Das Apophenion. Peter J Carroll. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter J Carroll
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783944180342
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verteilte Wolken. Ein Stein übt außerdem ein gewisses Maß an Gravitationskraft aus, und Gravitation besteht aus einer Krümmung von Raum und Zeit. Für gewöhnlich bemerken wir die Raumzeit-Krümmung von Steinen nicht. Doch wirklich große Steine, von der Größe von Monden oder Planeten etwa, zeigen unmissverständlich eine solche Krümmung, die dazu führt, dass kleinere Objekte auf sie fallen oder auf ihrer Oberfläche haften bleiben. Diese Krümmung erstreckt sich über die gesamte Breite des Universums. In gewissem Sinne erstreckt sich also jedes Objekt über das gesamte Universum. Die augenscheinlich abgrenzende Oberfläche eines Objektes entsteht in unserer Wahrnehmung nur aufgrund von subatomaren, elektrostatischen Kräften zwischen Elektronen und aufgrund der Interaktion zwischen Elektronen und dem Licht. Lebewesen, die nur Gravitation wahrnehmen könnten, würden jedes Objekt als ein Phänomen wahrnehmen, das sich von seinem Zentrum nach außen hin mit abnehmender Intensität bis an die Grenzen des Universums ausdehnt.

      Auch die im subatomaren Bereich wirksamen „Kräfte“ bestehen vermutlich aus einer speziellen Form der Raumzeit-Krümmung. In gewisser Hinsicht füllen sie das Atom also vollständig aus. Mit anderen Worten: Die Raumzeit hat eine Struktur, die aus dem Vorhandensein von Materie in ihr folgt. Oder umgekehrt: Die Krümmung der Raumzeit erscheint uns als Gegenwart von Materie.

      Ohnehin ergibt die Vorstellung, dass subatomare Teilchen irgendeine bestimmte Größe hätten, wenig Sinn. Sie haben messbare Wellenlängen, von denen abhängen kann, durch wie große Löcher sie passen. Aber die Wellenlänge wird kleiner, wenn die Masse von Quantenpartikeln steigt oder ihre Energie oder Geschwindigkeit zunimmt. Elektronen in Atomen können Photonen (Lichtquanten) absorbieren oder abgeben, die uns in mancherlei Hinsicht als sehr viel „größer“ erscheinen als die Elektronen selbst.

      Ohne Hilfsmittel verleiten unsere Sinne dazu, uns Raum und Zeit als negative Phänomene vorzustellen, die einfach aus der Abwesenheit von Ereignissen bestehen. So besitzt beispielsweise der Tod keine Existenz im positiven Sinn; er besteht schlichtweg aus der Abwesenheit von Lebensprozessen. Ähnlich besteht Dunkelheit lediglich aus der Abwesenheit von Lichtquanten-Aktivität.

      Jedoch können wir den Raum nicht mehr nur als die bloße Abwesenheit von Materie betrachten und die Zeit nicht mehr nur als den zeitlichen Abstand zwischen Ereignissen. Die Raumzeit hat eine Struktur, die von der Anwesenheit von Materie und Energie unabhängig definiert werden kann; große Konzentrationen von Materie verformen die Raumzeit, indem sie diese krümmen, und reisen mit sehr hoher Geschwindigkeit, indem sie deformierend auf sie wirken.

      Wenn wir also über das Universum, in dem wir uns befinden, in Klarheit nachdenken wollen, sollten wir aufhören, uns Raum und Zeit als eine Art passive Bühne vorzustellen, auf der die Objekte „sind“ und verschiedene Handlungen unter dem Einfluss von Energie ausführen.

      Bei genauerer Betrachtung löst sich die gesamte „Dinghaftigkeit“ von Objekten, wie wir sie uns aus unserer makroskopischen (menschlichen) Perspektive vorstellen, einfach auf.

      Kein Phänomen weist „Sein“ auf. Alle Phänomene bestehen aus fortlaufenden Prozessen; sie bestehen aus den verschiedensten Aktivitäten.

      Vor etwa 2500 Jahren erkannten die frühen buddhistischen Philosophen die Unbeständigkeit und den illusionären Charakter, also die „Leerheit“ aller Phänomene, abgesehen von der Veränderung selbst. Aus der Beobachtung, dass die meisten Phänomene sich verändern, wenn man sie nur lange genug beobachtet, folgerten sie induktiv, dass dies für alle Phänomene gelten muss.

      Im Westen gingen weniger geduldige Denker einfach vom „Sein“ aus und erkannten irgendwann, nach Jahrhunderte langer verzweifelter Suche nach dem, was „Dinge“ tatsächlich „sind“, dass jedes untersuchte Phänomen sich ohne Ausnahmen veränderte. Im Laufe der Zeit verändert sich sogar das Universum. Sterne explodieren oder kollabieren irgendwann; Welten formen sich aus Staub und Gas, können aber nicht ewig bestehen bleiben.

