Manila oder Revolution und Liebe. Volker Schult. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Volker Schult
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783961455669
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der Piraterie. Aber auch vor Auftragsmorden und anderen Schandtaten schrecken sie nicht zurück. Wohlwissend, dass sie sich auf ihre Partner, die britische Handelsfirma Jardine, Matheson & Co. in Hongkong und die britische Geheimpolizei, verlassen können. Währenddessen arbeiten ihre Rivalen von der Grünen Bande mit den Franzosen im Rauschgift- und Geheimdienstgeschäft zum gegenseitigen Nutzen zusammen.

      Doch für den aktuellen Auftrag hat Piratenkapitän Weng nicht nur auf die Engländer gesetzt. Natürlich sind diese rotbramsigen Rundköpfe wie immer bereit, ein schönes Sümmchen Silber zu zahlen. Doch dieses Mal ist der Auftrag wirklich außergewöhnlich und extrem heikel. Seine Flotte soll ein deutsches Kriegsschiff in eine Falle locken und um jeden Preis an einen Geheimbericht seines Kapitäns gelangen. Wie sie das anstellen, ist den Brits vollkommen egal. Deshalb bieten ihm die Engländer eine Summe an, die exorbitant ist. Obwohl er sich selbst als verliebt in Silber bezeichnen würde, hätte er diesen Auftrag normalerweise nie angenommen. Ein deutsches Kriegsschiff abfangen. Ein Himmelfahrtskommando.

      Aber dann traf quasi zeitgleich mit dem Angebot der Rundaugen ein dringendes Hilfeersuchen von den lieben Vettern der Heng Wan Chu Kaufmannssippe aus Singapur ein. Der verdammte deutsche Kapitän dieses Kriegsschiffes soll die Tochter des Clanoberhaupts Heng gegen deren Willen geschwängert haben.

      Wie niederträchtig! erregt sich Weng.

      Ihm wurde glaubhaft versichert, dass der Clan alles, aber auch wirklich alles unternommen habe, um diesen schändlichen Verführer in Singapur zur Strecke zu bringen. Doch alle Tricks hätten versagt. Chang, der Schreiber der bedeutenden deutschen Handelsfirma Behn, Meyer & Co. hat versucht, den Deutschen in Chinatown in eine Falle zu locken. Resultat war, dass es zahlreiche Tote auf Seiten der Chinesen gegeben hatte. Der verfluchte Deutsche konnte entkommen. Selbst das letzte Mittel von Onkel Chu, den deutschen Kapitän zu verfluchen, hat wohl nicht richtig funktioniert.

      Merkwürdig, denkt Weng, das klappt doch sonst immer.

      Nur diese Kombination, dass eigentlich nicht ausschlagbare finanzielle Angebot der Briten und zugleich die Bitte des Familienclans zu helfen, hat den Ausschlag gegeben. Das wird nicht einfach. Darüber ist er sich im Klaren. Es wird viele Verluste in den eigenen Reihen geben. Die finanzielle Kompensation an die Familien muss er in seine Kalkulation einbeziehen. Aber viel wichtiger ist es, einen vernünftigen Plan zu haben. Ein direkter Angriff auf ein stählernes Kriegsschiff mit überlegener Feuerkraft kann eigentlich nur fatal enden.

      Nein, ein besonderer Plan muss her. Es gilt, das deutsche Schiff in die vielen verwirrend kleinen Inseln mit ihren Untiefen vor der chinesischen Küste zu locken, kurz bevor es Hongkong erreicht. Dafür haben die Engländer ihre Unterstützung zugesagt.

      Auf Kommando von Wengs Flaggschiff beginnen nun auch die anderen mehrmastigen Dschunken langsam ihre Segel zu setzen. Die Besegelung besteht aus Dschunkensegeln, die mit Bambus-Stangen durchgelattet sind. Diese durchgelatteten Segel sind von Deck aus leicht zu bedienen. Die kurzen Pfahlmaste sind üblicherweise nicht durch Wanten und Stage verspannt, so dass die Segel rundum geschwenkt werden können.

      Die kastenförmigen Boote besitzen keinen Kiel. Ihre flachen Böden und die Seitenwände sind fast senkrecht hochgezogen. Dadurch scheinen sie über das Wasser zu fliegen und schneiden nicht hindurch. Der Rumpf ist aus weichem Holz gebaut, das sich leicht biegen lässt und trotzdem seine Form bewahrt. Die Dschunken zeichnen sich durch ihre hochgezogenen Enden aus, die ihnen eine fast bananenähnliche Form verleihen.

      Sie sind robuste, sichere und schnelle Segelschiffe. Einige haben ein Fassungsvermögen von fünfhundert Registertonnen und sind für Hochseefahrten geeignet. An die dreihundert wildaussehende und entschlossene Chinesen können die Besatzung einer solch großen Dschunke bilden. Bis zu acht Geschütze warten auf ihren Gegner. Zufrieden blickt Piratenkapitän Weng auf seine Flotte, die sich langsam in Bewegung setzt, um das deutsche Kriegsschiff in die Falle zu locken. Es muss in einer der Untiefen auflaufen. Verluste wird es trotzdem geben, da ist er sich sicher. Doch das gehört nun einmal zum Piratendasein dazu. Die Beute lockt dafür umso stärker.

