Planetenschleuder. Matthias Falke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Falke
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783957770288
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zu rühren, ist kein Wahnsinn?!«

      Es war einsichtig, dass ihre Widerspenstigkeit nur das Mäntelchen war, dass sie über den Lapsus ihrer grotesken Fehleinschätzung breiten wollte. Auf der Enthymesis hätte ich sie von der Brücke entfernen lassen.

      »Darling«, sagte ich leise und legte Jennifer die Hand auf die Schulter, die ungerührt neben mir stand. Sie hatte sich an dem letzten Wortgefecht nicht mehr beteiligt, sondern stattdessen rasch einige Berechnungen durchgeführt und mehrere Downloads aktiviert, die von der Automatik der MARQUIS DE LAPLACE direkt auf die Rechner der Enthymesis überspielt wurden. Auf der Konsole hatte sie die Updates verfolgt, die die Bahndaten des heranrasenden Meteoriten aktualisierten. Jetzt richtete sie sich mit einem Ruck gerade, salutierte förmlich zum Schirm hin und sah Rogers mit so wildem Ausdruck an, dass selbst der alte Haudegen unwillkürlich einen Schritt zurückwich.

      »Dr. Rogers«, sagte sie in militärischem Tonfall, »erbitte das Kommando für Rettungsmaßnahmen in Segment IV. Alle Einheiten des operativen Sektors müssen mir für die« – sie sah auf die Uhr –, »für die nächsten 15 Minuten unterstellt werden.«

      »Was haben Sie vor, Major?«

      Rogers zögerte. Ich schnappte seinen Blick auf, der plötzlich trübe und greisenhaft war. Dabei rannen uns weitere kostbare Sekunden durch die Finger, wie der sonderbare Quarzsand auf Gamma Centauri III, der so fein war, dass er durch die Haut in das Gewebe eindrang und die Kapillaren verödete. Mehrere Männer meiner Crew sind damals qualvoll an Herzkranzödemen und Thrombosen gestorben.

      Jennifer machte das einzig Richtige: statt weitschweifige Erläuterungen abzugeben, ging sie zum Befehlston über und erteilte Anweisungen.

      »Setzen Sie Alarmstufe I«, schnarrte sie, als schicke sie einen Unteroffizier zum Latrinendienst. »Evakuieren Sie Segment IV mit Ausnahme der Angehörigen der fliegenden Crew. Lassen Sie das Große Drohnendeck vollständig räumen und leiten Sie Zündungssequenz für alle Enthymesis-Explorer ein.«

      Sie wollte sich auf dem Absatz herumwerfen und davonwirbeln, um den Eindruck zu erwecken, dass es weiter nichts zu besprechen gäbe. Fakten zu schaffen war schon immer das Patentrezept im Umgang mit zauderlichen Vorgesetzten.

      Während ich überlegte, was sie vorhaben mochte, erschien auf unserem zweiten Monitor das Bild Commodore Wiszewskys. Er wirkte wie ein Ludwig XVI., den man aus dem Mittagsschlaf geweckt hat, um ihm mitzuteilen, dass leider schon wieder ein Krieg ausgebrochen ist. Sein Haar stand in Strähnen um seinen Schädel, wie eine verrutschte Krone, und sein Blick war unpräzise und zerstreut.

      »Da habe ich wohl noch ein Wörtchen mitzureden«, gähnte er.

      Er hing in seinem gravimetrischen Sessel und legte nun zunächst eine größere rhetorische Pause ein, um seinen nachfolgenden Worten das größtmögliche Gewicht zu verleihen.

      »Ich lausche ihrem Disput schon eine ganze Weile«, sagte er und klimperte demonstrativ auf der Armlehne, wo die Bedienfelder für die Kommunikation eingelassen waren.

      Das war natürlich geheuchelt. Es war weder von Anfang an, noch zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf dem laufenden. Aber er hatte recht: so lange er an Bord war und das Oberkommando innehatte, konnte nur er über die Verhängung der höchsten Alarmstufe entscheiden; diese war normalerweise dem Gefechtszustand vorbehalten. Auch Evakuierungsmaßnahmen unterstanden seiner Anordnung.

      »Selbstverständlich«, knirschte Rogers. »Ich wollte Ihren Befehlen nicht vorgreifen. Wir versuchen seit«, er stockte, »seit Ausbruch der Krise, Sie zu erreichen.«

      »Ich weiß«, sagte Wiszewsky gelangweilt. »Aber ich fühle mich heute ein bisschen – indisponiert.« Er sah für mehrere Sekunden stumpf vor sich hin. Ein alter Mann mit leerem Blick. »Ich traute Ihnen zu, dieses kleine Missgeschick selbstständig zu beheben«, sagte er. »Aber wenn Major Ash nun zu der Auffassung gelangt ist, dass derart radikale Maßnahmen notwendig sein sollten, stehe ich nicht an, mich meiner Verantwortung für das gesamte Schiff zu entziehen.«

      Die sensorielle Lehne seines Sessels gab nach. Er rutschte nach hinten. Zugleich drehte sich der schwenkbare gravimetrische Thron ein wenig. Die weiße Rundung eines nackten Pos kam für einen Moment ins Bild. Er konnte nur zu Svetlana Komarowa gehören, die sich auf der breiten gepolsterten Armlehne räkelte. Wiszewsky beeilte sich, den Sessel wieder gerade zu rücken. Er ließ sich nichts anmerken, aber für einen Augenblick hatte er wie ein zerknautschter Herrgott ausgesehen, der beim Schäkern mit seinem Lieblingsengel überrascht worden ist.

