Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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im blauen Umschlag mit der klobig gemalten Adresse unbeantwortet in der Schublade, und er konnte eine Gereiztheit und Befangenheit gegenüber seiner unentwegt aufmerksamen und vielleicht etwas neugierigen geheimrätlichen Quartierswirtin nicht mehr überwinden. Die eingegangene Post wurde von seinen Händen durchwühlt und die Meinung, daß sich eine Einladung darunter befinden könne, auf den nächsten Tag vertröstet. Um den Amtsball kreisten seine bewußten Gedanken nur sehr selten, aber als das Gerücht ging, daß er abgesagt werden sollte, glaubte er in einen Abgrund zu stürzen.

      So war der 20. Dezember 1928 gekommen. Zum erstenmal nach einer Zeit, die Ewigkeit schien, erlaubte sich Wichmann wieder einen langen und vertrauten Blick nach den kahl gewordenen Zweigen des Ahorns, nach dem Rosentor und jenem halb verborgenen Fenster, das hinten im Garten mit Perlmuttglanz schillerte. Heute endlich wollte er seine rasenden Hoffnungen, sie wiederzusehen, freigeben. Sie …

      Er hatte am Morgen noch dienstlich mit Grevenhagen zu tun. Nie waren die Gedanken des Assessors so scharf gewesen, nie seine Worte so gut formuliert. Den Auftrag, verschiedene Vorarbeiten der Denkschrift zu den Etatsverhandlungen, die ihn am ersten Tage seines Dienstes beschäftigt hatten, zu etwas Einheitlichem zusammenzufassen, erledigte er in einer so überraschend knappen Frist, daß Grevenhagens stumme Miene die Brauchbarkeit der Arbeit zunächst anzweifeln wollte. Es stellte sich heraus, daß sie vorzüglich war.

      »Ministerialdirektor Boschhofer wird darüber wohl noch persönlich mit Ihnen sprechen. Alles, was die Etatsverhandlungen anbetrifft, geht speziell durch seine Hand.«

      Verbeugung.

      Warum nicht? Das Gehörn des Mastochsen hatte seine Schrecken verloren für den, der mit dem Besten seines Lebens in ganz anderen Regionen weilte.

      Der Dienst schloß etwas früher. Korts und Casparius bemühten sich, mit Wichmann Schritt zu halten.

      »Sie haben jetzt einen Zustand an sich … Wichmann, Menschenskind … Sie werden doch net verliebt sein?«

      Wichmann lachte ausgelassen, wie ein Bub, dem es gelingt, den heißbegehrten Roman vor dem Vater zu verstecken. »Warum denn nicht ein bißchen verliebt, Kasperl? Meine Kleine aus der Tanzstunde hat mir einen sehr niedlichen Brief geschrieben …«

      »Ha … so. Dann ischt’s ja harmlos. – Holen wir unser Prachtstück, die Hüsch, heut alle miteinander ab?«

      »Wenn wir alle miteinander zwei Stunden zu spät kommen wollen«, knurrte Korts.

      »Werden Sie uns überhaupt durch Ihr Erscheinen beehren, Robert Herr Teufel? Das weiß bis jetzt keiner so recht.«

      »Ich selber auch nicht.«

      »Wir müssen aber ausmachen, wer sie abholt, des g’hört sich. Wichmann, Sie habe so was für Damen … gehen Sie!«

      »Meinetwegen. Wenn’s mir zu lange dauert, überlass’ ich sie dem Schildhauf.«

      »Wieso?« Korts ging in Angriffsstellung.

      »Ha, der hat seine Freundin fortgeschickt, ischt zur Zeit arbeitslos in bezug auf Frauen. Beschäftigen Sie den nur ein bißle.«

      »Servus … also heut abend …«

      »Das wird ein Affentheater!«

      »Tun Sie nur Geld in Ihren Beutel!«

      Man trennte sich.

      Wichmann ging durch den Park nach Hause. Die fünfte Nachmittagsstunde hielt die Masse der an den Frondienst Gefesselten noch an den Schreibtischen fest. Die Kälte hatte Kinder und Kinderfrauen längst vertrieben, und so gehörten die Wege, die Bäume und die Teiche Oskar Wichmann und den wenigen, die der Zufall fremd an ihm vorbeiführte. Es war ein schöner Tag. Die abgestorbene, noch schneefreie Landschaft lag im zarten Winterschein der Sonne. Der Reif hatte sich mit seinen Brillanten an den Gräsern festgesetzt, ohne zu tauen; über den Moorwassern lag ein Hauch des Gefrierens. Alles wartete in Stille, bis das dicke Eis und der mollige Schnee mit seiner alles blendenden Helle kommen würden und die Stimmen der Kinder wieder laut und jauchzend schallen konnten. Noch war es nicht an dem, noch waren die kahlen erstorbenen Äste, die matten Farben, ein Dunst über der Sonne wie unklare Sehnsucht und der milde Frost nur eine Ahnung der Fülle … Fülle auch der Freuden des Winters, wenn er mit allen seinen Gütern kam.

