh, wenn ihn Geister, die es natürlich ohnehin nicht gab, in Ruhe ließen. Aber wen interessierte das schon. Irgendwer da oben hatte ihm diesen langen Spinner auf den Schoß gesetzt, da half kein Jammern. Oskar hob also die Fäuste hoch und verteidigte den Paradiesvogel gegen jeden, der auch nur zischend Luft holte.

      Und Luft geholt wurde reichlich. Erst fand man die Geisternummer kleidsam und verdrehte in Jakobs Rücken die Augen. Aber dann entdeckte die akademische Wunderlatte, daß der altgediente Kollege Pommerenke seine Geliebte ermordet und einen Unschuldigen an seiner statt hinter Gittern versenkt hatte. Die Reihen schlossen sich. Nicht hinter Jakob, dem Aufdecker und Moralisten, sondern rings um die mordende Kumpelseele Pommerenke.

      Oskar wich mit seinem Franzosen fluchend einem auf dem Weg liegenden Ast aus. Achsbruch im Wald, das fehlte ihm noch. Ruf mal eine Pannenhilfe in die Berliner Forsten.

      Das wäre ein Fall für Jakob, überall Gegend, Bäume bis zum Horizont. Oskar gehörte auf Asphalt. Baumscheiben für die Fiffis, der Rest für ihn. Als er acht war, fand der Vater seinen Sohn zu fipsig und verordnete sonntäglich frische Luft. Oskar schlug das gerade anlaufende deutsch-amerikanische Volksfest vor. Stattdessen nahmen sie U-Bahn und Bus, um auf irgendeiner Ausflugswiese zu landen, meist am Wasser. Dann gab es rote Weiße, die Sonne brannte, Oskar langweilte sich und zählte Bäume.

      Er brauchte das alles nicht. Sicher war Berlin quietschgrün. Spree und Havel, die Seen, der Tegeler Forst, die Müggelberge, der Grunewald. Und dazu der Kleinkram der Proletenstadt. Kein Kiez ohne Park, alle grillten auf löchrigem Rasen, fläzten sich auf Bänken, rauchten Tabak und Shit, tanzten zu orientalisch jaulenden Radios, sangen sozialistische Kampflieder unter klapprigen Bäumen, führten scheißende Hunde und Pflanzen rausreißende Kinder in Wald und Flur, einzigartig. Zum Protzen in der weiten Welt war das super, aber nüscht für Oskars Freizeit.

      Die letzten zweihundert Meter bis zum Tatort mußten sie doch zu Fuß gehen, Oskars Schuhe sahen aus wie die eines Bauern, er war sauer. Auf einer kleinen Lichtung abseits des schmalen Waldweges tummelten sich die Kollegen. Oskar sah kein einziges Auto, nur zwei an einen Baum gelehnte Fahrräder. Wollten die die Leiche auf den Gepäckträger nehmen?

      »Morgen, Hanno«, sagte er zum Rücken des Spurensicherers. Hanno trat einen Schritt zurück, in Oskars Magen schaukelte das hastige Frühstück. Er zählte auf die Schnelle sieben Einzelteile einer Frau. Knapp vor ihm lag eine Hand, der kleine Finger fehlte zu zwei Dritteln, die übriggelassenen Nachbarn leuchteten rot lackiert. Teure Klunker, scharfer Mini, abseits lagen schicke Pumps. Völlig deplaziert, mal abgesehen vom zerfledderten Zustand des Körpers.

      »Unsere Schlachtermeisterin aus Baden-Württemberg wäre beleidigt«, sagte Hanno. »Kein Handwerk, eine Riesenschweinerei.«

      Oskar schluckte. »Der fehlt ja ein Ohr.«

      »Das nehmen sie gern zu Anfang.«

      »Wer, zum Teufel?«

      »Die Wildtiere«, sagte Hanno. »Ratten, Füchse, so’n Zeugs. Genauer kenn’ ich mich nicht aus, Wald ist nicht so mein Ding.«

      »Was Du nicht sagst.«

      Hanno lachte. »Deins auch nicht, soweit ich weiß.«

      »Aber eine Frau ist das schon?« Oskar sah sich um.

      »Einen Schwanz brauchen wir gar nicht erst zu suchen.«

      »Der kommt noch vor den Ohren?«

      »Sie hatte keinen. Eine Brust ist übrigens auch weg. Sieht man bloß nicht durch das viele Blut und den dunklen Pullover.«

      Oskar wurde grau.

