So war es in der DDR und nicht anders. Gerd Leonhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd Leonhardt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783954888115
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Akkordeon und Schlagzeug. Nun verhielt sich es nicht so, wie hier im vereinigten Deutschland, dass man ohne weiteres Musik machen durfte. Es gab genaue Vorgaben des Kulturministeriums der DDR, in denen stand, dass ein jeder, der musizieren möchte, um damit Geld zu verdienen, erst einmal eine „Einstufung“ absolvieren musste. Dies hatte sich der DDR-Kulturminister, Herr Klaus Gysi, so erdacht.

      Da gab es die – man höre und staune – Einstufung A. Das bedeutet, mit dieser Klasse darf man offiziell 4,00 Mark verdienen, pro Stunde natürlich plus Nebenkosten wie Anfahrt, Technik oder Notenmaterial. Die Klasse B war schon ganze 6,00 Mark wert. Die Stufe C umfasste 7,50 Mark, und danach gab es freie Vereinbarung. Dazu gab es für Amateure, wie unsereiner, noch eine theoretische Prüfung sowie ein praktisches Vorspiel. Die theoretische Prüfung bestand darin, dass man von einem kleinen Haufen umgedrehter Zettelchen drei ziehen musste. Auf deren Vorderseite standen Fragen, und wer diese bestand, bekam die Stufe E zugesprochen. Das war die theoretische Grundstufe, die jeder bestehen musste. Diese Prozedur durfte jedes Jahr aufs Neue vollführt werden. Dazu gab es dann verschiedene Hinweise, die beispielsweise lauteten: „Ihr müsst die AWA-Listen (hier GEMA) ordentlich ausfüllen!“ In der DDR natürlich im Verhältnis 60 Prozent zu 40 Prozent, was bedeuten sollte, nur 40 Prozent Hits aus dem Westen und 60 Prozent DDR-Titel. Nur hätten wir uns in der gängigen Praxis daran gehalten, wären wir unweigerlich von der Bühne gefegt worden.

      Heute würde ich es begrüßen, wenn junge Amateure eine adäquate Prüfung ablegen würden, denn was in den hiesigen Gazetten als „Spitzenbands“ angepriesen wird, ist größtenteils eine Zumutung. Hier muss ich aber eine große Brücke schlagen zu den Blasorchestern, die ich in den alten Bundesländern kennen gelernt habe. Was bei denen an fleißiger, ehrenamtlicher und notistischer Arbeit geleistet wird, ist mehr als nur enorm. Ja, und diese vielen Musiker aller Altersgruppen treten auf, ohne Geld einzuheimsen. Dazu sind sie alle gewisse Notisten und keine „Banknotenmusiker“ wie die meisten Lärmamateure in Deutschland!

      Bei unseren ersten Auftritten als zugelassene Band merkte ich, als Musikus steht man nicht nur auf der Bühne, nein, man wird auch von den jungen Damen bewundert. Also, wenn dies kein Grund ist, zu „Höherem“ zu streben. Unser Akkordeonist arbeitete als Erzieher in einem '„Jugendwerkhof“ für Mädchen. Ein Werkhof war ein offenes Heim für junge Menschen, deren Eltern die Erziehung ihrer Kinder über den Kopf wuchs oder wo die Eltern nicht aufzufinden oder einfach „verschwunden“ waren. Dies sagten jedenfalls die Erzieher. In Wirklichkeit konnten die Erziehungsberechtigten die DDR noch vor dem Mauerbau verlassen und wollten nun die Kinder nachholen. Ein solches Unterfangen war höchst gefährlich. Keineswegs können die jungen Menschen so einfach in den furchtbaren Kapitalismus entlassen werden, meinte man. Und Bossa, so nannten wir unseren Bandchef, denn damals gab es noch keinen „Bandleader“, brachte es fertig und machte zwei Musiktermine aus mit dem Werkhof. Das hieß für uns inzwischen fünf junge Musikanten: Wir spielten die neuesten „Westhits“ vor den Augen von 67 Mädchen, die jungen Erzieherinnen nicht mit eingerechnet. Weshalb ich diese Erlebnisse nicht vergesse, liegt wohl an Folgendem. Als wir eine Pause einlegten und auch mal pinkeln mussten, gingen wir in Richtung Männertoiletten, die gab es dort auch. Nur was war denn das? Sämtliche Toiletten waren schon mehrfach belegt mit Mädchen, die auf einen von uns fünf Kerlen warteten. Die Erzieherinnen mussten die Mädels erst einmal aus den Männertoiletten jagen. Doch beim zweiten Mal blieben die Erzieherinnen fern. Also gab es eine Menge zu tun, und wir mussten uns selbst der „herrlichen Angriffe erwehren“.

      Als zwei Jahre später die ersten Beatles- und Stones-Titel erschienen, kamen wir uns damals schon vor wie Superstars, obwohl wir nur kleine Amateure waren. Die Bühnenmode damals bestand aus weißem Hemd, weißen Hosen, und im unteren Teil der Hosenbeine wurde auf „Glocke“ ein blauer Keil eingenäht. Ansonsten alles sehr eng gehalten, auf gut deutsch „Röhrenjeans“ genannt. Manchmal legten wir uns mit Hosen in die Badewanne und ließen sie am Körper trocknen. Dann saßen sie auch ordentlich.

