Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
Скачать книгу
wie der liebe Gott sie hat wachse lasse, sauer oder süß, weich oder hart … Und da kommen dann wir und fangen an zu keltern. Bei den einen, da wird gleich ein goldgelber Saft draus, der in unserm Glas schillert, aber bei den andern kann sich ein Elefant die Kern in die Füß’ trete, eh’ daß die gekeltert sind, und mer muß allweil noch ein bißle Zucker zusetze.«

      »Das ist hierzulande leider überhaupt sehr beliebt.«

      »Ich weiß, ich weiß, auch da, wo er nicht hingehört. So eine kleine Fälschung soll beim weiblichen Geschlecht auch vorkommen … man denkt, es isch Natur …«

       »… und stößt auf die Kultur,

       die Puderquaste fuhr …«

      »Ein Glück, daß Ihnen die Reime ausgehen, Herr Nathan! Nur die Puderquaste macht’s nämlich auch nicht! Da schauen Sie sich die Lundheimer an – Ihre Laura Lundheimer …« Fräulein Hüsch biß in ein Lachsbrötchen. Sie aß wenig. Die schlanke Linie erzwang Lebensregeln.

      »Wieso ›meine‹ Lundheimer?«

      »Das kann sich doch jeder denken … bei den Nachrichten, die Sie immer von dort beziehen?«

      Der Angeredete lachte breit. »Ich mache mächtigen Vorgesetzten keine Konkurrenz. Das verstößt völlig gegen meine Auffassungen.«

      »Von der Seite her wäre Ihre Tugend allenfalls verständlich, obwohl ich nicht dran glaube.«

      »Für was für einen Don Juan halten Sie mich denn, Gnädigste?«

      »Der Leporello hat auch gern poussiert. Vom Poussieren allein wird einer noch kein Don Juan, wissen Sie! Sonst hätten wir mehr von der Sorte.«

      »Aha! Da kommen Ihre weiblichen Ideale zutage.«

      »Klar! Ich mach’ noch Ansprüche.«

      Das Gespräch ging in Witzeleien über. Die Weinflaschen wurden leer. ›Cognac‹ erschien auf der runden Tafel.

      »Donnerwetter! Sie strengen sich ja an für ihre Amtskollegen! Auf das Wohl unserer Gastgeberin!«

      Wichmann stieß mit an und trank das letzte Glas aus. Er war noch vollkommen nüchtern und saß jetzt wie ein angenehm unterhaltener Zuschauer im Theater. Mit seinem eigentlichen Leben hatte alles, was an der Tafel um ihn vorging, nichts mehr zu tun. Als man bei der Flasche echten ›Cognac‹ die Plätze wechselte, setzte sich Schildhauf zu Wichmann und erzählte Anekdoten aus der Corpszeit. Sie waren nicht alle neu, aber der Erzähler war so ehrlich begeistert davon, daß Wichmann bei seinem dröhnenden Lachen aus Freundlichkeit mittat. Korts hatte sich zu den beiden gefunden. Er schien guter Stimmung.

      Auf dem Heimweg, den Schildhauf, Wichmann, Korts und Casparius als erste antraten, gelang es Schildhauf, Wichmann allein zu sprechen.

      »Wollen Sie nicht in unsern Klub eintreten? Grevenhagen als Pate … von Linck ist sicher auch bereit? Sie lernen dort Menschen kennen. Was wir heute gesehen haben, waren doch nichts als Tierchen. Schade um die Hüsch. Sie ist ein Vollweib. Wie ist es denn mit Korts? Er kommt von der IG-Farben und soll Karriere vor sich haben? Wenn Sie wollen, nehmen wir den noch dazu. Etwas ungewandt scheint er. Also überlegen Sie sich’s erst mal selbst?«

      »Was tun Sie denn in Ihrem Klub?«

      »Rauchen und Gespräche machen. In Klubsesseln sitzen. Die Herren sind ganz passabel. Ein paar Stabsoffiziere, etwas Journaille und Wirtschaft – ein Prinz … drei Beamte … das ist so die Mixtur, die sich meistens zeigt. Kommen Sie! Sie waren doch bei einer schlagenden Verbindung? Also gut. Wir sprechen noch darüber. Der alte Grevenhagen läßt sich auch ab und zu sehen. – Sie müssen an diese Kreise Anschluß finden, wenn Sie etwas werden wollen. Ich führe Sie einmal als Gast ein.«

      »Dafür wäre ich Ihnen dankbar.«

      »Abgemacht. – Übrigens, im Vertrauen – sagen Sie: Ist die Hüsch schon engagiert?«

      »Sie ist nicht verlobt meines Wissens.«

      »Nein, das hab’ ich auch nicht angenommen. Ich meine …?«

      »Korts macht Ansprüche.«

      »Korts? Zum Piepen. Dabei sitzt er da wie ein Stock und rührt sich nicht. So – Korts. Danke für die Mitteilung. Wie steht denn die Hüsch dazu?«

      »Wer soll das bei einer Frau wissen?«

      »Ah so … im Bilde.«

      Korts und Casparius rückten an einem Straßenübergang zu den beiden auf.

