Auslaufgebiet. Lotte Bromberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lotte Bromberg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783945611050
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wenn ich den Auftrag ablehne?«

      Der Mann lächelte, öffnete den zweiten Umschlag und schob ihn auf den Schreibtisch. »Unsere Juristen haben einen Vertrag aufgesetzt. Sie müßten auf der letzten Zeile unterschreiben.« Er zog einen Kugelschreiber aus dem Jackett und legte ihn auf den Umschlag.

      Dao schob beides zurück. »Sind Sie fertig?«

      Er zog einen wattierten Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke. »Im Erfolgsfall erhalten Sie einen Bonus. Das heißt, wenn Sie den Täter vor der Polizei finden und meinem Auftraggeber seinen Namen nennen.«

      »Und dann? Will er selbst die Gerechtigkeit wiederherstellen, bevor das Recht dazwischenfunkt? Kann es sein, daß Ihr Auftraggeber Russe ist?«

      Der Mann lachte knarrend. »Er ist Kanadier und Philanthrop.«

      »Reich und ein guter Mensch? Das gibt es nicht«, antwortete Dao.

      »In der Reihenfolge schon. Erst kommt das Geld …«

      »Und dann die Moral. Altes vietnamesisches Sprichwort.« Dao lehnte sich zurück. »Warum habe ich das Gefühl, daß das alles nicht ganz koscher ist?«

      »Seien Sie unbesorgt. Mein Auftraggeber geht nur den direkten Weg und bleibt dabei selbst verborgen.«

      »Er will mich mit Geld zunebeln.«

      Der Mann schwieg.

      »Ich will wissen, auf wen ich mich einlasse und warum er so viel Geld in etwas Vorsprung zu investieren bereit ist.«

      »Ich erhöhe auf 100.000 Dollar.«

      Dao wies auf die Tür.

      Der Mann zog sein Handy hervor, tippte und wischte geduldig und wandte sich schließlich wieder Dao zu. »Wenn Sie ein paar Sachen packen könnten. Unser Chauffeur fährt sie dann zum Flughafen.«

      »Wie lange werde ich fort sein?«

      »Achtundvierzig Stunden. Es sei denn, Sie möchten den Aufenthalt verlängern. Der Ort, an dem mein Auftraggeber lebt, ist beeindruckend. Wildnis, so weit das Auge reicht. Können Sie reiten?«

      »Mit Natur bin ich nicht zu bestechen. Sagen Sie dem Chauffeur, ich erwarte ihn in zwei Stunden.«

      Jakob saß in einem Schlachtenseer Biergarten und sah fasziniert auf das schuftende Gebiß von Marie, die einem Berg von Spare rips, nachdem sie sie in farbenfrohe Soßen getunkt hatte, den Garaus machte. Ihre Finger trieften vor Fett, sie schmatzte. Zu ihrer Linken dösten ein hünenhafter Ridgeback, ein bulliger Rottweiler und ein putziger Terrier in der sich senkenden Vorfrühlingssonne.

      Er hatte Hektor zwischen Hauben abgeliefert, der tat MMs Untersuchungen auf körperliche Unversehrtheit als unmännlich ab, stieg auf seinen Leopardenimitatsessel und fiel nach Sekunden ins Koma. Bei Jakobs Verabschiedung bellte und zuckte er im Schlaf.

      »Kenn ick«, sagte Marie mit vollem Mund, als Jakob ihr das Photo von Iris Gerber zeigte. »Joggt in den teuersten Markenklamotten, die gerade auf dem Markt sind, durch mein Rudel und als der eine oder andere sie beschnuppern will, keift sie los wie ein Waschweib. Hundehasserin Marke Ost. Streit gesucht hat sie.« Sie leckte die Finger geduldig einzeln ab. »Konnte froh sein, daß keiner sie angegriffen hat. Mittendurch, manche Leute haben wirklich eine Vollmeise.« Sie tippte sich eine Fettspur auf die Stirn.

      »Und was hast Du gemacht?«, fragte Jakob.

      Stirnrunzelnd sah sie ihn an. »Zurückgekeift natürlich, was denkst Du. Grober Klotz, grober Keil. Ich persönlich bin ja hinterhofgeschult. Kindheitsmäßig gesehen. Aber die Zehlendorfer Pfeifen versuchen es. Triebabfuhr, sagt ein Kunde immer. Sieht die Ein-Euro-Jobber-Hundetussi aus wie ein ungewaschenes Opfer und dann wehrt die sich.« Sie lachte mit entblößten Zähnen, ebenmäßig weiß mit Fleischresten garniert. »Die Welt war früher einfacher.«

      »Hat sie klein beigegeben?«

      »Mit ’nem Anwalt gedroht.« Sie winkte ab. »Aber ich pöbele nicht justinabel. Habe ich von einem Kunden. Schneckchen und Hohlwand kost nix, Schlampe ist teuer.«

      »Vorderhaus hilft Hinterhof.«

      »Bei gemeinsamen Interessen.« Der Ridgeback stand auf und kratzte sich umständlich. Seine Hoden baumelten im Takt. Er riskierte einen Blick auf den Rippenteller, unauffällig.