      Kurze Zeit vorher. Gouverneurspalast Hongkong.

      Das Government House befindet sich in der Upper Albert Road. Von dort blickt man auf den Victoria Peak, mit über fünfhundertfünfzig Metern die höchste Erhebung der britischen Kronkolonie Hongkong. Auch sonst entsprechen die Ausmaße denen einer wichtigen Residenz im Britischen Empire. Die Grundfläche des Anwesens umfasst imposante annähernd zweieinhalb Hektar oder etwas mehr als zwei Fußballfelder.

      Der Bau des Hauptgebäudes begann im Oktober 1851, im achten Jahr nachdem Hongkong zur britischen Kolonie erklärt worden war. Nach vier Jahren intensiver Bautätigkeit konnte die Fertigstellung an Ihre Königliche Hoheit Königin Victoria in London gemeldet werden.

      In den folgenden Jahren änderte sich der Stil der Residenz mehrfach. Jeder neue Hausherr ließ das Gebäude nach seinen eigenen Vorstellungen renovieren. Das Hauptgebäude besteht nun aus einer Mischung aus reichhaltigem kolonialem Renaissancestil mit britischen, meist gregorianischen, und asiatischen Stilrichtungen. Willkommen im Reich der obersten Kolonialherren, die glauben, einzigartig zu sein.

      Vor zehn Jahren wurde ein Seitengebäude an der östlichen Seite für gesellschaftliche Aktivitäten errichtet. Das Obergeschoss beherbergt einen Ballsaal, in dem Bankette für hohe ausländische Würdenträger veranstaltet werden. Bis zu einhundertfünfzig Gäste finden dort Platz.

      Aber auch für den Schutz des Gouverneurs und seiner Gäste ist gesorgt. Am Haupteingang an der Upper Albert Road befinden sich zwei Wachgebäude mit einem eisernen Tor. Hier stehen die Government House Guards Wache, um für Sicherheit zu sorgen. Es ist eine Ehre für die in Hongkong stationierten Einheiten der Königlichen Armee, Soldaten für den Wachdienst abzustellen.

      In diesem Anwesen residiert seit November letzten Jahres Gouverneur Sir Richard Henderson. Henderson stammt aus Limerick in Irland und hat unter anderem schon Erfahrungen als Gouverneur von den Bahamas und Neufundland gesammelt. Nun also Hongkong. Auf diesen Posten ist Sir Richard besonders stolz. Ist das doch die Anerkennung, die er meint, verdient zu haben.

      Mit einer Zigarre im Mund, der von einem buschigen, leicht herabhängenden Schnurrbart fast umrahmt ist, sitzt er in seinem bequemen Sessel in seinem Arbeitszimmer. Neben ihm mit einem Glas Scotch in der rechten Hand hat es sich Kapitän Andrew Rochester bequem gemacht.

      „Wie ich Ihnen bereits mitgeteilt habe, Kapitän Rochester, hat mich mein werter Kollege aus Singapur, Sir Charles Mitchell, informiert, dass es in dieser Angelegenheit um eine äußerst wichtige und geheime Mission im Rahmen der Sicherheit unseres Empires geht. Ich bin mir Ihrer absoluten Verschwiegenheit als Marineoffizier Ihrer Königlichen Hoheit vollkommen sicher, Kapitän Rochester?“

      Dabei blickt Sir Henderson sein Gegenüber mit zusammengekniffenen Augen direkt an. Seine blaugrünen Augen mustern den Kapitän gründlich und dulden keinen Widerspruch.

      „Aber sicher doch, Sir Henderson. Bei meiner Ehre als Offizier, Sir!“, entfährt es Kapitän Rochester militärisch knapp.

      „Gut, gut, Rochester. Noch wissen Sie nicht, was auf Sie zukommt. Aber gut, dass Sie so selbstsicher sind. Offiziere von Ihrem Schlag hat das Empire leider viel zu wenige“, setzt Sir Henderson nun schon fast schmeichelhaft hinzu.

      „Auf mich können Ihre Exzellenz jederzeit setzen“, meint Kapitän Rochester noch hinzufügen zu müssen.

      „Also dann los. Die Ausgangslage ist folgende: Das deutsche Kanonenboot Iltis hat Kurs auf Hongkong genommen, um den Zielhafen die deutsche Kolonie Tsingtau anzusteuern. Sein Kapitän hat in einem geheimen Auftrag für den Kaiser erkundet, ob sich die Insel Langkawi als deutscher Marinestützpunkt eignet.“

      „Potzblitz!“, entfährt es Rochester und fährt aus seinem Sessel hoch. Um ein Haar wäre ihm das Glas Scotch aus der Hand gefallen. „Diese verdammten Deutschen.“

      „Ganz meine Meinung, Kapitän. Aber unterbrechen Sie mich nicht.“

      Wie ein zurechtgewiesener Schuljunge sackt Kapitän Rochester in seinen Sessel zurück.

      „Leider ist es Sir Charles trotz Aufbietung