Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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gesagt habe!«

      »Hoffentlich nicht, gnädige Frau. Ich bin noch zu gar keinem Kompromiß bereit.«

      »Dann muß ich meine Bemühungen im Geist auf Ihre zukünftige Gattin übertragen. Vielleicht wird die Sie zur Raison bringen. Sobald Sie den Regierungsrat haben, fangen Sie doch sicher an, unter den Töchtern des Landes zu wählen. Den Regierungsrat sollten Sie allerdings vorher haben. Grevenhagen war auch Regierungsrat, als er in der Inflationszeit heiratete. Es war eine glanzvolle Hochzeit, von der man hier viel sprach. Aber eine geschiedene Frau! Mich wundert immer noch, daß die alten Exzellenzen die Erlaubnis zu der Heirat gegeben haben.«

      »Wieso Erlaubnis gegeben?« Wichmann lachte ein wenig, während Martha den warmen Pudding servierte. Sie hatte die Augen gesenkt, um nicht neugierig zu erscheinen. »Volljährig und als Regierungsrat konnte Grevenhagen noch nicht auf eigene Verantwortung heiraten? Brauchte er eine Aussteuer?«

      Die Geheimrätin beantwortete den Spott des Assessors mit einem überlegenen Lächeln. »Lieber Herr Assessor, Sie stammen aus akademischen Kreisen, Bremenser Patrizier und Potsdamer Offiziersadel sind Ihnen als Milieu noch etwas fremd. Da gibt es wenig individuelle Wünsche; alles ist Strenge und Hochmut und Zucht, von klein Kind an. Wie wollten Sie im übrigen die Ansprüche einer geschiedenen Gräfin Markwitz mit einem Regierungsratsgehalt erfüllen? Selbst wenn Sie in wenigen Jahren zum Ministerialrat aufsteigen! Ein Beamtengehalt genügt nicht für die Lebensführung der jungen Frau Grevenhagen. Die Eltern haben dem Sohn anläßlich der Hochzeit einen großen Teil seines Erbes schon überschrieben. Sie waren wohl allzu weich gestimmt in der Zeit nach dem Krieg … Früher war der junge Herr zwar sehr anspruchsvoll, aber auch außerordentlich streng erzogen. Tja, dann 1918 verschüttet – dabei hat er sich auch seine grauen Haare geholt, die ihm das distinguierte Aussehen geben – vermißt – in Gefangenschaft – die Eltern gebrochen von Sorgen um den einzigen Sohn … und schließlich sagten sie ja und amen, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, daß die alte Majestät einverstanden gewesen ist. Eine geschiedene Frau!«

      »Wieso, hatte die Gräfin einen schlechten Ruf? War sie mit ihrer Schuld geschieden?«

      »Behüte, aber eine geschiedene Frau überhaupt!? In einer solchen Familie!«

      Die Geheimrätin sprach ihre Abneigung gegen alles, was mit Scheidung zusammenhing, nachdrücklich aus und versuchte vergeblich, den Samen ihrer Anschauung der jungen Generation einzupflanzen.

      »Sie können eine unschuldige Frau doch nicht um des Prinzips willen an einen Schuft ketten, bis sie zugrunde geht. Frau Grevenhagen tut mir leid, ohne daß ich sie kenne; das Geschwätz scheint sich um sie zu ranken wie Schmarotzerpflanzen um einen wehrlosen Stamm.«

      Die Geheimrätin mit den grauen Löckchen war nicht klug genug, um sich getroffen zu fühlen, oder zu klug, um es zu zeigen.

      »Merken Sie sich, lieber Assessor: ›Etwas ist immer dran.‹«

      Als der Mokka das Sonntagsmahl abgeschlossen hatte, zog sich der Gast mit Dank in sein Zimmer zurück. Er streckte die Beine von dem hochlehnigen Renaissancestuhl, in den er sich niedergelassen hatte, und betrachtete das japanische, auf Seide gemalte Bild, das neben der Rembrandtkopie fremdartig an der Wand hing. Wasser, eine zierlich gebogene Brücke, ein Baum, mit unendlicher Geduld in alle seine Verästelungen verfolgt, dahinter der Schimmer des Fudschijama – voll von Tradition und allgemein verbindlichen Regeln der Form und geregelten Empfindungen steckte das Ding. Zierlich und gebunden wie solch ein Bild mochten Mädchen sein, die auf Befehl der Eltern einem alten japanischen Samurai ins Ehebett folgten.

      Es regnete immer noch, aber der Wind hatte sich erhoben und trieb eine Wolkenherde weiter, der Strich der Tropfen hatte sich schräg gestellt und traf die Fenster nicht mehr. Wichmann öffnete und zog die feuchte, reine Luft ein, die vom Staub der Straße, vom Rauch der Öfen, von den Abgasen der Fabriken befreit war. Es roch nach dem modernden Park.

      Drüben der Garten hinter dem Rosentor lag still wie immer. Wichmann ärgerte das Gerede, das sich zu seinen Ohren gedrängt hatte. Er schämte sich, als ob man Menschen mit Gewalt vor ihm ausgezogen habe. Beinahe hilfesuchend dachte er an die stolze Dame im Weißhaar, die »alte Majestät«, deren von der Erinnerung wiederholte Erscheinung das Gemeine bannen sollte.

