Die Frage nach der künstlerischen Technik – einem der Grundelemente ästhetischer Produktivität – und damit nach einem der ästhetischen Grundwerte: dem »Kultwert« (to kalon, Schönheit, pulchritudo) zugleich als nach dem Verdeckenden und Aufdeckenden erwies sich als die nach dem obersten kriteriellen Richtpunkt selber in der Frage nach dem klassischen obersten ästhetischen Wert, die in der Hegel’schen Ästhetik beantwortet wird. Der »Leib« in seiner sinnlichen Materialität erweist sich der konstitutionellen Analyse als die Bestimmung vollkommener und kongruenter Entsprechung mit dem andern fundamentalen (polaren) Konstitutivum: dem »Geist«, der »Idee« und daher in der urtypischen künstlerischen Schöpfungsart und Disziplin der Skulptur: das »Ideal«, der vorschwebende Zweck artistisch hervorbringender Produktivität – techne, Technik. Seine Realisierung zeigt sich in der Herstellung der Götterstatuen und Plastiken als der Darstellung der innersten Verknüpfung von Geist und Materie in den schönen und edlen Gestalten, den Leibern der Götter und Göttinnen, der Epheben, Heroen und Athleten. Sie begründen den höchsten ästhetischen Wert, das Maximum in der Entwicklung der Kunst, ihrer schon in der Antike erreichten Vollendung, und im Zeitalter des Fortlebens der Antike, der Renaissance, und dem des Klassizismus, und wie ein Blick in die Filmgeschichte lehrt, noch in der Kunstauffassung der Moderne: des »Zeitalters der technischen Produktion und Reproduktion des Kunstwerks«27: Es zeigt sich hier in der besonderen Art der Realisierung des ästhetischen Wertes in der Gestalt des »Kultwertes« – obwohl gerade in der wissenschaftlich-technischen Ära den auratischen Phänomenen und Kultwerten der Todfeind erwachsen ist und über die Strahlkraft des Ideellen, Göttlichen, Numinosen – das »Strahlen des Fernen, so nah immer es sein oder scheinen mag«28 das aufgeklärte Verdikt spricht.
Ihren Kultwert (einen historisch unkenntlich gewordenen Kultwert) garantiert die technische Verwendung der Perspektivik in ihrer einfachen Modifikation, mit dem Effekt, die »Schönheit« (nämlich in der Gestalt der »photographischen Nahaufnahmen«) in der langen Folge ungezählter hochdifferenzierter physiognomisch »dokumentierender« – also um die Wiedergabe authentisch historischer Realität bemühter – filmgestalterischer Provenienz zu gewinnen – und das heißt: im Konflikt mit den technischen dokumentarischen Verfahren (nämlich der »dokumentierten« ›echten, wahren Wirklichkeit‹), denen sie abgetrotzt werden. Dies führen die »historischen Filme« des Dreyer’schen Genres zwingend vor Augen: Die historisch dokumentierende Abfolge von authentischen Porträtaufnahmen (etwa der Darstellerin der Jeanne d’Arc) erweist sich – entgegen ihrem Eindruck authentischer diskontinuierlicher Physiognomien und Körpergesten – als eine einzige Zusammenfassung der Bilder unter der »abgehobenen« metaphysisch-ästhetischen Form des – mit den ›eigentlichen‹ Künstlern, den Malern und Porträtisten scharf konkurrierenden Künstlern der klassischen Photographie durch die fortgeschritteneren Mittel graphischer Technik gewonnenen – Ausdrucks des »ästhetisch Schönen«, der Darstellung des Ideellen, der »Schönheit« im klassisch platonischen Sinn.29
In der Terminologie der Filmproduktion heißt die »auratische Realität« die »Kamera-Realität«30. – Das interkonstitutive Sich-aneinander-Abarbeiten der »dokumentaristischen« und »ästhetisch-fiktionalistischen« filmischen Gestaltungsverfahren ist nach Kracauer das vielleicht zentrale film-ästhetische Produktions-Element noch in der Phase avantgardistisch und experimentell, auch surrealistisch gerichteter Produktion des historisch-politischen Films. In der zeitgenössischen Folge ist diese dokumentaristisch-fiktionalistische Produktionsgestalt zerfallen und abgeglitten in die wohlkalkuliert und routiniert betriebene Belieferung des »Erzählkinos«, des neo-mythologischen »Kultfilm-Kults« und des Genres »sensationslüsterner photographischer und kinematographischer Berichterstattung«31.