      »Jetzt kotz’ mir hier nicht hin, Hauptkommissar.« Hanno klopfte ihm auf die Schulter. »Die nächste Leiche finden wir sicher wieder in geschlossenen Räumen.«

      »Wenigstens ein versiffter Hinterhof dürfte es sein.« Oskar sah zu den Bäumen hoch und auf den knallblau zuversichtlichen Berliner Himmel dahinter. »Wißt Ihr schon was über die Todesursache?«

      »Nee, das dauert. Außerdem war noch kein Rechtsmediziner da. Aber wenn Du mich fragst, wir sind hier im Hundeauslaufgebiet.«

      »Was soll das heißen?«

      »Hunde stammen von Wölfen ab, Du weißt schon.«

      »Berliner Fiffis sollen eine Frau zerfleischen?«

      Hanno beugte sich vertraulich zu Oskar vor. »Mich hat mal ein Pudel gebissen. Mußte mit vier Stichen genäht werden.«

      »Der wollte an Deine Eier, wetten?« Oskar lachte und zog sein Handy aus der Tasche. »Das heißt, ich soll hier ermitteln. Kein harmloser Suizid, kein Herzinfarkt durch Sauerstoffüberschuß?« Er deutete auf den Wald ringsum. »Oskar Blum unter Eichen.«

      »Das sind Buchen, Du Depp«, sagte Hanno.

      Oskar seufzte. »Das habe ich schon befürchtet.« Er tippte die Kurzwahl Null in sein Handy. Das war eindeutig etwas für kopfkranke Geisterseher.

      Seine Schwester biß ihn in den Rücken. Knurrend machte er eine Rolle rückwärts auf sie zu. Hell bellend hopste sie zur Seite. Gemeinsam jagten sie über die Wiese, schnell hatte er sie eingeholt, mit weit geöffnetem Maul stürzte er sich auf ihren Nacken, zog an ihrem Fell und rüttelte. Er hatte Haare im Hals, hustete und würgte. Seine Schwester fiepte unterwürfig, drehte sich auf den Rücken und streckte ihm die Beine entgegen.

      Er verlor das Interesse, sah über die Wiese und trollte sich zu den Erwachsenen. Seine Mutter schlief, die anderen dösten. Sie hatten ein Reh erlegt, erst gestern, und waren alle satt und blutbesudelt. Nur der alte Rüde putzte sich, leckte sorgsam mit geschlossenen Augen seine Vorderläufe.

      Er zupfte Gras, setzte sich hin, hob den Hinterlauf unentschlossen zum Ohr und kratzte sich. Ging über zur Lefze, dem Hals. Eine Fliege kam ihn zu ärgern. Er schnappte nach ihr, sprang auf, schlug Haken, hielt plötzlich inne und legte sich ins Gras.

      In ihm zog es wieder. Er fiepte und legte den Kopf auf die Pfoten. Sein Herz schlug um das Ziehen herum, kreiste es ein. Er fraß etwas Gras, ein paar Gänseblümchen, kaute ausgiebig, die Blütenblättchen kitzelten ihn, das Ziehen blieb. Er stand auf und pinkelte an die nächstbeste Kiefer, neuerdings hob er das Bein. Er blickte auf seinen dampfenden Urin, kontrollierte den Geruch, bellte auffordernd, aber seine Geschwister beachteten ihn nicht.

      Die sich senkende Sonne wärmte seine Nase, er nieste. Von dort rief ihn etwas. Er witterte und ließ den Kopf kreisen. Scharf, kühl und fremd schien ihm die Witterung. Er folgte ihr bis an den Rand der Wiese, bis zur Anhöhe vor dem Wald. Blieb stehen, witterte erneut, sah zurück. Seine Mutter gähnte. Sein Bruder schlug Purzelbäume, bellend verfolgt von seiner Schwester. Ein Schlag ging durch seinen Körper, er tollte den Abhang hinunter und stürzte sich auf seinen Bruder. Gemeinsam rollten sie durch das Gras.

      Jakob Hagedorn sah in den Motorraum eines antiquarischen Bullis und fragte sich, wohin mit dem Schraubenzieher.

      »Find’ste wenigstens den Keilriemen, Schatzi?« Grete gackerte.

      Jakob grunzte und überlegte, ob er sich von einer 80jährigen in Faltenrock, Strumpfhose und Wanderstiefeln auf einem Brandenburger Waldparkplatz beleidigen ließe. »Hat der überhaupt TÜV?«

      »Noch vier Wochen, kein Grund, nervös zu werden.«

      Jakob tauchte aus dem Motorraum auf. »Wir brauchen eine Werkstatt.«

      »Blödsinn. Seit zwanzig Jahren repariere ich dieses Auto selbst.« Sie nahm ihm den Schraubenzieher aus der Hand.

      Diese verschrumpelte Schachtel mit ihren himmlisch blauen Augen machte Jakob völlig wehrlos. Erstmals begegnet waren sie sich im vergangenen