      »Und gab es ein Nachspiel mit der Frau?«, fragte Jakob.

      »Jede Woche haben wir uns getroffen. Wollte keine andere Strecke laufen, und so weit kommt’s noch, daß ich mein Revier aufgebe.«

      »Finstere Blicke, böse Worte, oder mehr?«

      »Nee, Meister, abgemurkst habe ich sie nicht. Brust raus und den längeren Atem, sonst nüscht. Diese neureichen Tussen halten nicht durch. Aber den Förster hat sie mir auf den Hals gehetzt. Und der hat das Hacke übergeben, seinem Pitbull. Schlimme Sitten, statt ’ne Niederlage hinzunehmen, klimpert man mit den teuren Wimpern und ruft nach männlichem Schutz. Den Pitbull solltet Ihr Euch übrigens mal angucken.«

      Waldarbeiter Hacke hatte ihn angelogen, sieh an. Von wegen, kenn’ ich nich’. »Habe schon erlebt, daß der etwas speziell ist.«

      Sie lachte wieder und tunkte die letzte Rippe in den Ketchup. »Besonders für knackige Frauenärsche im Auslaufgebiet.«

      »Und für pazifistische Amseln.«

      Dao haßte es zu fliegen. Aber es ging um einhunderttausend Dollar. Also schob sie das unendliche Meer unter sich in die Obhut von zwei Valium. Daß sie nach fünf Stunden schon wieder die Augen öffnete, zeigte, wie stark ihe Angst war. Immerhin erfuhr sie so, daß der Privatjet, dessen einziger Gast sie war, gen Westen flog. Als sie unter sich das Meer durch eine Wolkenlücke blinzeln sah, griff sie sofort nach der Valiumpackung und nahm drei auf einmal.

      Sie war zu klein gewesen, um sich an die Nußschale zu erinnern. Aber immer wieder hatten Nguyens von den Schrecken des Südchinesischen Meeres gesprochen, von ihrer in die Fluten stürzenden Mutter und dem hinterherspringenden Vater. Jeden Sonntag hatte Dao in den kargen Kirchen Oldenburgs Kerzen entzündet und Vaterunser gebetet für ihre ersoffenen Eltern. Inzwischen erschien es ihr, als hätte sie all das gesehen bei geschlossenen Lidern.

      Als Dao sich später weigerte, im örtlichen Freibad schwimmen zu lernen, hatte ihr Vater gedroht, sie ende wie ihre leiblichen Eltern. Auf ihre Frage, ob die nicht hätten schwimmen können, antwortete er, keiner von uns. Dao wurde still und verkündete am nächsten Morgen, wenn er ihr erklären könne, warum der Vater dann gesprungen sei, mache sie das Seepferdchen.

      Sie blieb Nichtschwimmerin, mied sogar den Beckenrand und jede Badewanne und haßte das Meer. Für seine unendliche Größe, kalte Tiefe und weil es das Grab ihrer Eltern war.

      Taumelnd verließ sie schließlich den Jet, um in eine Propellermaschine umzusteigen. Sie erkannte weder das Land noch den Flughafen. Direkt nach dem Start der zugigen Maschine fiel sie erneut in tiefen Schlaf. Irgendwann wurde sie so sanft wie nachdrücklich geweckt, man bot ihr etwas zu essen an. Sie lehnte ab, bat, als sie nicht enden wollende Waldflächen unter sich sah, um eine Flasche Wasser, und versuchte, die Macht des Valiums zurückzudrängen. Immer wieder nickte sie ein, aber als man sie schließlich in einen Hubschrauber umsteigen ließ, ging sie bereits einigermaßen sicher.

      Der überflog bis zum Horizont reichende Weiden, Hänge mit Wäldern und zahllose Wasserflächen. Dao hatte keine Ahnung, wo sie gelandet war. Keine Dörfer, keine Autos, nicht einmal Straßen oder Pisten. Keine Reklametafeln, nirgendwo Sprache, nichts, woran man hätte festmachen können, wo sie war.

      Der Helikopter setzte schließlich auf einer Landefläche im grünen Nichts auf, ein staubiger Jeep erwartete sie. Es ging über Sand- und Steinpisten, zwei Mal durch Wasserläufe bis an den Rand einer Ranch. Sie durchfuhren ein geöffnetes Tor, auf beiden Seiten erstreckten sich Zäune bis zum Horizont, Pferde und Rinder streiften durch die Weite. Schließlich erschien vor ihnen ein so flaches wie ausuferndes Blockhaus aus mächtigen Rotzedernstämmen. Sein Dach war mit Gräsern bewachsen, große Bäume, die Dao nicht kannte, schützten es nach Norden. Auf die