      Natürlich hatten wir für den nächsten Sonntag „Termine“ ausgemacht. Dann fuhren wir nach Klaffenbach, so heißt dieser Ort nahe dem heutigen Chemnitz. Wir warteten in der vereinbarten Gaststätte. Da die meisten Mädels Ausgang bekamen, dauerte es auch nicht lange, und für jeden war genug „Arbeit“ vorhanden. In ihren Augen waren wir Stars. Doch die Mädchen hatten es schwer. Arbeit gab es zumeist in der Landwirtschaft, denn sie mussten ja irgendeinen Beruf erlernen. Nach ihrer Ausbildung wurden sie auf alle Bezirke der DDR verteilt.

      Mittlerweile spielte ich in einer neuen Formation. Zwei Gitarren, Bass und Drums. Was hatten wir für eine Technik? Eigenbauverstärker mit zwei Boxen. Die Lautsprecher waren jedoch super. Wir kannten jemanden, der als alter Kinotechniker bekannt war. In der Nähe von Karl-Marx-Stadt, gab es einen ehemaligen Stützpunkt aus der Vorkriegszeit, wo noch jede Menge ausrangierter Kinostandlautsprecher zu haben waren! Die befanden sich zwar im total verdreckten Zustand, klangen aber wie neu und machten echt Dampf! Uff, war das eine Wolke! Eben echt deutsche Wertarbeit. Diese Monster waren ziemlich schwer und musste deshalb in der Box auf dem Boden angeschraubt werden, doch mit ihnen konnten wir eine Weile mithalten. Die Boxen haben wir uns selber gebaut. Getragen wurden sie zu viert! Das Hallgerät für mein „Gitarrenbrett“ war ein so genannter Federhall. So gab es für 120,00 Mark ein Selbstbauset mit einer Handvoll Widerständen, zwei Reglern und einem Aluminiumkasten von etwa 60 cm Länge mit zwei langen Metallfedern darinnen. Mit dessen Hilfe konnte man schon einen gewissen Sound erstellen. Jedenfalls besser als gar kein Effekt. Allerdings konnten andere junge Musiker, die ihre Verwandten im freien Teil Deutschlands hatten, mit Original „Echoletten“ uns ziemlich alt aussehen lassen, denn inzwischen gab es eine riesige Welle an „Beattruppen“. Wir nannten uns Jugendtanzorchester „REAL“. Logischerweise fragten uns viele, was denn in Englisch „real“ heißt. Das war uns wurscht. Wir wollten die Stones, Beatles, Birds und alle anderen „echt-real“ nachkupfern. Na ja, uns fehlten wohl auch etwas die Stimmen dazu. Gut, ich konnte schon damals den „Postillon von Lonjumeau“ singen. Wir hatten dieses Stück häufig genug mit Akkordeonbegleitung in Gartenkantinen aufgeführt, nur ein Wildschwein macht noch keine Herde.

      Die nächste „Vorspielprüfung“ war wieder an der Reihe. Als Kapellenleiter bekam man Bescheid, dass bis zu einem bestimmten Datum die Band zum Vorspiel gemeldet werden musste. Wir spürten – es lag etwas in der Luft. Nur was? Die SED-“Schwarten“ (Zeitungen) trugen zwar viele Namen, wie in Karl-Marx-Stadt die „Volksstimme“, die dann später in „Freie Presse“ umbenannt wurde und auch heute noch so heißt, aber sie schrieben allesamt das Gleiche. Was die SED-Lappen montags schrieben, durften die Blockflötenzeitungen dann am Dienstag nachdrucken. Viele von denen zogen vom Leder gegen die jungen Beatgruppen. Hier wurde schließlich „kapitalistisches Gedankengut verherrlicht“. Wie hieß es doch damals? „Lange Haare, kurzer Verstand“.

      Alles wollte man verbieten, was aus dem bösen Westen kam. Genauso verblödet wie heutzutage, wo man jeden jungen Mann, der seine Haare schon frühzeitig verlor, als „Rechtsradikalen“ verdächtigt.

      Es war ein Sonntag, als das Vorspiel beginnen sollte. Für diese Prozedur war der große Saal des VEB Gerätewerke auserkoren worden. Der Saal war voll, nicht mit Gästen, aber mit „Beatbands“ aus der gesamten Gegend. Was gab es da? Die „White Stones“, „Black Stones“, „Sputniks“, „Ferdy Herfter“ „Rhytmixer“ und viele schon bekannte Formationen.

      Ein Funktionär und damaliger Berufmusiker, mit dem ich später auch noch gemuckt habe, trat auf die Bühne und sprach lautstark durch das Mikrofon: „So, Jungs, hört mal her, alles was hier drei Gitarren und Schlagzeug ist, die können gleich wieder gehen! Das gibt es gar nicht! Das ist keine Musik!“ – Stille und weiter: „Es dürfen nur die Bands vorspielen, die schon eine Spielerlaubnis hatten.“

      Aha, also möchte man keine neuen Störenfriede haben, die fast keine DDR-Schlager spielen. Bloß diese DDR-Schnulzen wollte man genauso wenig spielen. Die Alternative bestand darin, eigene Stücke zu schreiben. Diese gab es zwar, doch 90 Prozent der Zuhörer weigerten sich standhaft, sie zu hören. Versuche diesbezüglich waren sinnlos. Dafür fehlte uns wohl die richtige politische „Ausrichtung“!

      Es gab logischerweise Aufstand in Maßen. Man beschwerte sich, und wer eine gewisse Durststrecke von ein paar Wochen durchgehalten hatte und nicht zu aufdringlich wurde,