Manila oder Revolution und Liebe. Volker Schult. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Volker Schult
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783961455669
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was?

      Ja, schießt es Thomsen urplötzlich durch den Kopf.

      Diese Koffertruhe. Auf einem Mal wurde ein kleiner Trupp Soldaten abkommandiert, um sich ins Hotel de L´ Europe zu begeben, wo Ihre Königliche Hoheit logierte. Dann kamen sie mit drei schweren Koffertruhen zurück an Bord. Auf ausdrücklichen Befehl von Kapitänleutnant Kurz musste eine sofort in den Kühlraum des Schiffes gebracht werden. Dann sollte dieser verschlossen und der Schlüssel unverzüglich vom Wachhabenden an den Kapitän nach dessen Rückkehr an Bord übergeben werden. Ausdrücklicher Befehl des Kapitäns. So hieß es klar und deutlich.

      Schon merkwürdig. Eine Koffertruhe im Kühlraum.

      Aber in Ordnung. Befehl ist Befehl. Außerdem gab es viele andere wichtige Dinge an Bord vor dem Auslaufen zu organisieren und zu kontrollieren. Da hatte er, Thomsen, keine Zeit, sich Gedanken zu machen.

      Aber jetzt. Wenn er darüber nachdenkt. Eigentlich schon sonderbar.

      Dann die doch überhastete Rückkehr von Kapitänleutnant Wilhelm Kurz. Zwar versuchte er seine übliche Haltung zu wahren, doch er schien durcheinander zu sein. Ungewöhnlich für ihn.

      Anschließend der Befehl, sofort auszulaufen. Obwohl wir noch einige Tage hätten in Singapur bleiben sollen. Dringender Befehl vom Kommandeur Prinz Heinrich, so Kapitänleutnant Kurz.

      Sonderbar. Es gab keinen ersichtlichen Grund für die überstürzte Abreise.

      Immer wieder schaute Kapitän Kurz sich nach dem Auslaufen um. Richtung Hafen. Der Käpt´n wirkte anders, aufgekratzt, aufgewühlt. Ja, dachte Hans Thomsen, diese Worte treffen den Zustand des Käpt´ns am besten.

      Und dann dieser urplötzliche Zusammenbruch auf der Kommandobrücke. Gerade noch rechtzeitig gelang es Hans Thomsen seinen Kapitän aufzufangen, bevor er zu Boden stürzte.

      Seitdem liegt der Kapitän auf der Krankenstation und der Schiffsarzt kümmert sich hingebungsvoll um ihn.

      Aber anscheinend ist keine Besserung in Sicht.

      Also doch Umkehr nach Singapur, denkt sich Thomsen.

      Schon will er den Befehl geben, da kommt der Schiffsarzt auf die Brücke und meldet außer Atem: „Kreislauf des Kapitäns stabil. Atmung wieder gleichmäßig.“

      „Dr. Brandt, gute Nachricht. Bin erleichtert. Tun Sie weiterhin alles für unseren Käpt´n.“

      Also doch nicht Singapur. Wäre wohl auch nicht im Sinne des Kapitäns gewesen, sagt Hans Thomsen zu sich.

      „Kurs beibehalten!“, befiehlt er mit entschlossener Stimme.

      „In aller Bescheidenheit erlaube ich mir, Ihnen vorzuschlagen, zweigleisig zu verfahren“, sagt Francis Burton mit sonorer Stimme.

      „Mmh, zweigleisig also“, wiederholt Gouverneur Sir Charles wie abwesend.

      „Zum einen sollten wir den Sachverhalt so neutral wie möglich an unseren Kolonialminister in Whitehall telegrafieren. Mit dem Hinweis, dass wir bald Genaueres mitteilen können.“

      „Können wir doch nicht, Francis. Verstehen Sie es doch“, will sich Sir Charles schon wieder aus seinem Sessel erbost erheben.

      Doch es genügt, dass Francis Burton kurz die Hand hebt, und Sir Charles sinkt in seinen Sessel zurück.

      „Zum anderen telegrafieren Sie an Ihren Kollegen Gouverneur Sir Richard Henderson in Hongkong, Sir Charles.“

      „Ja, soll ich ihm auch noch mitteilen, was für Schwachköpfe wir hier in Singapur sind?“, presst Sir Charles halblaut hervor, hält dann aber erschöpft inne.

      „Gouverneur Henderson soll Iltis ein Schiff entgegenschicken, um …“

      Weiter kommt Francis Burton nicht, denn nun ist Sir Charles außer sich.