      Was wahr war? Sehnsucht? Vollkommenheit?

      Im Himmel der Phantasie, mit leise klopfendem Herzen ging Wichmann über die angefrorene Erde des Reitwegs. Er war noch sehr jung. Ja. Warum es leugnen?

      Als der Abend hereinbrach und Lichter aufleuchteten, tat Oskar Wichmann die gleichgültigen Dinge, die dennoch alle den Reiz des Sektes hatten und im Gaukelspiel der Erwartung leise prickelten. Der herbsüße Duft, den Fräulein Hüsch heute stärker als sonst ausstrahlte, ihre hauchdünnen Strümpfe, die Pumps mit unwahrscheinlich hohen Hacken, der Maulwurfsmantel, die kunstvoll-schlicht gelegten Locken … Schildhaufs steifer Hut, das weißseidene Halstuch und die Lackschuhe, das Auto, das man gemeinsam nahm, das alles zusammen war der Auftakt zu einer Melodie, die beginnen wollte.

      Die Wagen fuhren vor. In der Halle leuchtete es von Glaslüstern und elektrischen Kerzen an Spiegelwänden. Schwere Teppiche deckten den Boden der Hotelhalle und die breiten Treppen. Die Stimmen blieben gedämpft. Garderobennummern wurden ausgegeben. Mäntel glitten herab und die Toiletten der Damen, die nackten, zart gepuderten Schultern enthüllten sich. Spitze und Seide, hell und schwarz, rauschten aneinander vorbei. Leicht gefärbte Wangen röteten sich mehr. Hände suchten in kleinen glitzernden Taschen. Kavaliere plauderten schon. Die ersten Begrüßungen fanden statt. Schildhauf entdeckte Bekannte und machte den verträumten Wichmann darauf aufmerksam, daß er Nischan grüßen müsse. Fräulein Hüsch sah prüfend um sich.

      Man geleitete die Dame zum Saal. Er war groß genug für die Zahl der Eintretenden. Das Parkett spiegelte weithin. An den Wänden mit den Marmorbüsten und den goldenen Arabesken stand rings die Reihe der Tische, von denen schon viele belegt waren. Schildhauf hatte einen Tisch nicht zu nahe der Kapelle reservieren lassen. Die Gäste der Nebentische hatten ihre Plätze noch nicht eingenommen. Fräulein Hüsch beugte sich über die Namenskarten.

      »Hören Sie, das sind ja alles Herrn aus andern Abteilungen, die da um uns herumsitzen.«

      »Korts und Casparius kommen noch an unseren Tisch«, rechtfertigte sich der Verantwortliche. »Im übrigen ist die dienstliche Rangordnung nicht durchbrochen … Die Hautevolee vom Ministerialrat aufwärts hat die andere Saalseite mit den Logen – konnte dort leider nichts mehr bekommen! Alle Plätze waren schon vergeben. Aber die Verbindung wird sich allmählich herstellen lassen.«

      Die nicht ganz befriedigte Schöne zuckte mit den Achseln und ließ sich nieder. Korts und Casparius tauchten auf, nahmen am Tisch Platz, beide mit schlohweißen Hemdbrüsten, im schwarzen Tuch des Smokings. Man beobachtete seine Mitmenschen.

      »Schauen Sie! Schauen Sie bloß, Herr Wichmann! Ihre Verehrerin … seien Sie doch nicht so unaufmerksam!«

      Der Angerufene fuhr aus Träumen auf und blickte in die Richtung, die die Damenhand leicht angedeutet hatte. Fräulein Sauberzweig ging unter den letzten Nachzüglern einsam und suchend durch den Saal. Das billige Fähnchen, das über ihren Schultern hing, war sehr kurz, die Wadenlinie schwunglos. Die beiden Hände hielten krampfhaft das silberglänzende Handtäschchen vor den Leib.

      »Das hat sie bestimmt selbst genäht!«

      »Nehmen Sie sich in acht, Wichmann, die Dame geht auf Raub aus.«

      Die Wangen des Mädchens waren ungeschickt mit Rouge gefärbt, und die natürliche Röte kam daneben hervor. Die neunzehnjährige Silvia Sauberzweig war ein niedliches Mädchen, aber sie war schüchtern und ungeschickt.

      »Ha, also das Mädle tut mir wirklich leid«, sagte Casparius gutmütig. »Die hat sich daheim vor ihrem Spiegel so wunder schön g’funde, und jetzt heult sie bald. Daß aber auch der Baier net kommt. Der hat wahrscheinlich wieder kein Geld. Oje und die Schmock, die hat der Pöschko heut am Tisch. Habe die denn kein Platz mehr für des Mädle? Des ischt eigentlich eine Gemeinheit von der Freundin Anneli gegen die Silvia. Gegenwart von