In Mertin von Freckleben begann es zu arbeiten. »Wie stellt er sich das im Einzelnen vor?«
»Dass sich der, der für ihn ist, im Kampf zurückhält, wenn er zum Sturm auf die Brandenburg bläst.«
Mertin von Freckleben lachte. »Ach, du bist nur gekommen, um unsere Treue zu Albrecht zu prüfen.«
Radogost musste jetzt Farbe bekennen, auch wenn das Risiko hoch war. »Ich bin schon zu Jaxa übergelaufen«, flüsterte er und griff in sein Wams, um seinen Geldbeutel hervorzuholen. »Der hier ist für dich, wenn du auch …«
Mertin von Freckleben sah sich nach allen Seiten um, dann griff er zu.
Radogost konnte triumphieren. »Und wenn du noch jemanden weißt, der die Zeichen der Zeit erkennt …«
Innerhalb der nächsten Stunde hatte er noch zwei weitere Ritter Albrechts bestochen. Das reichte aber nicht, denn die Deutschen und Slawen, die zum Markgrafen hielten, waren noch immer weitaus in der Überzahl, und Jaxa hätte sich bei einem Angriff auf die Burg nur eine blutige Nase geholt. Radogost musste also zu einem anderen Mittel greifen, und das war der Sud aus giftigen Kräutern, der schon den echten Ulric von Huysburg in Cöpenick außer Gefecht gesetzt hatte. Es galt jetzt, einen günstigen Augenblick abzupassen, sich in die Küche zu schleichen und die betäubende Essenz in alle Krüge und Kannen zu schütten, die beim Mittagsmahl auf die Tafel kommen sollten.
Hayntz von Helsungen krümmte sich auf seinem Lager. Seine Schmerzen wurden immer schlimmer. Dabei hatte er am Mittagsmahl der anderen gar nicht teilgenommen und nichts gegessen und getrunken. Es musste wieder einmal die Galle sein. Er sprang auf, um in die Küche zu laufen und sich einen am Feuer erwärmten Stein zu holen und auf den Leib zu legen.
Nach ein paar Schritten auf dem Burghof hielt er inne, erschrocken und verdutzt, denn überall lagen Ritter, Knappen, Mägde und Knechte wie tot auf dem Boden. Er entdeckte auch Lynhardt von Schleibnitz.
Schnell entschlossen kniete er neben ihm nieder und legte ihm das rechte Ohr auf die Brust. Gott sei Dank, er atmete noch, schlief aber so fest, dass er auch nach heftigem Schütteln nicht aufwachte. Rätselhaft … Grübelnd stand Hayntz von Helsungen da. Dann aber begriff er schlagartig, was hier geschehen war, denn oben auf der Krone des Walls erblickte er den Mann, der sich für den Ritter Ulric von Huysburg ausgegeben hatte, und der setzte eine Fanfare an die Lippen und blies ein Signal. Das konnte nur Männern gelten, die unten standen und warteten, die Burg anzugreifen. Slawen, Jaxa!, schoss es ihm durch den Kopf. Dann war der Mann mit der Fanfare ein Verräter! Außer sich vor Wut griff Hayntz von Helsungen nach einer herumliegenden Lanze und zielte auf den Rücken des Betrügers. Der Wurf gelang, die Lanze bohrte sich in den Rücken des Mannes. Er stürzte zu Boden.
»Ein Überfall!«, schrie Hayntz von Helsungen. »Alle Mann auf die Mauern und ans Tor!«
Doch was sich um ihn scharte, war nur ein kläglicher Haufen – ein paar Männer, die aus den verschiedensten Gründen das Mahl versäumt hatten. Mertin von Freckleben war der einzige Ritter unter ihnen.
Einer der Knappen ergriff das Wort. »Wenn das Jaxa ist, dann sollten wir uns ergeben, er macht uns sonst mit seinen Polen alle nieder.«
»Richtig!«, ließ sich Mertin von Freckleben vernehmen.
Hayntz von Helsungen durchschaute in diesem Augenblick das Spiel, das hier getrieben wurde: Der falsche Ulric von Huysburg hatte einen Teil der Ritter gekauft und den Rest der Burgbesetzung mit einem Kräutertrunk betäubt. Er musste einer von Jaxas engsten Vertrauten sein, und erfuhr der Sprewanenfürst, wer ihn getötet hatte, dann würde es keine Gnade geben.
Hayntz von Helsungen stürzte davon. In dieser Sekunde wusste er noch nicht, was er tun würde: sich in sein Schwert stürzen, sich Jaxa zum Kampfe stellen oder sich irgendwo auf der Burg verstecken und abwarten, bis Albrecht kam.
