Planetenschleuder. Matthias Falke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Falke
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783957770288
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die Biegungen des Ganges.

      »Jennifer«, versuchte ich mich mit hervorgestoßenen Sätzen verständlich zu machen. »Wir müssen Segment V durchqueren, das dauert eine halbe Stunde!«

      Innerlich fluchte ich vor mich hin. Dieses riesige Schiff, und es verfügte über kein horizontales Beförderungssystem. Hallen, in denen man Flugschauen veranstalten konnte, kilometerlange Gänge, stundenweite Wege. Während der monatelangen Flugphasen, in denen man Zeit genug hatte und um ein wenig Bewegung froh war, mochte das angehen, aber in Situationen wie dieser, wo es um Minuten ging, vielleicht sogar um Sekunden, waren wir so beweglich, dass ein Supertanker neben uns wendig erschien.

      »Wir gehen nicht über V«, gab Jennifer im Rhythmus ihrer tiefen Atemzüge zurück. »Wir gehen nach VII!«

      Ich stutzte. Jetzt erst fiel mir auf: Ich war blind der Richtung gefolgt, die sie eingeschlagen hatte, wir liefen nach hinten, zum Heck der 12 Kilometer langen Konstruktion der MARQUIS DE LAPLACE.

      »Was willst du denn im Kleinen Drohnendeck?«

      »Na denk' doch auch einmal ein bisschen nach«, gab sie zurück und lächelte mich über die Schulter hinweg schnippisch an. Sie war jetzt in der aufgedrehten Stimmung, in der sie berauscht vor Adrenalin wirkte. Sie konnte sich in Wachtrance versetzen, die sie während ihrer Ausbildung auf Kloster Loma Ntang erlernt hatte und die es ihr ermöglichte, in Stress-Situationen Berechnungen mit Geschwindigkeit eines Quantenrechners durchzuführen.

      Allerdings bezweifelte ich, dass das in der gegenwärtigen Phase der Fall war. Vermutlich war ihr Plan sogar ganz einfach; er musste es sein.

      In diesem Augenblick sprang die Beleuchtung des kilometerlangen Ganges auf ein fahles Rot um, und die Sirenen schrillten. Rogers hatte Alarmstufe I ausgelöst: »Schiff im Gefecht!« Wir hörten, wie in jedem Block die Feldgeneratoren aufheulten, als die Abschirmung auf 125 Prozent erhöht wurde. Ein Zittern lief durch den Corpus der MARQUIS DE LAPLACE, als die virtuellen Gyroskope die Trimmung verstärkten und das Schiff auf seiner Drift im Neptun-Orbit förmlich festnagelten. Ein alter Kreuzer hätte jetzt die Bugschilde ausgefahren und die Torpedoschächte geöffnet. Zu allem bereit! Es war zu spüren, wie die MARQUIS DE LAPLACE tief durchatmete, die Muskeln anspannte und sich dem stellte, was da auf sie zukam. Sie hatte einen Treffer einstecken müssen und war auf die Bretter gegangen, aber jetzt berappelte sie sich und besann sich ihrer Stärken.

      »Drehen Sie das Schiff um 75 Grad um die Längsachse«, brüllte Jennifer. »Er soll uns nicht am Kiel treffen, sondern an Backbord.«

      Sie musste schreien, da Sie den Kommunikator online auf die Automatik geschaltet hatte und ihn in der Hand hielt, um ständig die neuen Informationen von dem spielkartengroßen Display ablesen zu können.

      »Wer kriegt schon gern einen Schlag in die Magengrube, wenn er ihn mit einem Ellenbogencheck abwehren kann!«

      Und obwohl diese Metapher das Manöver, das sie plante, nicht ganz genau wiedergab, wusste ich plötzlich, was sie vorhatte. Es war ganz einfach! Wie alles Geniale war es so simpel, dass man sich fragte, warum man nicht selbst darauf gekommen war. Ich hätte sie küssen mögen, wie ich so neben ihr dahinrannte. Andererseits ging mir jetzt auf, war nur der Plan genial und einfach. Die Ausführung würde ziemlich schwierig werden, und es blieben uns dafür keine zehn Minuten mehr.

      »Serviceschacht geöffnet«, hörte ich Rogers' verzerrte Stimme. »Die operativen Einheiten sind informiert. Viel Glück!«

