Im Literaturbericht diskutiert Dennis Johannßen neuere Arbeiten aus der englischsprachigen Benjaminforschung.
ABHANDLUNGEN
Hermann Schweppenhäuser
Schein, Bild, Ausdruck
Aspekte der Adorno’schen Theorie der Kunst und des Kunstwerks*
Für Sabine zum 27. 9. 2012
Tilegnet Sabine og Jens, Jakob og Marianne, Johannes og Maja og de danske venner til erindring om vore samtaler om kunst og kunstnerne i vors forfaldsepoke.
Kunst hegt der Betrieb als Naturschutzpark von Irrationalität ein, aus dem der Gedanke draußen zu halten sei. Dabei verbündet er sich mit der […] zur Selbstverständlichkeit erniedrigten Vorstellung, Kunst müsse schlechthin anschaulich sein, während sie doch allenthalben am Begriff teilhat. Primitiv verwechselt wird der […] Vorrang von Anschauung in der Kunst mit der Anweisung, es dürfe über sie nicht gedacht werden.
Alle ästhetischen Fragen terminieren in solchen des Wahrheitsgehalts der Kunstwerke: ist das, was ein Werk […] objektiv an Geist in sich trägt, wahr? Eben das ist dem Empirismus als Aberglaube anathema […] es sei denn, daß er der Kunst alle Erkenntnisse als Dichtung überschreibt, die seinen Spielregeln nicht zusagen.
Adorno
Vom Begriff soviel Eignung zur anschaulichen repraesentatio des Besonderen zu beanspruchen, wie doch nur die sinnliche Erkenntnis (cognitio sensitiva) sie gewährt – und andererseits der aisthesis soviel Eignung, begriffliche Objektivität und Verbindlichkeit zu vindizieren, wie nur die noesis und die Logik (cognitio intellectiva) sie verbürgen: Das ist weder dasselbe, wie den Begriff und Noetisches durch aisthesis, sensus und mimesis zu ersetzen – noch dasselbe, wie das Ästhetische durch das Theoretische zu verdrängen und jenem die höhere Wertigkeit, den eigentlichen Wahrheits- und Erkenntniswert zuzusprechen: was den Hauptvorwurf der antiintellektualistischen Rezeption der Adorno’schen Kunsttheorie bei seinen Kritikern ausmacht. Der zureichende Grund dessen liegt in der unzureichenden Vergegenwärtigung – oder schlicht im Zurechtstilisieren – der dialektisch hochdifferentiellen Begriffsstruktur der theoretischen Aussagen Adornos, die der Affinität mit dem Konkret-Realen, das sie treffen sollen und dem sie begrifflich sich anmessen, den Ausdruck verleihen. Dass sie das tun: dass das Ausdrucksmoment in der begrifflichen Darstellung nicht ausfällt, sondern umgekehrt den Begriffen in der cognitiven repaesentatio zugute kommt, das macht diese repraesentatio noch lange nicht zur – abgewerteten – künstlerischen. Zu einer solchen pflegt sie scientifische Betriebsblindheit herabzustufen; Leute von mangelnder Darstellungs- und Ausdruckskraft, die aus der Vermauerung in die stereotype Wissenschaftsidiomatik selber ausbrechen möchten und dem, dem es gelingt, Ausscheren aus dem Regelspiel, Gestik, ›Talentiertheit‹ vorhalten. Aber auch gegen Vorwürfe wie den – seit frühpositivistischen Tagen geläufigen – des dialektischen Mystizismus1 ist an die kritische Strenge, die cognitive Relevanz, die mitnichten bloß mimetischästhetisch vollziehbaren Einsichten in den Charakter der Kunst – ist, mit einem Wort, an den aufgeklärten Kunstbegriff der Adorno’schen Philosophie zu erinnern.
Als diesen kennzeichnend erweist sich die Grundeinsicht in den durchgängig dialektisch antinomischen, amphibolischen Charakter der Gebilde der Kunst. Keine »Invariante in der Ästhetik«, die nicht »zu ihrer Dialektik treibt«2. Das gilt von Natur und Wesen der kulturellen Kunst-Instanz selber. Kunst ist im Sinn der klassischen Topologie poiesis und von den beiden andern »wissenschaftlichen« Verhaltensarten, von theoria und von praxis der Art nach distinkt:3 von der Theorie – die Seiendes betrachtet und erkennt – und von der Praxis – die in der Stellung dazu das richtige Leben zu gewinnen sucht – dadurch, dass sie Seiendes hervorbringt. Sie ist das Vermögen der Artefakte, die zu den Naturaten – den erkennend durchdrungenen und den für das Lebensbedürfnis eingerichteten – hinzutreten. Eben das artefizielle Wesen, das Hervorgebrachtsein, die nach Plan und technisch realisierte Produktion, erlischt im ontologischen, spätestens wenn die Poiesis, die erst alles Handwerk umfasst, spezialisiert ist als Poesie und historisch – nämlich in der Neuzeit – nur noch für die beaux arts steht. Denn als schöne Kunst lässt Poiesis ihr Hervorgebrachtes nicht durch den Gebrauchswert geprägt sein, den man ihm – den »Kultwert« Benjamins – doch ansieht schon an den Skulpturen in den Tempeln und den Tempeln selbst, ja an den magischen und rituellen Kultbildern; und der das Hervorgebrachte zuinnerst formiert. Sondern das Produkt der beaux arts spiegelt Sein vor, das seinen Zweck, der seine ureigne raison d’être ausmacht, von sich aus und in sich selbst hat: Sein, das sein Produziertsein verdeckt.
Adorno nennt diesen Grundcharakter der künstlerischen Hervorbringungen »die ästhetische Paradoxie schlechthin«4. Ein Kunstwerk ist seiendes Scheingebilde, in genau der Bestimmtheit dieser drei begrifflichen Elemente. Es ist Gebilde, ein subjektiv Produziertes, Gebildetes; nachdem es einmal gemacht ist, Ontisches, wie ein Naturat einen Platz unter den Seienden einnehmend; und es ist so gemacht, das es ein Seiendes, objektiv dinglich scheint. Das gilt für es als Existierendes wie für das, was dies Existierende »ist«, bedeutet, was es durch seine Gestalt repräsentiert, ausdrückt, gleicherweise – ähnlich dem Tierbild schon paläolithischer Zeit, welches das Tier nicht sowohl abbildet sondern ist, und dessen Tractament im Jagd- oder Opferritual in vollständiger Analogie das Tractament der Jagd- oder der Opferhandlung selber vertritt. Der Gehalt – ousia, die reale Substanzialität – des Gebildes müsste von einem Schein verschieden sein; »aber kein Werk hat den Gehalt anders als durch den Schein«5. Das Gedichtete des Poems, Gemalte des Bildnisses, Komponierte der Musik (das Photographierte der Photographie, der Kinematographie: das Gefilmte