Ein Leben in zwei Welten. Gottlinde Tiedtke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gottlinde Tiedtke
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Эзотерика
Год издания: 0
isbn: 9783946959793
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– eine in etwas Fett angeröstete dicke Paste aus Mehl und Salz.

      Das Lieblingsessen meiner Mutter war Rauchemat: Eine geriebene gekochte Kartoffel, die mit etwas Mehl vermischt, in eine gebutterte Pfanne gedrückt und dann auf einer Seite knusprig gebraten wurde.

      Das Ende der Kindheit

       und eine fantastische Begebenheit

      Die Jahre vergingen. Mein Großvater wurde wieder an eine neue Schule versetzt, meine Mutter und ihre Geschwister wurden erwachsen. In der Zwischenzeit studierte Johannas Bruder Gerhard Jura. Karl hingegen war in Alter von 14 Jahren Hals über Kopf von zu Hause fortgelaufen. Er wollte unbedingt zur See fahren.

      Er hatte bereits auf einem Schiff angeheuert, als mein Großvater ihn in letzter Sekunde noch davon abhalten konnte und ihn zurück nach Hause brachte. Karl wollte die große, weite Welt sehen, doch er einigte sich mit meinem Großvater darauf, dass er erst auf die Seemannsschule gehen würde, um das Kapitänspatent zu machen.

      Im Laufe dieser Zeit war er 1. Offizier auf der „Padua“, einem Schwesterschiff des Viermasters „Pamir“, und fuhr um Kap Horn. Dort musste er bei Windstärke 12 in unglaublicher Höhe in die Segel.

      Später war er Kapitän bei der Handelsmarine, die dann kurzerhand ab 1938 zur Kriegsmarine erklärt wurde.

      Jedes Mal, bevor er in See stach, besuchte er meine Mutter und bat um ihren Rat: „Hannel, wie sieht es aus, werde ich wiederkommen?“

      Meine Mutter hatte keine Angst. Von ihr ging eine unglaubliche Kraft aus. Karl erzählte mir oft, dass ihn meine Mutter durch schwere Situationen in seinem Leben geleitet hatte. Wenn er in ihre Augen sah, fand er dort einen unbeirrbaren Glauben.

      Auch dieses Mal sagte sie zu ihm: „Es wird alles gut, du kommst wieder.“

      Was kurz darauf passierte, ist so unglaublich, dass Karl immer sagte, er könne es immer noch nicht fassen, obwohl er die Geschichte bereits so oft erzählt habe.

      Die kommenden Ereignisse begannen damit, dass Karl das Kommando der „Wilhelm Gustloff“ übernehmen sollte. Das war eigentlich nichts Außergewöhnliches, denn er hatte dieses Schiff schon viele Male als Kapitän navigiert.

      Karl stand bereits an Deck, als er die Order erhielt, abzubrechen und ein anderes Schiff zu übernehmen. Er sagte, in diesem Moment habe er sich wirklich bemühen müssen, seinen Unmut über die spontane Planänderung nicht lautstark kundzutun. Er habe dann gerade noch seine Emotionen unter Kontrolle bekommen und dann schweigend das andere Schiff übernommen. Wenige Stunden später sollte er dem Schicksal unendlich dankbar sein.

      Denn an diesem Tag, dem 30. Januar 1945, sank die „Wilhelm Gustloff“ mit mehr als 9 000 Menschen an Bord durch einen russischen Torpedoangriff.

      Karls Freund, der das Kommando für ihn übernommen hatte, starb mit vielen anderen seiner Kameraden.

      Lange Zeit kämpfte Karl mit Schuldgefühlen.

      Warum hatte ausgerechnet er überlebt und alle anderen mussten sterben? Doch wie viele andere in der Marine lebte er jeden Tag mit dem Tod. Immer wieder musste er über die Ostsee hinauf nach Skandinavien und Norwegen, um Munition, Kriegsgerät und Pferde in die Kriegsgebiete zu liefern.

      Er berichtete immer davon, dass es erst nur ein paar Verletzte gewesen seien, die sie auf den Schiffen transportierten, später beförderten sie nichts anderes mehr als Verwundete. Schwer verletzte Menschen, die man unter entsetzlichen Bedingungen bergen musste. Es war kaum möglich, bis an die Steilufer heranzufahren, weil die Engländer ihre Schießanlagen in den Hängen angebracht hatten. Jedes Schiff, das sich näherte, wurde sofort beschossen.

      Entsetzliche Szenarien spielten sich ab. Man fuhr mit Begleitschiffen im Spitfire der Alliierten.