      „Burton, ich weiß, was Sie sagen wollen, aber das kann nicht Ihr Ernst sein. Natürlich will ich um fast jeden Preis diesen Geheimbericht von dem Deutschen in die Hände bekommen. Aber wir können doch nicht ein Kanonenboot Seiner Deutschen Majestät in Friedenszeiten auf hoher See durch eines unserer Schiffe stellen! Wissen Sie, was das bedeuten kann? Krieg, Burton! Krieg mit Deutschland! Und ich bin dafür verantwortlich? Nein, Burton und nochmals nein! Basta!“, entscheidet Sir Charles aufgebracht.

      „Wer sagt denn, dass es unser Schiff sein wird?“, fragt Burton trocken.

      Ungläubig starrt der Gouverneur seinen Stellvertreter an.

      „Der Chinesenclan von Heng Wan Chu aus Singapur hat noch eine Rechnung mit dem Kurz offen. Genau wie wir. Das macht uns weiterhin zu natürlichen Verbündeten. Ich habe mir bereits erlaubt, das Clanoberhaupt zu kontaktieren. Gegen etwas Entgelt hat er sich bereit erklärt, über einen engen Verwandten in Hongkong Verbindung mit dem Piratenchef Weng aufzunehmen.“

      „Was, den?“, ruft Sir Charles entgeistert aus.

      „Sind Sie vollkommen von Sinnen? Der ist doch der meistgesuchte Piratenkönig in der Umgebung von Hongkong. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir ein nicht unbeträchtliches Kopfgeld auf den Kerl ausgesetzt. Der greift auch immer wieder unsere Handelsschiffe an.“

      „Genau den meine ich, Sir Charles. Er ist - nun wie soll ich sagen - sehr zuverlässig in bestimmten Dingen.“

      „Sie sind wahnsinnig geworden, Burton.“

      „Nicht unbedingt, Sir Charles. Nur effektiv. Wie immer, in aller Bescheidenheit. Wollen Sie den Geheimbericht haben oder nicht, Sir Charles?“, fragt Francis Burton mit betont ruhiger Stimme und fährt fort: „Sir Charles, alles, was Sie nur tun müssen, ist, ein streng vertrauliches Telegramm an Ihren Gouverneurskollegen Sir Henderson in Hongkong zu senden und darum zu bitten, dass er Anweisung erteilt, dass unsere Kriegsschiffe drei Tage im Hafen von Hongkong bleiben und in dieser Zeit nicht auf Piratenjagd gehen. Den Rest überlassen Sie mir. Was können wir dafür, wenn Iltis auf seinen Weg nach Hongkong in eine Falle gelockt und ganz überraschend Opfer von einer chinesischen Piratenflotte wird? Nur der Geheimbericht überlebt und gelangt auf wundersame Weise zu Ihnen nach Singapur. Natürlich entrüsten wir uns ob der barbarischen Attacke auf ein deutsches Schiff, kondolieren und bieten unsere uneingeschränkte Unterstützung im Kampf gegen diese Unholde der Meere an. Ja, machen sogar den Vorschlag, eine internationale Streitmacht zur Befriedung der Gewässer im Südchinesischen Meer aufzustellen. Vielleicht sogar unter deutschem Kommando. Wie wär´s damit? Da sagt der geltungssüchtige deutsche Kaiser nie und nimmer nein. Und alles ist in Butter.“

      Mit diesen Worten endet Francis Burtons Vortrag.

      Wieder Stille im Büro. Nur draußen stimmen Millionen von Zikaden ihr Sägen an, als ob sie dem Vorschlag von Francis Burton Beifall zollen wollen.

      Mit seinen eng beieinanderliegenden Augen sieht Sir Charles seinen Stellvertreter direkt an.

      „Das bewundere ich an Ihnen, Francis. Keine moralischen Skrupel. Ganz und gar erfolgsorientiert.“

      Dann nickt Sir Charles und fährt fort: „Das Telegramm an Sir Henderson werde ich sogleich absenden. Von allem anderen weiß ich nichts.“

      „Selbstverständlich, Sir Charles. Wie immer.“

      3. KAPITEL: DIE FALLE

      Auf seinen kräftigen Oberarmen prangen schwarzgeschwungene Drachen mit offenen Mündern und heraushängenden Zungen vor rotem Hintergrund. Sein gedrungener Körper mit dem runden Kopf und den kleinen strichförmigen Augen strahlt förmlich vor Energie. Beim Erteilen der Befehle schwingt sein kahlgeschorener Kopf mit dem langen Zopf am Hinterkopf wild hin und her. Kapitän Weng erteilt seiner Mannschaft den Befehl zum Auslaufen. Sofort macht sich eine rasante Aktivität bemerkbar. Niemand möchte unter den martialischen Blicken des Kapitäns unliebsam auffallen. Um keinen Preis. Dann lieber vor Erschöpfung tot ins Meer stürzen. Zugleich ist auf dem ein Dutzend anderer Schiffe die gleiche Hektik zu beobachten.

      Weng ist Chef der berühmt-berüchtigten chinesischen Triade der Roten Bande, die ihren Ursprung in