So war es in der DDR und nicht anders. Gerd Leonhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd Leonhardt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783954888115
Скачать книгу
sprach und spielte vor und hätte auch sofort einen ersten Dreimonatsvertrag unterschreiben können. Nur war ich engagiert am Städtischen Opernhaus! Als ich meinen dortigen Vertrag wieder auflösen wollte, stellten sich sowohl der Intendant als auch die Leitung quer, und dies mit Recht. Ich hatte ja einen 2-Jahresvertrag unterzeichnet. Jetzt bekam ich Panik. Der eigentliche Wunsch meines Lebens sollte in Erfüllung gehen, wenn bloß nicht dieser Vertrag wäre. Also stellte ich mich stur und kam nicht mehr zu meinen Vorstellungen. Dies führte zu einem Riesenkrach, denn ich war ja Chorsolist und hatte neben dem Opernchor auch ein paar Soloaufgaben zu erledigen. Durch mein Fernbleiben fehlte dann ein wichtiger Mann auf der Bühne, und diese Lücke musste entsprechend gefüllt werden. Vor allem die „Schwuliberts“ im Chor machten Dampf gegen mich, zumal ich einen aus ihrer Garde hatte abblitzen lassen und mir obendrein noch die schönste Chordame schnappte. Aber es gab auch versöhnlichere Töne von ein paar alten Hasen die meinten, der Gerd macht das richtig. Nein, hier gab es wahrlich nichts zu verdienen. Das tat mir alles sehr, sehr leid, und ich gebe zu, mein Verhalten war echt stinkig! Aber der musikalische Duft der Berufstanzmusiker, (so hießen wir damals) hatte mich in seinen Bann gezogen. Somit wurde mein Vertrag am Opernhaus in Karl-Marx-Stadt aufgelöst, und ich konnte ab Januar 1971 im schönen Annaberg-Buchholz, mitten im Erzgebirge, in meine erste Berufsformation einsteigen.

      In der beginnenden DDR-Gründerzeit gab es gute und große Bigbands, deren Musiker aus den schon genannten „Stadtpfeifen“ hervorgegangen sind. Bis zum Bau der Mauer galt als berühmteste Bigband das Tanzorchester des Leipziger Rundfunks unter Leitung von Kurt Henkels. Leider waren viele gute Leute wie er eines Tages „verschwunden“, darauf tauchten sie im Westteil Deutschlands wieder auf. Die kulturellen „Vorgaben“ passten eben nicht jedem Künstler. Aus diesem Orchester ist unter anderem zu einem Großteil das Tanz und Vorzeigeorchester „Gips Kreischer“ entstanden. Viele Musiker aus dieser Band sind dennoch im Ostteil geblieben und haben sich in anderen Bands verdingt. Jahrelang war obiges Orchester das Aushängeschild des SED-Politbüros im kapitalistischen Ausland, bis es zerfiel. Ja, und mein erster Bandchef kannte sehr viele von diesen großartigen Musikern. Da er selbst noch einen „Holzbläser“ suchte, konnten wir den 1-ten Eb-Mann in unserer Band verpflichten. Da selbiger ohnehin nichts zu tun hatte und in Karl-Marx-Stadt wohnte, wie auch andere vom „Gips“, schlug mein Chef sofort zu, bevor ihm jemand zuvorkam und ihn holte. Dieser Mann war natürlich ein super „Fang“. Mit einem der besten Eb-Saxophonisten Deutschlands zu spielen war toll. Man konnte ja nur lernen. Fürwahr, ein gutes Stichwort! Es ist zwar nicht gut, wenn eine Band laufend neue Leute einstellt. Aber man kann trotzdem von jedem Berufskünstler etwas für sich „mitnehmen“, was sich als großer Vorteil erweist! Eine Berufsband braucht keine großen Proben. Da merkt man am ersten Abend, geht es oder geht es nicht. Hat er „Drive“ oder nicht. Ist „er“ trotz jahrelangen Studiums ein Blattmann oder nicht. Musiker müssen zusammenpassen! Allerdings eher in der Auffassung einer musikalischen Spielweise. Das heißt: „Driver gehören zusammen“, sonst gibt es Stunk, und die Musik ist Müll. Es gibt Leute, die haben nie studiert, aber sie wissen, wie es „geht“. Und andere machen Abschlüsse in Masse, waren bei mehreren Professoren und bringen keinen ordentlichen Rhythmus zusammen oder hören keinen „Bläsersatz“. Dieses wiederum bedeutet, man muss sich einigen auf den „Vordersten“. Ich gehe hier nicht näher darauf ein, denn es würde den Rahmen und Sinn dieses Büchleins sprengen.

      Annaberg-Buchholz, eine wunderschöne Stadt im oberen Erzgebirge mit damaligen 24.000 Einwohnern und einer Höhenlage von 620 Metern ist ein kulturelles Kleinod von fundamentaler Bedeutung. Am Fuße des Pöhlberges gelegen, schmiegt sich diese Doppelstadt „Annaberg-Buchholz“ wunderbar in das Gebirge ein. Schon von weitem, in einer Entfernung von etwa 15 Kilometern, auf der Anhöhe von Ehrenfriedersdorf kann man es bewundern mit den Höhenzügen des Fichtelbergs und des gegenüber liegenden Klinovec (Keilberg). Auf der rechten Seite liegt das Greifensteingebiet mit der bekannten Freilichtbühne der Städtischen Theater Annaberg-Buchholz. Der berühmte Rechenkünstler Adam Ries stammt ebenfalls von hier und ist weltweit bekannt.