      Es war schon eine Stunde vergangen, als er Hegels Rechtsphilosophie hervorholte und sich durch des Meisters verschrobene Sprache zu den Gedanken durchwand, die streng und nicht immer zusagend waren. Daß die kapitalistische Gesellschaft nur von der Expansion leben könne, hast auch du schon gedacht. Die jungen Leute haben sich in das Besondere ihres bürgerlichen Berufs zu finden – das ist vernünftig, also gut, also notwendig …? Pfui!

      Dennoch blieb das Buch in Wichmanns Hand, bis es dämmerte. Das Großartige des einheitlichen Systems zog ihn an, auch wenn ihm vor der Beschränktheit seiner Nutzanwendung graute. Die Pläne der Vorsehung enthüllen und dann beim preußischen Staat landen! Nichts gegen Preußen … aber war es der Sinn der Welt?

      Was sagst du dazu, alter Heiliger mit dem mageren Antlitz und den allzu reichen Falten im Gewand?

      Der Verwaltungsassessor Dr. Oskar Wichmann ließ durch das offene Fenster noch immer den Duft des Parks an sich herankommen, Duft von Moder und Fäulnis an diesem Abend. Die Straße war ohne Laut und Bewegung. Auf dem asphaltierten Gehweg spiegelte sich das Abendrot in seinen himmlischunfaßbaren Tönen in Pfützen, die sich als Gewirr durch abtrocknende Stellen zogen. In der Mitte der Fahrbahn lag wieder ein welkes Ahornblatt. Hoch oben an den Zweigen grüßten sich im Sonnengold noch die Brüder, die auf dem Weg des Vergehens bald folgen mußten. Die eisernen Ranken des Tores und der sandbestreute Weg mit seinen Rasenrändern träumten schon im verschwommenem Dunkel zur Nacht dahin.

      Wichmann schloß das Buch. Er trank den Tee aus, den Martha noch gebracht hatte, und entzündete die Zigarette. Sein Rücken spürte die nicht harte und nicht weiche Stütze des gobelinbezogenen Holzes. Er legte die Hand auf das dunkle Löwenhaupt, dessen Mähne in vielen Jahrzehnten von vielen Händen glatt gegriffen worden war. Drüben, im rötenden Sonnenstrahl, schimmerte noch ein undurchsichtiges Glasauge des halb verborgenen Hauses.

      Die blauen Kreise, die sich aus den rauchenden Lippen lösten, verschwebten ohne Ziel im Herbst und Abend. Der letzte Duft des Tees, den Oskar Wichmann aus einer durchscheinenden Schale getrunken hatte, zog mit ihnen aus dem Fenster. Nicht sichtbare Häuser verdeckten den Tod der Sonne. Die Straße wurde grau, und das dürre Ahornblatt flatterte noch einmal hilflos im Wind. Eine Laterne schien durch den Nebel, der aus Park und Gärten herausfloß.

      Oskar Wichmann hörte Schritte, ohne den Kopf zu wenden. Sie klangen leicht, dem Verdämmern der stillen Straße angepaßt, in einem doppelten Takte, der das Gehen zweier Menschen verschiedenen Wuchses verriet. In dem zwiefältigen Schimmer, in dem die Ausstrahlungen der Laterne in das Dunkel der Parkwege hineintasteten, wurde die Bewegung für den, der sie gehört hatte, auch sichtbar. Er sah eine Frau, ohne den Mann, der sie geleitete, bewußt wahrzunehmen. Sie trug ein Cape aus schwarzem Tuch, das auch im matten Schein glänzte; der Hut, die hohen Stiefel, der dünne scharfe Strich der Reitgerte waren durch den nervenreizenden Gegensatz ihrer Steifheit und Strenge mehr Enthüllung als Versteck für die Grazie des Frauenleibes.

      Das Melodische der Stunde, die zwischen Abend und Nacht schwebte, löste gleiche Schwingungen in der Körperseele des fünfundzwanzigjährigen Mannes. Der Klang jener Schritte, der auf sandbestreutem Weg die Grenze des hörbaren Lauts kaum mehr berührte, hallte in ihn hinein, und er horchte auf sie wie auf das Ausklingen einer Saite, das durch keinen anderen Ton mehr gestört wird. Seine eigene Hand war nur noch ein matter Schatten. Er zog an der Zigarette. Das Feuer war ausgegangen.

      Oskar Wichmann war wunderlich verzaubert und ließ sich von der Nacht in tiefere Träume spinnen. Seine Hände wurden langsam kalt, und Feuchtigkeit setzte sich an seine Haare. Es war eine untergründige Wollust in dem Gefühl, eine sehr schöne Frau gesehen zu haben, und das Unbestimmte und Unbekannte ihrer Erscheinung machte das Spiel der Phantasie frei und süß. Die Mächte, denen der Zufall untertan war, hatten ihn in der fremden Stadt in das Haus geführt, das dem ihren gegenüberlag. Niemand verwehrte ihm, die tausend Möglichkeiten zu durchfliegen, die für das Wiedersehen der noch Unbekannten offen lagen. Eine einzige Bewegung