Vier
Phöbus liebt, und begehrt der gesehenen Daphne Vereinigung; Was er begehrt, das hofft er; ihn täuscht sein eignes Orakel. Wie nach genommener Ähre die nichtige Stoppel verbrannt wird; Wie von der Fackel der Zaun aufflammt, die der Wanderer sorglos Näherte, oder vielleicht in dämmernder Frühe hinwegwarf: Also entbrannt’ in Flamme der Gott; durch Mark und Gebeine Lodert er auf, und nährt unfruchtbare Liebe mit Hoffnung.
Ulric von Huysburg befand sich wieder in seinem Rattenloch und suchte sich mit den Versen Ovids zu trösten, Metamorphosen I, Daphne. Wobei er für Phöbus stand und Miluša für Daphne. Sein Fluchtversuch war gescheitert. Ihn hatten die Lanzen der Slawen nicht verwundet, aber sein Pferd hatten sie von den Beinen geholt, und dann waren sie über ihn hergefallen. Gegen zehn kräftige Männer hatte auch er keine Chance, zumal er ohne Waffen war.
Und hätte er ahnen können, welch jammervolles Bild Albrecht und seine Schar vor Althaldensleben abgegeben hatten, er wäre noch niedergeschlagener gewesen.
Ein neuer Tag war angebrochen, und viel Hoffnung, befreit zu werden, hatte er nicht, denn nun umschlang eine eiserne Spange seinen rechten Fuß, und er war an einen in die Wand eingelassenen Haken angekettet. Hoffnungslosigkeit hatte sich seiner bemächtigt, und so schaute er kaum auf, als die hölzerne Klappe über ihm angehoben wurde.
»Heh!«, tönte es von oben herab.
»Hier gibt es keinen Heh, sondern nur einen Ulric von Huysburg«, antwortete er müde.
»Du gibst jetzt also offen zu, kein Obotrite zu sein?«
Ulric lachte. »Was ist da noch zuzugeben? Ihr ahnt es doch längst.«
»Wir wissen es, Nebojša hat es uns gesagt.«
»Wer bist du eigentlich?«
»Ciril, der Mann, der Jaxa hier vertritt, während er …«
Ulric von Huysberg lachte. »… zur Brandenburg reitet.«
»Radogost hat dich beobachtet, als du unsere Versammlung belauscht hast. Und er wusste auch, dass du ein Askanier bist, Ulric von Huysburg, denn …«
Ulric wurde nun schlagartig so einiges klar, und er vollendete den angefangenen Satz. »… denn er hat mich und meine beiden Knappen vom anderen Ufer der Nuthe aus beobachtet und dann Cuntz mit seinem Pfeil getötet.«
Ciril bestätigte ihm seine Vermutung: »Ja, so war es.«
»Und nun?«, fragte Ulric von Huysburg.
»Nun … Nebojša und seine Tochter Miluša sind voller Dankbarkeit, weil du Nebojša an der Nuthe großmütig das Leben geschenkt hast, und sie haben mich angefleht, dir die Freiheit zu schenken. Und ich erfülle gern ihren Wunsch. Ein Pferd können wir dir nicht verschaffen, wir werden dir aber eines unserer Boote geben, damit kannst du nach Spandow und Brandenburg gelangen.«
»Ich danke dir, Ciril!«, rief Ulric von Huysburg. »Und darf ich Miluša noch einmal sehen?«
»Nein!«
Eine halbe Stunde später saß Ulric von Huysburg in einem schmalen geklinkerten Boot, das keinen Kiel hatte und sich mithilfe der beiden klobigen Ruder nur schwer steuern ließ. So glücklich er war, dass er nun als freier Mann zu neuen Abenteuern eilen konnte, so schwer war ihm ums Herz, weil Miluša nicht an seiner Seite war. Er warf einen letzten Blick zurück auf die Wälle der Cöpenicker Burg, dann schickte er die Bitte gen Himmel, dass er Miluša bald in seine Arme schließen könne.
Die Spree war kein reißender Strom, sondern eher ein gemütliches Flüsschen. Doch nachdem sie die Wasser der Dahme in sich aufgenommen hatte, war die Strömung immerhin so stark, dass Ulric kaum zu rudern brauchte und dennoch mit beachtlicher Geschwindigkeit in Richtung Westen getragen wurde. Der Himmel war so blau, als würde er sich mitten auf der Peloponnes befinden, und die Sonne brannte ihm mit solch mediterraner Kraft auf Stirn und Nase und die unbedeckten Arme, dass er fürchten musste, sich die Haut zu verbrennen. Die Monotonie der Landschaft ließ ihn schläfrig