Morde und andere Gemeinheiten. Daniel Juhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daniel Juhr
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783942625388
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      Till wartete im Brauhaus am Marktplatz auf Katja, die ihn angerufen hatte. „Till, können wir uns treffen, bitte?“, hatte sie gebeten. Außer Atem kam sie angeradelt. „Meine Mutter“, keuchte sie, „es ist schrecklich mit ihr. Ich halte es nicht mehr aus. Du musst mir helfen.“ Sie setzten sich an einen Tisch. Katja sah blass aus, übernächtigt und irgendwie krank. Sie bestellten zwei Cola. „Du bist gut“, sagte er bedächtig, „einmal sagst du, es ist aus und bist mit dem komischen Sportwagen-Typen zusammen. Jetzt auf einmal willst du wieder was von mir wissen?“ Sie tat ihm leid. Ihre Stimme hatte am Telefon so merkwürdig geklungen, irgendwie hilflos. Und damit hatte sie ihn ins Innerste getroffen. Sie war immer „sein Mädchen“ gewesen, schon seit der Schulzeit hatte er sie geliebt, und seine Gefühle für sie waren mit den Jahren weiß Gott nicht kleiner geworden. Katja standen die Tränen in den Augen. „Ich weiß, es war blöd von mir. Wahrscheinlich habe ich mir etwas vorgemacht, weil er so ein geiles Auto hat und die riesige Wohnung und so. Aber jetzt“, sie schluchzte auf einmal laut auf, „er ist ganz anders, als ich dachte.“

      „Dann mach Schluss mit ihm und fertig.“ Schnell war er mit seinem Rat bei der Hand. Er begriff sie nicht. Katja stand auf und wandte sich zur Tür. „Du willst das nicht verstehen, so einfach ist das nicht. Es tut mir leid, dass ich dich angerufen habe.“ Schon war sie draußen. Er warf eine Münze auf den Tisch und rannte ihr über den Vorplatz hinterher. Zu spät, sie war schon fort. Am Abend stand wieder der schwarze BMW auf dem Surgères Platz.

       September

      Immer öfter hatte er sie angerufen, um sie zu seinen Partys nach Wuppertal zu holen. Katja konnte nicht mehr, war verzweifelt und begann sich ernsthaft zu wehren. „Lass mich in Ruhe, ich will nichts mehr mit dir zu tun haben“, schrie sie Paul an, als er sie wieder einmal zu einem Treffen befahl. „Das wirst du dir nochmal überlegen“, kam es postwendend zurück. „Du bist heute Abend an der gleichen Stelle, oder ich erzähle deiner Mutter, was du machst! Du wirst schon sehen“, hatte er sie gewarnt. Da war sie doch wieder auf den Surgères Platz hinuntergelaufen. Aber als sie seinen Wagen sah, war ihre Verzweiflung so groß, dass sie nicht einsteigen konnte. „Ich will nicht mehr“, rief sie ihm durchs Fenster zu, wandte sich um und rannte verzweifelt fort. Quer über die Straße hinweg, über die Kreuzung und in die Gartenstraße hinein rannte sie, als ob der Teufel hinter ihr her sei. Nun ertönte ein Motorengeräusch hinter ihr, dessen Sound sie ganz genau kannte. Seitwärts hetzte sie in die Zufahrt zum Hausmannsplatz hinein und dann weiter Richtung Wupper. Dann hörte sie Schritte hinter sich. Bis zur Figur des Putschers kam sie, dort hielt sie außer Atem einen Moment still. Im gleichen Moment riss sie jemand an der Schulter herum, ein Faustschlag traf sie so heftig in den Magen, so dass sie wie ein Taschenmesser zusammenklappte. Den Tritt gegen ihren Kopf hatte sie noch gespürt, dann war alles dunkel geworden. Sie lag auf dem Boden, als sie wieder zu sich gekommen war. Ihr Kopf und ihr Körper schmerzten und ihr Magen rebellierte. Mühsam rappelte sie sich auf und humpelte nach Hause.

      Frank Spackig, Zeitungsreporter des Lokalblatts, war noch spät unterwegs. In der Alten Drahtzieherei hatte eine Band gespielt. Müde trat er aus dem Foyer auf die Straße. Er beschloss, noch in die Redaktion zu gehen, um die Fotos, die er gemacht hatte, in den Redaktionscomputer einzustellen, und schlug den Weg über die schmale steinerne Wupperbrücke ein, die auf den Hausmannsplatz mündete. Als die Glocke einmal schlug, schaute er instinktiv zum Kirchturm. Viertel nach elf, stellte er fest. Quer über den Platz torkelte ihm ein Betrunkener entgegen. Vor sich hin brabbelnd, näherte er sich dem Putscherdenkmal: „Du armes Männchen, ich werde dir jetzt was zu trinken geben.“ Während er an seiner Hose herum nestelte, geriet er ins Wanken. „Schei …. ße“, stöhnte er und schlug lang hin. Sein Kopf knallte auf den Sockel der Figur. Frank war stehengeblieben und hatte der Aktion des Betrunkenen zugeschaut. Als dieser stürzte, rannte er zu ihm hin. „Warten Sie“, Frank wollte ihm aufhelfen, als er sah, dass der Mann heftig aus einer Kopfwunde blutete und sich nicht rührte. Frank überlegte keine Sekunde und wählte den Notruf. Es dauerte nicht lange, bis der Notarztwagen kam. „Bestimmt eine Gehirnerschütterung, wenn nicht mehr“, konstatierte der Notarzt und wies die Sanitäter an, den Betrunkenen sofort in die Heliosklinik zu transportieren. Frank schüttelte den Kopf, als sie fort waren, und versuchte, die Blutlache am Fuß des kleinen Denkmals zu fotografieren. Da fiel ihm etwas auf. Nicht nur am Boden war Blut, sondern auch an der Figur selbst. Jedoch nicht an der Seite, an der der Betrunkene hingeschlagen war. Sehr viel Blut befand sich auch auf der anderen, der rechten Seite. Am Mützenrand der Figur war ein dunkler Blutfleck und unterhalb der Figur auf der gleichen Seite entdeckte er ebenfalls viel Blut. Das konnte auf keinen Fall von dem Betrunkenen stammen. Frank fotografierte und fotografierte, viel zu hektisch, man würde sehen, ob die Bilder etwas geworden waren. War das ein Abend! „Da steckt eine gute Story drin“, freute er sich und rief die Polizei an.