      »Gehen wir noch einen Mokka trinken?«

      Man einigte sich auf diesen Abschluß, an den alle schon im stillen gedacht hatten, und saß noch bis ein Uhr in einem lichtflimmernden Lokal. Draußen vor den großen Fenstern zogen die Menschen als Schatten auf und ab; eine Kapelle machte Lärm, und die Gäste schwatzten. Damen und Püppchen wechselten Blicke mit Schildhauf und Korts, wenn Ihre Versuche an Wichmann abgeglitten waren. Casparius schnitt heimlich die Grimassen, mit denen er die Bemühungen blau untermalter Augen nachahmte, und reizte den aufgeregten Korts zum Lachen.

      Wichmann pries die Vorzüge einer gediegenen Weinstube, und es wurde beschlossen, daß das Kleeblatt vierblättrig sein sollte, wenn es das nächste Mal dorthin ging.

      Die Tage eilten Weihnachten zu. Sie liefen wie die Stafettenläufer, die im Nu den Stab wechseln und schon weitereilen. Kaum daß man sich nach ihnen umsah, waren sie um eine Etappe vorangekommen.

      Die Schaufenster gleißten und boten Trödel und Kostbarkeiten feil; Menschenmengen stauten sich davor. Große Fichten mit elektrischen Kerzen standen in den winterkalten Straßen. Die Stadt vertausendfachte, was Dorf und Familie zum Feste tun konnten. Ihre Kerzenbäume waren größer und brannten länger, die Krippen und Weihnachtsmänner erschienen riesig und zahlreich, die Spielzeugeisenbahnen funktionierten mit kompliziertem Raffinement und wirkten magnetisch auf jung und alt. Die Stadt tat, was sie auf allen Gebieten des Lebens zu tun vermochte, sie steigerte, vervielfältigte und brachte Bewegung; in den Händen ihrer Geschäftsleute wurden alle Herrlichkeiten zu Waren, und sie maß alle Wünsche in Kaufkraft. Aber die Sterne standen fremd und vergessen über ihrem Treiben, und der himmelweiße Schnee wurde in ihren Straßen schmutzig.

      Wichmann verlebte die Tage in einem Zustand, den er selbst nicht ganz durchschaute. Die Tätigkeit im Ministerium war noch lebhaft. Die Erweiterung des Grevenhagenschen Referats machte sich auch für Wichmann spürbar. Er bekam Arbeiten, vornehmlich des Herrn Borowski, in die Hand, die nicht vollständig durchdacht, in ihrer Begründungflüchtig waren, und er feilte daran, teilte neu ein, stellte die Gedanken schlagkräftiger zusammen und vertilgte das Wort »hinsichtlich«, das sein Chef nicht liebte. Wichmann empfand diese Aufgabe als unangenehm. Er war keine Lehrernatur. Aber es ging alles glatt; von den Schwierigkeiten, die Borowski angedroht hatte, ließ sich vorläufig nichts merken. Der Großsprecher schwieg nur mit rotem Kopf, wenn Grevenhagen seine Kritik in sehr höflicher Form, inhaltlich aber mit schonungsloser Schärfe vorbrachte. Auch Pöschko, der Amtmann mit der Gardegrenadiershaltung, trat jetzt leibhaftig in Wichmanns Gesichtskreis, und der Assessor spürte, daß er noch zu weich war, um die Achtung dieses selbstbewußten Mannes zu erzwingen.

      Im Grunde war ihm das alles auch gleichgültig. Sein sonderbarer Zustand, in dem er das Leben seiner Mitmenschen wie ein Marionettentheater an sich vorüberziehen ließ, blieb. Sein eigenes Leben lag fern davon, weltenfern. Nur wenn er den Geruch der Pferde spürte, auf denen er jetzt schon halbwegs sicher zu sitzen vermochte, wenn ihn die Wipfel des Parks grüßten, wenn er an dem Zimmer Nr. 412 vorbeiging und den Namen »Grevenhagen, Ministerialrat«, las, dann tat sich in ihm etwas auf, eine zweite Bühne seiner Seele, die von einem dunklen Vorhang verdeckt war, während auf den Brettern davor für das Publikum gespielt wurde. Was sich hinter jenem Vorhang in ihm selbst verbarg, ahnte auch Wichmann nur in Nebeln und Träumen. Himmel und Hölle oder nur Kulissengerümpel, wer wußte es, aber er fühlte sich voll verführerischer unbestimmter Hoffnung, und seine Handlungen wurden von Kräften und Wünschen geleitet,