      Im Zentrum „Am Markt“ steht das schöne Rathaus mit dem Ratskeller. Daneben das Hotel „Wilder Mann“. Gegenüber findet man den „Erzhammer“, einen Komplex mit Speise- und Tanzgaststätte sowie das Kulturhaus mit großem Saal. Unsere Verträge waren meistens für 3 – 4 Monate ausgelegt. In Karl-Marx-Stadt gab es den „Kapellenring“, der über die „Konzert- und Gastspieldirektion“ dafür sorgte, dass verschiedene Berufsbands des Bezirkes Karl-Marx-Stadt in einem bestimmten Wechsel alle zu belegenden Tanzlokale kennenlernen sollten. Was letztendlich auch dem Publikum zugute kam, da immer mal wieder neue Bands erschienen. Doch dauerte es meist nicht länger als ein Jahr, und wir waren wieder dort, wo die musikalische „Rundreise“ begann. Es gab aber auch ein paar Musiker, die sich dem nicht anschlossen und auf feste Verträge verzichten wollten. Entweder waren sie dann freiberuflich tätig, so wie wir teilweise auch, oder sie versuchten ihr „Glück“ über die KGD, also die „Konzert- und Gastspieldirektion“ und warteten auf eine Tournee mit bekannten Schlagersängern, die durch die Republik tourten. Dabei reichte es nicht, ein guter Kapellenleiter zu sein, nein, man musste auch „gute Beziehungen“ zu den Verantwortlichen der KGD haben, die schließlich auch „Unterstellte des Kulturministeriums“ waren. Und mit einer solchen politischen „Grundausrichtung“, die den Genossen nicht passte, hatte man bei besonders gut bezahlten Verträgen keine Chance. Die meisten passten sich also an und waren froh, Verträge, die teilweise auf Jahre hinaus datierten, ihren Kapellenkollegen vorlegen zu können. Dies war natürlich auch eine Frage des Verdienstes, ob man bei einem festen Vertrag 1.600,00 DDR-Mark verdiente oder mitunter das Mehrfache bei freier Vereinbarung. Wer mehr verdienen wollte, musste erst einmal schauen, wo ein Musiker gesucht wurde. Dann recherchierten die Kapellenleiter untereinander: Warum will „der“ weg? Muss ich mit „ihm“ ein Vorspiel machen? Ist „er“ verlässlich? Politisch wurde nie gefragt, weil alle Berufskünstler, bis auf ein paar „bekannte privilegierte Ausnahmen speziell in Ostberlin“, die gleiche Meinung vom „Superfreien Staat DDR“ hatten. Es gab ja viele gute Bands. Nur mit dem einen Unterschied, die einen durften im Westen gastieren und die anderen nicht. Warum wohl? Unvorstellbar für nicht wissende Menschen, was DDR hieß!

      Nach Unterzeichnung der Verträge bei der Gaststättenleitung und Bezug unseres Quartiers im „Wilden Mann“ war indessen die Mittagszeit angebrochen. Wir fünf wollten etwas essen gehen und die Zeit nutzen, uns gleichzeitig ein kleines Bild von der Innenstadt Annaberg-Buchholzes zu verschaffen. Unser „Gips-Kreischer-Mann“ meinte hingegen: „Alfred, wir kriegen doch Personalessen, hast du gesagt. Warum sollen wir denn hier so viel Geld ausgeben?“

      „Och, Hansi, jetzt gehen wir erst mal richtig essen. Ich bezahle das, denn ich lade alle ein. Schließlich müssen wir heute Abend in vollkommen neuer Besetzung ohne Probe antreten. Ja, das wird sowieso eine interessante Sache.“

      Also rein in den benachbarten Ratskeller. Irgendwie musste man uns schon beobachtet haben, beim Hineintragen der Instrumente oder beim Auspacken unserer Siebensachen vor dem „Wilden Mann“, und das ist das übernächste Haus hier am Annaberg-Buchholzer Marktplatz. Sofort trat der Oberkellner auf uns zu, als gehörte ihm der Laden, und fragte: „Die neue Kapelle von drüben?“

      „Ja, und?“, meinte mein Bandchef in seiner immer leicht überheblichen, aber doch netten Art.

      „Wir haben immer einen schönen Platz für gute Gäste“, säuselte der Kellner, als ob wir schon jahrelang hier regelmäßig essen gehen würden. Das Ganze war ziemlich hohles Geschwafel. Doch im Grunde war es uns eigentlich vollkommen egal, was dieser leicht betagte und leicht bekleckste „Servierflitzer“ so abließ. So nahmen wir erst einmal ein Halbes und stießen an auf die neue Formation. Zu Essen gab es Gulasch und Knödel, angemacht wie in der Tschechei um die Ecke, also mit etwas Kümmel. Zwar ist das nicht jedermanns Sache, aber man wollte ja nicht unbedingt das Beste essen, da der Boss bezahlt. Schon deshalb hieß es erst einmal kleine Brötchen backen. Nach dem Mittagsmahl liefen wir in den „Hammer“ und bauten unsere Instrumentarium auf. Hans spielte keine Gitarre mehr, sondern Drums, Hansi vom Gips baute seine drei Saxofone (Bariton, Alt und Tenor) nebst seiner Klarinette auf.