      Während er wartete, ging er noch hinüber zur Wupperbrücke. Dort hielt er inne. Durch einen mehrtägigen Regen war die Wupper kräftig angeschwollen, schäumend stürzte das Hochwasser unter der Brücke flussabwärts. Wegen der Dunkelheit konnte er jedoch kaum etwas erkennen. Dann kam der Streifenwagen auf den Platz gefahren. Einen der beiden Beamten, die ausstiegen, kannte er: Es war Theo Hoffmann, mit dem er im Hansecafé ab und an ein Bier trank. Frank erzählte, was geschehen war. Mit Taschenlampen leuchteten die Männer die Unglücksstelle aus, richteten ihr Augenmerk auf die blutigen Flecken an der rechten Seite des Denkmals. „Die sind noch nicht alt“, meinte Theo, „das sieht man an der Farbe.“

      „Was passiert jetzt?“, fragte Frank neugierig, denn er wollte so viel Information wie möglich sammeln. „Heute Nacht können wir nicht mehr viel machen“, meinte Theo, „wir decken alles ab und informieren die Kripo, die soll Proben nehmen und andere Spuren. Wenn es ein Tatort ist, dann werden sie es schon herausfinden.“ Die Männer zogen eine Plane über die Figur und sperrten den Zugang durch breite Absperrbänder ab. Frank war müde, es war nun schon weit nach Mitternacht. Er ging nicht mehr in die Redaktion, sondern sofort nach Hause.

      Niemand bemerkte die Gestalt, die am Wupperufer hinter dem Fitnesscenter gelauert und den Männern zugehört hatte.

      Am nächsten Morgen ging Frank in aller Herrgottsfrühe wieder zum Putscher. Noch war niemand von der Polizei eingetroffen. Wieder stellte er sich auf die schmale Brücke und schaute über die Brüstung hinunter in den Fluss. Am unzugänglichen Ufer hatten sich allerlei Zweige und Äste gestaut, Plastikflaschen und sogar ein Eimer lagen dazwischen. Gerade, als er weitergehen wollte, gewahrte er ein dunkles unförmiges Gebilde im Gestrüpp. Im gleichen Moment bewegte es sich hin und her, sich umdrehend und aus dem Geäst lösend, schoss es durch die Strömung pfeilschnell davon. Frank hielt den Atem an, glaubte, für eine Sekunde deutlich ein menschliches Gesicht zu erblicken. Oder hatte er sich geirrt? Hatte ihm seine Fantasie einen Streich gespielt? Er rannte bis zur Wupperstraße, wandte sich westwärts und jagte dem Lauf der Wupper nach, bis er ganz außer Atem innehielt. So hatte das alles keinen Zweck, erkannte er, nahm sein Handy und wählte die Nummer der Polizei. Als er schilderte, was er zu sehen glaubte, zögerte der Beamte in der Leitstelle nicht lange, sondern rief Verstärkung. Sorgfältig wurde das Ufer der Wupper abgesucht. Keine fünfhundert Meter weiter fand man ein längliches Bündel, das sich an einer Baumwurzel am Ufer verfangen hatte. In der Hansestadt blieb ein derartiges Ereignis natürlich nicht lange verborgen. Rasch waren Neugierige herbeigeeilt, doch schnell war eine weitere Absperrung in einem großen Halbkreis um den Fundort errichtet worden.

       Oktober

      „Häste gehoort? Waar doch ins!“, Uschi hatte Jasmin durch den Spion ihrer Wohnungstür gesehen, die gerade die Treppe hinunter gehen wollte. Rasch öffnete sie die Tür und rief ihrer Freundin nach: „Die hävt jüstern ne Duden jefungen, dä looch in där Wupper.“ Jasmin wandte sich um: „Du lieber Gott, was ist denn da wohl passiert? Übrigens, weißt du, wo Katja ist?“ „Die hät bie ner Fründin jeschloopen, et kümt hütt nommdach wir.“

      „Ach so“, meinte Jasmin nachdenklich und verabschiedete sich. „Ich muss zum Einkaufen.“

      „Jasmin“, hörte sie Uschi noch hinter sich rufen, „wees du, wat mi dä Katja loss is?“ Sie erhielt keine Antwort. Da zuckte sie mit den Achseln und schloss ihre Wohnungstür. Sie