Dracheneid. Tilo K. Sandner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tilo K. Sandner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783939043478
Скачать книгу
sich gerade wackelig vom Boden erhob. Dann sah er zu ihrem Lebensretter, dem weißen Wolf, der von zwei Pfeilen getroffen, am Boden lag und sich nicht mehr bewegte. Rasch hielt er nach Tork Ausschau, aber er konnte den Keiler nirgends entdecken.

      „Tork ist tot“, hörte er Jordills traurige Stimme, die krampfhaft nach Luft und Fassung zu ringen schien.

      Tot? Das konnte doch nicht wahr sein!

      „Sarkaroll sut ragosdnith“, erklang hinter einem Busch eine tiefe Stimme.

      „Auch ich grüße euch und danke für die Rettung in höchster Not“, antwortete Jordill in der Menschensprache, damit sein Freund verstehen konnte, was gesprochen wurde.

      Jetzt traten fünf riesige Männer aus einem der Büsche hervor und kamen direkt auf sie zu. Adalbert vermutete sofort, dass es sich bei diesen fünf vermummten Gestalten um die geheimnisvollen Kapuzenmänner handeln musste, von denen ihm schon die kleine Birgit an der Drachenschule erzählt hatte.

      In einem Abstand von knapp drei Mannslängen blieben sie unerwartet stehen und der Anführer sagte leise wieder etwas in der Elfensprache.

      „Er bittet uns, uns zuerst um unseren Freund Tork zu kümmern. Ihre Gegenwart sei nicht so wichtig wie die Trauer um die Toten“, übersetzte Jordill, wobei er sich erneut mit dem Handrücken über die Wange strich, um sich eine weitere grünliche Träne wegzuwischen.

      Adalbert wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Einerseits wollte er natürlich zuerst nach Tork schauen, obwohl er sich vor dem fürchtete, was er wohl zu sehen bekommen würde. Andererseits waren da diese seltsamen Männer, die ihre Gesichter so tief in den großen Kapuzen verbargen, dass er außer einem dunklen, undefinierbaren Schatten nichts erkennen konnte. Selbst die Hände steckten in Handschuhen. Nicht zuletzt gab es auch noch den riesigen weißen Wolf, der bestimmt doppelt so groß war wie sein treuer Hofhund Moritz. Warum hatte er ihnen wohl geholfen? War das vielleicht sogar der Wolf, der in der vorletzten Nacht an ihrem Lager gewesen war?

      Ohne diese Fragen beantworten zu können, ging er zu seinem Elfenfreund, der einige Schritte entfernt reglos vor einem völlig zerfetzten Körper stand. Überall um sie herum waren grässliche Fleisch- und Fellstücke verteilt und unglaublich viel Blut verspritzt. Das Blut ihres treuen Freundes Tork.

      „Dieses Ende hatte mein Onkel nicht verdient“, klagte Jordill leise, als er sich zu dem toten Körper hinabbeugte und eine Stelle zärtlich streichelte, die vielleicht einmal der Kopf des Ebers gewesen sein mochte. Nun rannen auch Adalbert die Tränen unkontrolliert aus den Augen. Schon wieder wurde er mit dem Tod eines lieben Freundes konfrontiert.

      „Wir werden diese bestialischen Ungeheuer jagen, bis wir jedes einzelne von ihnen zur Strecke gebracht haben!“, zischte er wütend zwischen seinen Zähnen hindurch.

      „Das werden wir nicht tun, mein Freund. Erstens haben wir für diese Rache im Moment keine Zeit und zweitens können wir die Narsokk-Wölfe nicht töten. Hast du nicht gesehen, dass sie trotz der vielen Pfeilwunden nicht bluteten?“

      Adalbert nickte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was er bereits vorher im Unterbewusstsein wahrgenommen hatte, ohne es tatsächlich zu realisieren. Diese Bestien hatten weder geblutet noch waren sie ihren tödlichen Verletzungen erlegen. Lediglich Schmerzen schienen sie zu empfinden.

      „Wie kann das sein?“, fragte er verwundert.

      „Die Narsokk-Wölfe sind keine lebenden Wesen. Das siehst du auch an ihren seltsamen Augen. Sie wurden schon vor Hunderten von Jahren von dem schwarzen Druiden Rettfill gezüchtet, um Angst und Schrecken über dem Land zu verbreiten. In der Elfensprache bedeutet das Wort narsokk ungefähr so viel wie blutleer. Den Grund für diesen Namen hast du heute selbst erkannt.“

      Als Adalbert sah, wie liebevoll Jordill den Kadaver streichelte, musste er daran denken, wie oft der Elf frech über den Keiler hinweggesprungen war oder Rad schlagend über seinem Kopf geturnt hatte. Bei diesen Gedanken liefen die nächsten Tränen aus seinen Augen, doch er schämte sich nicht dafür.