      Häufig haben westlich geprägte Menschen die buddhistische Vorstellung von der illusionären Natur der Wirklichkeit missverstanden als mehr oder weniger vergleichbar mit der Abwertung der materiellen Ebene zu Gunsten der spirituellen Ebene, wie es viele monotheistische Glaubensvorstellungen vornehmen. Strenggläubige Buddhisten betrachten hingegen das „Spirituelle“ als ebenso flüchtig wie das „Materielle“. Allerdings zeigen sich die ernüchternden Grundgedanken des Buddhismus nur selten in der allgemeinen Praxis und den Glaubensvorstellungen. Allenthalben findet man ihn für gewöhnlich in lokale Bräuche gekleidet und mit Aberglauben durchsetzt, weil die meisten Menschen volkstümliche und Heimeligkeiten spendende Religionen sowie mysteriösen Ritualen den Vorzug geben vor anspruchsvollen Ideen.

      Ein Stein besitzt keinerlei „Sein“, das dem zu Grunde läge, was er tut. Er besteht ausschließlich aus seinem Tun, und würde er mit Tun aufhören, besäße „er“ keinerlei Art von Existenz mehr.

      Jedes vermeintliche Attribut des „Seins“ erweist sich bei ausreichend genauer Betrachtung unweigerlich als Ergebnis irgendeines Tuns.

      Wir bewohnen ein Universum von Ereignissen, kein Universum angefüllt mit Dingen. Phänomene können bei makroskopischer Betrachtung den Eindruck vermitteln, „Sein“ oder „Dinghaftigkeit“ zu besitzen, doch das können sie nur, weil sie eigentlich aus fortlaufenden Prozessen bestehen.

      Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich für meinen Teil verfüge mit Sicherheit über keinerlei grundlegendem „Sein“ außerhalb von dem, was ich tue. In meinen jungen Jahren habe ich bestimmte Verhaltensweisen gezeigt, bestimmte Gedanken, Emotionen und Entscheidungen zum Ausdruck gebracht sowie bestimmte Meinungen und Ideale vertreten. In meiner Lebensmitte verfolge ich mittlerweile andere Aktivitäten. Mein Körper sieht anders aus und er enthält kaum noch ein Atom oder Molekül von denen, aus denen er noch vor einem Jahrzehnt bestand. Viele Erinnerungen an unbedeutende oder langweilige Ereignisse scheine ich unwiederbringlich verloren zu haben; und mein Denken beinhaltet jetzt vieles, was es in meiner Jugend noch nicht beinhaltet hat. Wenn ich noch älter werde, könnte sich meine ältere Form in ihrem Tun deutlich von meiner jetzigen unterscheiden.

      Daraus folgere ich, dass ich keinerlei „Sein“ besitze, sondern nur aus der Gesamtheit meines Tuns bestehe. Ich durchlaufe die Zeit als Prozess.

      Das Konzept des „Seins“ mag den Eindruck einer etwas schlampigen und ungenauen, dabei aber dennoch eher harmlosen Weltsicht vermitteln, doch sie hat zu abscheulichen Konsequenzen geführt. Jede Verwendung der Formen des Verbs „sein“, wie „ist“ oder „sind“, birgt eine falsche oder zweifelhafte Grundlage in sich.

      Die Aussage „heute ‚ist‘ Mittwoch“ besitzt nur begrenzte Gültigkeit, sie könnte beispielsweise auf die Situation auf der gegenüberliegenden Seite des Planeten nicht zutreffen. Die Aussage „Pete ‚ist‘ dumm“ enthält eine unerträgliche Verallgemeinerung. Verhält er sich ausschließlich dumm?

      Die Behauptung, dass braune, weiße, schwarze, gelbe, jüdische oder französische Menschen schmutzig, klug, hinterhältig, mutig, dumm, unmenschlich, böse oder was auch sonst „sind“, führt zu irrationalen Gedanken und schauderhaften Konsequenzen. Unabhängig davon, dass sich einzelne Mitglieder dieser oder jeder anderen Gruppe durchaus unter bestimmten Bedingungen genau so verhalten.

      Wenn wir mit Klarheit philosophieren wollen, können wir nicht sagen, dass irgendein Phänomen irgendein anderes Phänomen „ist“. Wir können nur über Aktionen, Ähnlichkeiten und Unterschiede sprechen.

      Wenn wir zu definieren versuchen, was ein Phänomen „ist“, dann heften wir ihm lediglich ein Etikett an oder drücken aus, welchem Phänomen sein Verhalten ähnelt. Wir können Phänomene nur in Begriffen ihrer Ähnlichkeit zu anderen Phänomenen definieren und durch die Implikationen aus dem, was sie tun.

      Jede Aussage darüber, was etwas „ist“, hat nur in dem Maße Wert, in dem sie ausdrückt, was dasjenige tut.

      Wenn wir davon sprechen, was ein Phänomen „tut“, dann meinen wir eigentlich, was es unserer Meinung nach getan hat und was wir annehmen, dass es tun wird.

      „Sein“ existiert also nur als neurologische und linguistische Illusion.

      Quantenphänomene