Da das bloß Anschauliche dennoch Wahres, die Wahrheit in ästhetischer Gestalt ist, erweist sich der ästhetische Schein an sich selbst auch als scheinlos, als bar des Lügenscheins. So kann es heißen: »Wahrheit hat Kunst als Schein des Scheinlosen«32 – Schein als Aufscheinen des Wahren. Kunstwerke, fährt Adorno an anderer Stelle fort, »haben soviel an objektiver Wahrheit, wie das Bedürftige seine Ergänzung und Änderung herbeizieht […] an sich will, was ist, das Andere.« Das Kunstwerk ist nichts anderes als »die Sprache solchen Willens […] Die Elemente jenes Anderen sind in der Realität« schon »versammelt, sie müßten nur, um ein Geringes versetzt, in neue Konstellation treten, um« – ähnlich wie nach der messianischen Veränderung der Welt – »ihre rechte Stelle zu finden. Weniger als daß sie imitierten, machen die Kunstwerke der Realität diese Versetzung vor.«33 Sie imitieren sie auch, müssen es bis zu dem Grade, wie durch die imitatio das Wesen oder Unwesen der Realität vor Augen kommt.
Ästhetisch ausschlaggebend ist der Grad der imitatio: in einem extensiven – gestalt-repetitiven –, wie in einem intensiven Sinn; dem dynamischer Hervorbringung. Je mehr die Mimesis kopierend ist, desto mehr verfehlt sie, wie schon Platon geltend machte,34 die ousia hinter der Fassade und verwechselt die Fassade mit der substantiellen Realität; das ist das Urteil über die photographischen und kinematographischen Spielarten des Realismus. Je gestischer, bewegter die Mimesis jedoch, desto mehr dringt sie ins Wirkliche ein – dies aber, »um in der Berührung mit ihm zurückzuzucken.« Die Figuren, Lettern, Züge, die das Kunstwerk bilden und aus denen es gebildet ist, »sind die Male dieser Bewegung«35, der reproduzierte Niederschlag des Realen im Werk und als es. Die gestische Mimesis vollbringt den Umschlag des Imitierenden im Imitat in das aktivische Hervorlocken des Anderen am Imitat. Von einem gewissen Punkt an machen die Werke nicht mehr nach sondern vor: das was als zu Vollbringendes am Nachgeahmten und durchs Nachahmen aufgeht. Das hat von einer bestimmten Stelle in der Geschichte der Kunst an die Folge, dass schließlich »die Nachahmungslehre« – wonach hé techné mimeitai tén physin36, oder omnis ars naturae imitatio est37 – »umzukehren wäre«; »in einem sublimierten Sinn soll die Realität die Kunstwerke nachahmen«38. Dass es die Kunst gibt, deutet also gerade darauf, dass »etwas« erscheinen kann, »was es nicht gibt«39: auf »ein nicht gegenwärtiges Wesen, das der Möglichkeit«, das ohne die Kunst keine Chance hätte, hervorzutreten. Dem aber bleibt, setzt Adorno hinzu, »Schein gesellt«40: der scheinlose Schein, der auch der Wahrschein heißen könnte.
Das Element des Scheins bleibt der Kunst essentiell – kein Werk, das nicht durch seinen Gehalt wäre, was es scheint, und durch seine Gestalt schiene, was es ist. Solche Paradoxie ist nicht dazu angetan, die raison d’être der Werke plausibler zu machen; sie macht sie erst recht rätselhaft. »A priori bringt Kunst die Menschen zum Staunen« – über die Kunst nicht weniger wie über das, was sie auf welche Weise immer zur Darstellung bringt; zum Staunen, »so wie vor Zeiten Platon von der Philosophie es verlangte, die« – aber – »fürs Gegenteil sich entschied«41. Der Rätselcharakter der Kunst steht für das Reagieren auf das, was ist, als auf das Subjekt-Andere, das Fremde, das, zu dem das Ich selbst werden kann: nicht erst in der späten Kunst des Dévoilement, seiner Sezierung, sondern schon früh, wie die Mythen vor Augen führen, in denen der Mensch das Rätsel ist. Jenem staunen machenden Andern und Fremden werden die Werke das Medium, in dem sie das bleiben oder aber erst zeigen, was sie sind: unassimiliert, gleichwie ein Exotisches in seinem Glanz der Ferne ›so nahe es sein mag‹, das gleichzeitig geheimes Grauen einflößt; Benjamin sprach von der Aura schon des Dinges selbst, nicht erst des Kunstwerks. Schließlich ist die Werkgestalt, die die Reaktion samt ihrem Movens festhält, selber das Fascinosum: das was zugleich verwundert und frappiert. Noch in den spätesten, vergeistigtsten Gebilden macht sich »das Grauen der Vorwelt« fühlbar, von dem Adorno sagt, dass »alle Kunst« sein »Seismogramm« bleibt – das Grauen, das »sich verwandelt«, doch »nicht verschwindet«42 und das das Genre des »Horrorfilms« und des »Monsterfilms« mit größtem Erfolg am Verschwinden hindert.
Sowenig an Werken, die anrühren, der Schauder