      Wir hatten das Ende des Ganges erreicht. Vor uns glitten die Türen der Schachtöffnung auseinander. Ein gelblich pulsierendes Licht fiel uns von dort entgegen. Als der Unterdruck mit sanftem Zischen entwich, bildete sich ein hellgelber Nebel, der theatralisch aus der offenen Tür wallte. Ohne auf die Kabine zu warten, sprang Jennifer in den senkrechten Schacht hinunter. Das Generatorfeld, das die künstliche Schwerkraft ersetzte, erfasste sie und ließ sie langsam nach unten schweben. Ich folgte ihr. In regelmäßigen Abständen, die die abgehenden Decks anzeigten, bänderten orangefarbene Reifen den Schacht, die im Rhythmus der Alarmsirenen aufglühten. Um die Schleusen spielten kleine Wölkchen aus Wasserdampf, die in dem unwirklichen Licht wie wattige Flammen um die Abzweigungen der horizontalen Gänge waberten. Ich sah hinauf, wo eben Jill Lambert in den Schacht gehechtet kam und langsam hinter uns herabschwebte. Dreißig oder vierzig Stockwerke über ihr war eine der automatischen Kabinen zu erkennen, die für gewöhnlich hier verkehrten, während es unter unseren Füßen um mehr als 100 Stockwerke senkrecht nach unten ging. Nur gut, dass wir als Mitglieder der fliegenden Crew daran gewöhnt waren, Begriffe wie oben und unten nicht allzu verbindlich zu nehmen. Wir spürten, dass das Schiff mit seiner Drehbewegung begonnen hatte. Da die stabilisierende Wirkung der virtuellen Gyroskope im Inneren des Serviceschachtes von den Feldgeneratoren überlagert wurde, wurden wir immer wieder leicht nach links abgedrängt. Das gewaltige Schiff rollte um uns herum, während wir uns gleichsam durch seine Hauptschlagader in die Herzkammer vorarbeiteten.

      Jennifer hatte die Schleusenkammer erreicht, die uns zur Segmentkupplung führen musste. Sie wartete damit, die Schleuse zu betätigen, bis ich und Jill neben ihr aufgesetzt hatten.

      »Reynolds«, brüllte sie in den dampfdurchzogenen Schacht hinauf. »Wo bleiben Sie denn?!«

      Das Echo ihres Rufes hallte sekundenlang in der riesigen Hohlröhre wider. Dann kam unser WO mit einem Sprung, von dem schwer zu sagen war, ob er sich einem Stolpern oder einem beherzten Hechter verdankte, in den Schacht gestürzt. Jennifer betätigte die Schleuse und ließ sie in geöffneter Stellung einrasten.

      Wir rannten in gestrecktem Lauf auf das Kleine Drohnendeck hinaus. Im ersten Sektor der Backbordseite erkannte ich eine mittelschwere EVA-Drohne, deren Triebwerke gerade heulend warmliefen. Dahinter glitt langsam und majestätisch das Hangartor nach oben und gab den Blick auf die nächtliche Leere des Raumes frei. Wir hielten auf das Shuttle zu, dessen Status Jennifer noch im Laufen über den tragbaren Kommunikator abfragte. Zwei Techniker standen davor. Als sie uns kommen sahen, nahmen sie Haltung an. Der kleinere von ihnen, ein schnauzbärtiger Corporal, salutierte.

      »Dr. Rogers hat uns informiert«, bellte er. »Sie gehört Ihnen, alle Systeme arbeiten einwandfrei.« Er drückte mir das Masterboard in die Hand und knallte die Hacken zusammen. »Ich wünsche Ihnen viel Glück, Sir!«

      Jennifer riss mir das Board aus der Hand und kletterte in die Kanzel. Während ich auf Reynolds wartete, warf ich einen skeptischen Blick durch das Hangartor in die Weiten des Alls diesseits der Neptunbahn hinaus. Obwohl nichts zu sehen war außer dem blassen Sternenhintergrund, der durch die Innenbeleuchtung des Decks abgeblendet wurde, quälte mich die Vorstellung, man müsse ganze Wolken von Asteroiden herantrudeln sehen.

      Reynolds sah aus, als sei er mit einer ziemlich harten Bruchlandung in der Schleusenkammer aufgeschlagen. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, aber er schüttelte den Kopf und zwängte sich an mir vorbei auf die Ladefläche der EVA.

      »Alles in Ordnung«, stöhnte er.

      Immerhin hatte er einen Großteil seines Rückstandes so wieder wettgemacht. Er musste sich in einem beherzten Sprung 30 Decks nach unten katapultiert haben.

      Lambert hatte an Jennifers Seite Platz genommen. Jetzt drückte auch ich mich neben Reynolds auf einen der hinteren Sitze. Eigentlich waren die EVAs nur auf zwei Personen ausgelegt, die bei Außenarbeiten an der Hülle des Mutterschiffs zu tun hatten.

      »Dann mal los«, rief ich zu den beiden Pilotinnen nach vorne. »Uns bleiben acht Minuten!«

      Jennifer haute in Rekordzeit die Module rein und zog die Maschine hoch, während die Einstiegsluke noch gemächlich zuglitt und mit leisem Schmatzen einrastete. Die beiden Techniker waren zur Seite getreten und hatten die Hände an die Mützenschirme gelegt. Die Drohne stieg einige Meter an, senkte dann die Schnauze wie ein Kampfstier, der die Hörner nach unten nimmt, und schoss auf das geöffnete Hangartor zu. Während wir über die vorderen Sektoren des Kleinen Drohnendecks hinwegrasten, sah ich, wie überall Arbeiter und Mechaniker in ameisenhafter Geschäftigkeit dabei waren, Drohnen und Shuttles zu sichern, die Robotkräne aufprallsicher zu verankern und die Feldgeneratoren zu prüfen, die auf vollen Touren liefen, um die Abschirmung zu gewährleisten. Auch hier schrillten die Sirenen