      So auch eines Tages. Karl war mit seinem Schiff gerade in ein Geschwader der Alliierten geraten. Zwei Schiffe waren bereits gesunken. Er stand auf der Brücke. Sein Steuermann war schwer verletzt. So übernahm er selbst das Ruder. Mit nur mehr einer Handvoll an Besatzung im Hagel der Geschosse. Als er wie durch ein Wunder mit dem Schiff doch noch den sicheren Hafen erreichte, bemerkte er, dass seine Jacke total durchschossen war. Überall sah man Schmauchspuren, Durchschüsse, die Ärmel waren komplett zerfetzt.

      Während des Granatenhagels und der damit verbundenen Todesangst hatte er plötzlich das unglaubliche Erlebnis gehabt, über seinem eigenen Körper zu stehen. Er konnte sich genau unter sich sehen. Es sei ein fantastisches und erhebendes Gefühl gewesen, so frei zu sein, so völlig ohne Angst.

      In diesem Zustand und in dieser Euphorie hatte er anscheinend das Ruder bedient. Während er sich mit dem Gottvertrauen, vom dem meine Mutter Johanna so oft sprach, der übermenschlichen Aufgabe stellte, die Situation unter Beschuss zu bewältigen, hatte er gefühlt, wie er in eine andere Realität versetzt wurde, in der er Herr der Lage wurde. Nach den zahllosen Einschüssen in seiner Jacke zu urteilen, hätte er hundertmal den Tod finden müssen.

      Er hatte die Jacke behalten und sie als Erinnerung rahmen lassen, damit er nie vergessen würde, was ihm damals widerfahren war und zu welch unglaublichen Fähigkeiten der Geist in der Lage ist.

      Johannas große Liebe und ein Traum

      Meine Mutter hatte in der Zwischenzeit eine Gesangsausbildung absolviert. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, in einem früheren Leben eine berühmte Sängerin gewesen zu sein. Tatsächlich hatte Johanna eine wunderschöne Stimme. Doch das Singen war nur eines ihrer vielen Talente. Sie war sehr intelligent und hatte praktisch das Jurastudium und das Seemannspatent mit ihren Brüdern gemacht. Ich bin mir sicher, dass sie die Prüfungen auch selbst hätte ablegen können. Doch obwohl die Frau seit der Jahrhundertwende endlich auch studieren durfte, war es dennoch unüblich. Das Klischee, dass die Frau an den Herd gehöre, war noch zu fest in den Köpfen verankert. Das galt auch für meine Großmutter. Johanna ging nach Bad Elster und wurde Krankenschwester. Zudem war meine Mutter äußerst kreativ, sie malte und schrieb Gedichte.

      Bald hatte sie auch einen glühenden Verehrer. Er hieß Willy. Er war ein attraktiver, braungebrannter sportlicher Mann mit blondem Haar, blauen Augen und einem sympathischen Lachen.

      Sein Vater war nach Südamerika ausgewandert und besaß dort eine große Plantage. Willy war nach Deutschland gekommen, um neue Farmgeräte zu kaufen. Bald verband die beiden mehr als nur Freundschaft. Willy war fest entschlossen, meine Mutter zu heiraten. Sie war die Liebe seines Lebens.

      Johanna sollte mit ihm nach Südamerika gehen. Er wollte erst ein Haus für sie bauen, dann sollte sie nachkommen. In der Zwischenzeit wollten sich die beiden schreiben.

      Meine Mutter wartete, bekam aber keine Post. Sie schrieb Willy, bekam aber nie eine Antwort. So ging es Tage, Monate, ein Jahr. Irgendwann gab sie unter Tränen auf. Während dieser Zeit träumte sie immer wieder von einer Frau, die ihre Briefe zerriss. Obwohl meine Mutter sonst jeden Traum zu deuten wusste, diesen einen konnte sie sich seltsamerweise nicht erklären.

      Zerriss diese Frau ihre Briefe, weil sie die neue Frau an Willys Seite war? War meine Mutter ihm inzwischen gleichgültig, weil er diese andere Frau liebte?

      Es schien alles drauf hinzudeuten. Sich aufzudrängen war Johanna fremd, dazu war sie viel zu stolz. Erst als sie längst verheiratet war, sollte sie Willy wiedersehen.

      Sie erzählte mir und der ganzen Familie oft von ihrer enttäuschten Liebe und was Willy damals zu ihr gesagt hatte. Er habe sie gefragt, warum sie nie seine Briefe beantwortet und ihn gleich vergessen habe. Er habe so lange gehofft und gewartet.

      Vollkommen außer sich hatte meine Mutter entgegnet:

      „Natürlich habe ich dir geschrieben, du hast niemals geantwortet. Ich habe von dir und einer Frau geträumt, deshalb war ich mir sicher, du hättest mich vergessen. Die Frau hatte lange dunkle Haare, blaue Augen und Grübchen – und sie zerriss all meine Briefe.“