»Das wohl nicht«, entgegnete Jaxa. »Aber wir haben Geld aus Polen zur Verfügung, viel Geld, und damit werden sich etliche von Albrechts Gefolgsleuten sicherlich umstimmen lassen. Außerdem haben wir, sind wir erst Herren des Landes, das Pribislaw gehörte, viele Lehen zu vergeben, Pfründe, und auch damit wird sich mancher locken lassen.«
»Wen willst du also zur Brandenburg schicken?«, fragte jemand.
»Einen gut getarnten Mann, vielleicht kommt er als Mönch, vielleicht als Händler. Da müssen wir sehen, wer sich findet.«
Jetzt wurden Rufe laut, man solle aufhören zu debattieren, denn es sei schon längst Zeit für das Abendessen.
Ulric von Huysburg hatte genug gehört, und er machte, dass er schnell wieder zu seinem Lager kam, denn es war fest damit zu rechnen, dass man ihn zur Tafel bat. Auf halbem Weg zu seiner Hütte glaubte er, Schritte hinter sich zu hören. Er blieb stehen, zog seinen Dolch aus dem Gürtel und lauschte. Nichts. Er musste sich getäuscht haben. Sekunden später lag er wieder auf seinen Fellen und dachte nach. Eigentlich hätte er jetzt aufbrechen und zur Brandenburg reiten können, denn er hatte ja herausgebracht, was er hatte herausbringen wollen, doch mit seinem Verschwinden hätte er Jaxa nur gewarnt und dazu gebracht, seine Pläne zu ändern. Nein, er musste sich ganz offiziell von ihm verabschieden. Außerdem wäre es selbstmörderisch gewesen, in dieser sumpfigen Gegend ohne Weg und Steg durch die Nacht zu reiten. Also streckte er sich aus und suchte sich zu entspannen. Bald war er in leichten Schlummer gefallen.
Eine knappe Stunde mochte vergangen sein, als ein Knappe ihn weckte. Fürst Jaxa habe den Wunsch geäußert, er, Wertislaw, möge neben ihm sitzen und speisen.
Ulric richtete sich auf, sagte, dies sei eine hohe Ehre für ihn, und folgte dem jungen Slawen. An Jaxas Tafel hatte sich dessen gesamter Hofstaat versammelt. Ulric schätzte, dass es fast zwei Dutzend Männer waren. Er begrüßte den Sprewanenfürsten höflich und mit allem nötigen Respekt, doch als er dann neben ihm saß und in die Runde schaute, hätte er vor Schrecken fast aufgeschrien, denn der ältere Mann schräg gegenüber war kein anderer als Nebojša, der Händler, dem er an der Nuthe das Leben geschenkt hatte. Wenn der jetzt aufsprang, zu ihm lief, ihn umarmte und rief, dass er diesem großmütigen Manne hier so viel verdanke, dann …
»Ein Hoch auf Ulric von Huysburg!«
Ulric wusste nicht, ob Nebojša es wirklich schon ausgerufen hatte oder ob er sich nur einbildete, es gehört zu haben, er straffte sich jedoch, um im Ernstfall in den nächsten Sekunden gegen alle Gefolgsleute Jaxas kämpfen zu können. Blitzschnell hatte er einen Plan gefasst: Ich reiße mein Messer vom Tisch, halte es Jaxa an die Kehle und fordere ein Pferd und freien Abzug. Das mochte gelingen, aber …
Doch Nebojša schwieg, als sich ihre Blicke getroffen hatten. Entweder der Händler hatte ihn nicht als Ulric von Huysburg erkannt – oder aber er war klug genug zu schweigen.
Ulric fiel es schwer, jetzt leichthin mit Jaxa zu plaudern, zumal ihm Radogost Blicke sandte, die mit feindselig viel zu schwach beschrieben waren. Sie waren wie Pfeile.
Jaxa kam auf die Wettiner zu sprechen, von denen Ulric nur wenig wusste. »Gegen die vor allem will ich mich in Zukunft wenden, nicht gegen die Askanier, die erscheinen mir harmloser zu sein, zumal Heinrich der Löwe diesem Albrecht dem Bären in allem überlegen ist.«
»Ja«, sprang Radogost ihm bei, »wenn ich mir vorstelle, dass in einem Zwinger ein Bär und ein Löwe miteinander kämpfen, dann würde ich meinen Kopf auf den Sieg des Löwen verwetten.«
»Was haben denn die Wettiner für ein Tier in ihrem Wappen?«, fragte einer.
»Kein Tier, nur grüne Blätter!«, lachte ein anderer.
Ulric war froh, dass sie nun auf Dinge zu sprechen kamen, die weniger verfänglich waren, zum Beispiel, ob es noch einen dritten Kreuzzug nach Palästina geben würde und ob bestimmten Edelsteinen, die Hildegard von Bingen in ihrer medizinischen Schrift Physica aufgeführt hatte, wirkliche Heilkraft zugeschrieben werden könne.