      »Nun«, räusperte er sich. »Schwierige Situationen erfordern unkonventionelle Maßnahmen.«

      Während ich hoffte, dass er an dieser Politikerfloskel ersticken möge, hatte ich Jennifer am Arm ergriffen. Schritt für Schritt stahlen wir uns nach rückwärts davon. Durch sparsame Kopfbewegungen gab ich Jill und Reynolds zu verstehen, dass sie sich bereithalten sollten, jeden Augenblick mit uns loszusprinten, sowie wir das offizielle GO! hatten. Uns blieben keine zwölf Minuten mehr.

      »Major Ash«, setzte Wiszewsky seine Sonntagsrede fort, »Sie scheinen in der Ihnen eigenen Geistesgegenwart einen Notfallplan improvisiert zu haben. Sie wollten uns nicht einweihen, und vermutlich wäre es jetzt auch der falsche Zeitpunkt, eine ausführliche Darlegungen Ihrer Absichten einzufordern.«

      Mit sichtlichem Stolz ließ er dieses Glanzstück seiner Eloquenz und seiner Auffassungsgabe auf uns wirken. Jennifer und ich standen mit dem Rücken zum Gang an der Gabelung, wo der direkte Weg zum Servicetunnel abzweigte. Aus zehn Metern Entfernung nickten wir unterwürfig und unter Vollführung angedeuteter Diener zum großen Schirm hin.

      »Ich erteile Ihnen daher«, sagte Wiszewsky, »das kommissarische Kommando für die Durchführung dieser Aktion. Ich weiß nicht, was Sie ausgeheckt haben, und vielleicht ist es besser, wenn ich über die Details nicht näher informiert bin, aber ich vertraue Ihnen die Ausführung dieser für uns alle so entscheidenden Mission vorbehaltlos an.« Er überlegte. »Commander Norton wird Ihnen dabei assistieren«, fiel ihm dann noch ein.

      Wir rannten los. Mit dem letzten Wimpernschlag hatte ich noch gesehen, wie Rogers bei Wiszewskys abschließender Bemerkung ein süffisantes Grinsen nicht unterdrücken konnte. Für ihn wäre eine Welt zusammengebrochen, wenn er das Kommando bei einer so brisanten Mission hätte abgegeben müssen – und noch dazu an eine Frau. Ich fand die Anweisung des Commodore, so tatterig er sich auch präsentiert hatte, plausibel.

      Faktisch würde sich nur wenig ändern. Denn wenn wir uns an Bord der Enthymesis befanden und Jennifer an der Konsole der Ersten Pilotin Platz genommen hatte, handelte sie in der Regel sowieso vollkommen selbstständig. Ich ließ ihr freie Hand. Und da wir seit zwei Jahrzehnten ein eingespieltes Team waren, wusste ich, dass ich mich vollständig auf sie verlassen konnte.

      »Gehen Sie auf einen lokalen Kanal«, hatte Jennifer noch in den Schirm gebrüllt und mit dem tragbaren Kommunikator gewedelt, ehe wir um die Ecke bogen und in dem langen grünlich erleuchteten Gang verschwanden.

      »Erhöhen Sie die Abschirmung von Segment IV auf 125 Prozent«, schrie sie in ihr Sprechgerät, während wir nebeneinander den Gang hinunterrannten. »Und öffnen Sie sämtliche Hangars!«

      Ich vergewisserte mich, dass Lambert und Reynolds uns in geringem Abstand folgten.

      »Wie kommen wir da hin?«

      Vor meinem inneren Auge sah ich in einer Art holographischer Ausschnittvergrößerung das Innere des Segments VI vor mir. Ein dreidimensionales Labyrinth von über 300 Decks auf der Fläche einer Kleinstadt. Und die vier winzigen Punkte, die sich langsam durch seine peripheren Regionen bewegten, waren wir.

      »Rogers«, keuchte Jennifer in den Kommunikator, »geben Sie den Service-Schacht frei.«

      Obwohl sie besser trainiert war als ich, kamen ihre Worte atemlos und abgehackt. Wir rannten so schnell wir konnten, um endlich diesen endlosen Verbindungsgang hinter uns zu bringen. Ich sah mich um. Jill hielt noch gut mit; sie legte ihre ganze Panik in ihre Beine. Obwohl sie kleingewachsen und sehr schmächtig war, ließ sie sich von uns nicht abhängen. Auch das kannte ich von ihr: Wenn es darauf ankam, konnte sie über sich hinauswachsen.