      „Wenn wir Tork schnell in den Elfenwald bringen, kann er dann die nächste Wandlung vollziehen?“, fragte Adalbert mit einem schwachen Hoffnungsschimmer in seiner Stimme.

      „Nein, das geht nicht. Die Narsokks haben von ihm nichts übrig gelassen, das noch zu retten wäre. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als ihn hier so liegen zu lassen.“

      „Das können wir nicht tun! Wir müssen unseren Freund doch wenigstens begraben“, entgegnete Adalbert entsetzt.

      „Wie sollen wir das machen? Der Boden ist so hart gefroren, dass wir kein Grab für ihn ausheben können. Wir werden Tork unter ein paar Steinen begraben und ihn erst einmal hier liegen lassen müssen. Erst wenn wir die Drachenlady Murwirtha gefunden haben, können wir ihn zum Nasli Karillh mitnehmen“, war Jordills traurige Erklärung, die Adalbert zu gut verstand, auch wenn er überhaupt nicht damit einverstanden war.

      In diesem Augenblick trat der Anführer der Kapuzenmänner ein paar Schritte auf sie zu und flüsterte erneut ein paar leise Worte zu Jordill. Auch jetzt konnte Adalbert keinen klaren Blick auf das Gesicht des riesigen Mannes erhaschen.

      „Sie mögen es nicht, wenn man sie so direkt ansieht“, warnte Jordill seinen Freund, der diesen Hinweis sofort verstand und seine Neugier zügelte. Irgendwann würde er das Gesicht des Fremden schon noch zu sehen bekommen, davon war er überzeugt.

      „Der Anführer der fünf Estrilljahner, wie wir Elfen die Kapuzenmänner nennen, hat mich gebeten, dass sie sich um Tork kümmern dürfen. Sie wollen dafür sorgen, dass seine Überreste zum Elfenwald gebracht werden. Außerdem folgen sie bereits seit mehreren Tagen den Spuren der Narsokk-Wölfe, um sie zu erlegen.“

      „Aber wie wollen sie das machen, wenn die Wölfe trotz tödlicher Verletzungen nicht sterben?“

      „Glaube mir, die Estrilljahner sind dafür bestens ausgerüstet!“, war die seltsame Antwort Jordills.

      „Was sind denn Estrilljahner? Und was können sie schon gegen untote Wölfe ausrichten? Du hast doch selbst gesehen, dass sie mit ihren Pfeilen den Bestien nichts anhaben konnten“, murrte Adalbert.

      „Nicht jetzt! Das erkläre ich dir später, wenn wir alleine sind. Der Anführer hat übrigens gesagt, dass der weiße Wolf noch lebt. Wir sollten uns bei ihm für seine Hilfe bedanken, bevor auch er stirbt.“

      Adalbert war überrascht. Wie konnte der Wolf denn noch leben? War er etwa auch ein blutleeres Monster? Warum hatte er ihnen dann geholfen?

      Schnell lief der Junge zu dem sterbenden Wolf. Seine Eile lag nicht nur daran, dass er sich um diesen unerwarteten Retter kümmern wollte, er musste auch unbedingt fort von diesem schrecklichen Schlachtfeld. Der Estrilljahner machte einen kleinen Schritt zur Seite und ließ Adalbert hindurch. Als er mit seiner Schulter gerade an dem verhüllten Anführer vorbei ging, bemerkte der Junge, wie dieser kurz seinen Kopf eine Winzigkeit anhob und seinen Körpergeruch hörbar einsog. Dabei konnte er einen flüchtigen Blick auf das Gesicht des Estrilljahners werfen, was er sofort bereute. Dieser winzige Moment hatte genügt, dass Adalbert die blass-graue, schuppige Haut des Mannes erkennen konnte. Die tiefliegenden Augen waren einfach nur pechschwarz, ohne Iris oder Pupillen, und machten auf ihn einen leblosen Eindruck, ähnlich wie bei den Narsokk-Wölfen. Und dann war da noch dieser seltsame Mund, der viel eher aussah, wie ein riesiger Raubvogelschnabel.

      Adalbert fürchtete sich vor dem, was er gerade gesehen hatte und verstand nun Jordills Warnung, dass es die Estrilljahner nicht mochten, wenn man sie ansah. Schnell tat er so, als hätte er nichts gesehen, auch wenn er befürchtete, dass der Estrilljahner ihm das nicht abnehmen würde, und ging mit einem Gefühl der Angst weiter auf den weißen Wolf zu. Diesmal achtete er ganz bewusst darauf, die anderen Estrilljahner nicht anzusehen.

      „Hallo, weißer Freund, warum hast du dein Leben riskiert, um uns zu retten?“, fragte er, als er sich vorsichtig zu dem Wolf hinunterkniete. Aus seinen Augenwinkeln konnte der Junge erkennen, wie die Estrilljahner einen Schritt auf ihn zugingen. Er vermutete, dass sie dies taten, um ihm notfalls beizustehen, falls der Wolf doch noch einmal die Kraft für einen letzten Angriff