»Ihre Wirkung ist ganz unzweifelhaft«, sagte Ulric. »Wenn ich schwermütig bin, weil ich kein Geld habe und mir der Schuldturm droht, dann bekomme ich sofort ein sonniges Gemüt, sobald mir jemand einen Haufen Diamanten schenkt.«
»Darin erkennt man den Mann des Nordens!«, rief Jaxa. »Ich hebe meinen Becher auf das Wohl des Sohnes Niklots!«
Doch auf Ulric von Huysburgs Platz stand gar kein Becher, den er seinerseits ergreifen konnte.
»Los, schafft einen köstlichen Trunk herbei!«, rief Jaxa.
Ein Knappe brachte ihn.
»Auf das Wohl des Herrschers über alle Sprewanen! Auf dass er eines Tages alle Slawenstämme einigen werde und Albrecht, Heinrich und die Wettiner allesamt zum Teufel jage!«
Dies wurde mit großem Beifall aufgenommen, und Ulric von Huysburg leerte seinen Becher in einem einzigen Zug, so wie es Sitte war.
Ein paar Atemzüge später wurde ihm schwindlig und schwarz vor Augen. Er konnte gerade noch die Tischkante fassen, um Halt zu finden. Doch es nutzte nichts, er verlor das Bewusstsein und schlug lang hin.
Irgendwann in dieser Nacht kam er wieder zu sich und nahm wahr, dass er an Händen und Füßen gefesselt in einem Kellerloch lag.
Drei
Die Heveller hatten auf der Brandenburger Dominsel ihre zentrale Burg angelegt. 928/29 war sie von König Heinrich I. erobert worden, und Otto I. hatte 948 das Bistum Brandenburg errichtet. Im Slawenaufstand 983 war die Burg von den Hevellern zurückerobert worden, und Anfang des 12. Jahrhunderts war sie in den Fokus des Römischen Reiches geraten, des sacrum Romanum imperium, das darauf aus war, das Gebiet zwischen Elbe und Oder seinem imperialen Machtbereich einzugliedern. Wie bei allen Großreichen gab es an den Außengrenzen abgestufte politische Beziehungen zu den fremden Völkern und Stämmen sowie »Durchmischungen« der Ethnien und Kulturen. Im Bereich der Nordmark hatte man es mit drei slawischen Größen zu tun: mit Wirikind von Havelberg, Pribislaw-Heinrich von Brandenburg und Jaxa von Cöpenick – alle drei Christen. Wirikind konnte seine Erbfolge nicht regeln und spielte in den Jahren ab 1150 keine Rolle mehr, und Jaxa hatte sich auf die Seite der Polen geschlagen.
Anders Pribislaw-Heinrich, der um 1075 auf die Welt gekommen war und sich den Deutschen verbunden fühlte. Schon Meinfried, sein Vater, war Christ gewesen, und Pribislaw-Heinrich hatte als Kind die christliche Taufe empfangen. Seinem Volk aber passte das alles nicht so recht, es hielt mehrheitlich lieber an seinen »heidnischen Bräuchen« fest und sah es gar nicht gern, dass ihr Fürst Unterkönig und Vasall des Heiligen Römischen Reiches geworden war. Er war kinderlos geblieben, und um sicherzugehen, dass nach seinem Tode nicht wieder ein heidnischer Fürst das Land regierte, setzte er Markgraf Albrecht als seinen Erben ein und wurde Taufpate Ottos, dem er bei dieser Gelegenheit den Landstrich schenkte, den man die Zauche nannte. Als er 1150 an Altersschwäche gestorben war, hielt Petrissa, seine Gattin, die Nachricht seines Todes so lange zurück, bis Albrecht auf die Brandenburg geeilt war, um sie gleichsam in erblicher Thronfolge in Besitz zu nehmen.
In der Stadt und auf der Burg Brandenburg lebten Deutsche – in der Hauptsache Anhaltiner und Sachsen – und Slawen vergleichsweise friedlich zusammen. Die Besatzung der Burg war auf einen Angriff der Sprewanen gut vorbereitet, denn Lynhardt von Schleibnitz herrschte hier mit harter Hand und ließ seine Leute nahezu täglich üben, so auch die Bogenschützen auf den Mauern und Wällen.
»Die Sehne spannen! Zielen! Und Schuss!«
Auf dem Vorfeld waren Strohballen zu Rittern und Lanzenträgern geformt worden, und in diese Zielscheiben bohrten sich nun die Pfeile – zum Teil jedenfalls.
Der Ritter Ottin von Strenznau hatte in einiger Entfernung Posten bezogen und kam nun herangeritten, um die Trefferzahl nach oben zu melden. »Nur knapp die Hälfte aller Pfeile hat ihr Ziel gefunden.«
»Zu