Das Apophenion. Peter J Carroll. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter J Carroll
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783944180342
Скачать книгу
die hanebüchene Verschwörungstheorien und Theologien über himmlische Fabelwesen konstruieren. Dennoch spielt Pareidolia durchaus eine Rolle in der Entwicklung von Kunst und Religion.

      Aufgrund von Konventionen stellen wir uns Inspiration als weiblich vor, weil sie eher mit der rechten, holistischen Gehirnhälfte in Zusammenhang gebracht wird als mit dem linearen Denken der linken Gehirnhälfte. Apophenia ist nicht auf Abruf zur Stelle; sie weist unser Werben und Verführen hin und wieder ab. Manchmal meldet sie sich, wenn wir geistig abwesend (oder weggetreten) sind, manchmal auch nicht. Manchmal erscheint an ihrer Stelle ihre verrückte Schwester Pareidolia.

      Der Chaoismus erforscht den inneren Reichtum und kultiviert den inneren Mythos, das Pantheon innerer Kräfte. Jahrzehntelang bin ich dem Mythos von Ouranos gefolgt, dem Mythos der Magier-Identität, die jenseits der Seifenopern der sieben klassischen Motivationen von Sex und Tod, Angst und Begierde, Liebe und Krieg sowie dem Ego liegt. In letzter Zeit ist mir bewusst geworden, dass ich Apophenia, den weiblichen Aspekt des ouranischen Kraftstroms, über alles liebe.

      (Uranus-Ouranos liegt jenseits der klassischen sieben Planeten und jenseits der ihnen fantasievoll zugeordneten Motivationskräfte. Er bietet damit einen nützlichen Gegenpol zur „gewöhnlichen“ solaren Identität oder dem Ego.)

      Was Gottheiten angeht, bin ich genügsam. Das übertrieben aufgeblasene Selbstbild aller monotheistischen Gottheiten lehne ich strikt ab.

      Manche Menschen glauben, irgendjemand hätte ein Universum erschaffen, mit einem Umfang von wenigstens einer Billion Billionen Kubik-Lichtjahren, in dem es für jedes menschliche Leben mindestens eine Billion Sterne gibt und das in ein von Strahlungen durchzogenes Vakuum gesetzt wurde. Sie glauben außerdem, dass diese „Person“ mit ihnen persönlich zufrieden ist oder ärgerlich wird, je nachdem, ob sie freitags Schweinefleisch essen, sonntags masturbieren, mittwochs die Glaubensfeinde massakrieren oder was ihre jeweils gerade aktuelle, unfehlbare Theologie sonst noch diktieren mag. Das klingt nach einer ernsthaften Geisteskrankheit, einer Art Größenwahn in Stellvertretung.

      Ich ziehe Hausgottheiten vor, wie ich sie in meinem eigenen Kopf und manchmal auch in den Köpfen anderer finden kann.

      Und mehr als alles andere habe ich Apophenia zu lieben gelernt, jene Göttin, die mir gezeigt hat, wie man Bedeutung an Orten finden kann, an denen ich sie am allerwenigsten erwartet hätte: in einem Universum, das auf dem einzigen wirklich fairen und unparteiischen System basiert, nämlich Chancengleichheit, Zufälligkeit und Chaos.

      Ich würde für sie töten und tatsächlich habe ich ihr zu Ehren schon viele Male zu morden versucht – die nachfolgenden Kapitel zeigen das. Sein, Selbst, Gott, Kausalität und Singularität; ihnen allen wird auf ihrem Altar das Fell abgezogen, um zu erkennen, welche Illuminationen und welche magischen Möglichkeiten jenseits davon liegen.

      Stokastikos,

       Peter J. Carroll. Südwestliches Albion. 2008.

      2. Kapitel

      Philosophie des Panpsychismus

      Dieses Kapitel beginnt mit einer Dekonstruktion und Zerstörung des Konzeptes vom „Sein“. Es schließt sich eine Betrachtung des Pantheismus an, um eine Apophenia im Paradigma des Quanten-Panpsychismus zu finden sowie für dessen Verwendung in der Magie.

      Metaphysik bezeichnet ein Set von Annahmen, die der Art und Weise zu Grunde liegen, wie wir die Phänomene interpretieren, die wir wahrnehmen. Grundsätzliche Annahmen – wie etwa die von der Existenz des Geistes, der Materie, der Götter, der Kausalität und des Zufalls – fallen allesamt in diese Kategorie.

      Das Wort „Phänomene“ bezeichnet schlicht Ereignisse, die wir wahrnehmen. Wenn wir davon Abstand nehmen, über die „Dinge“ zu reden, die wir wahrnehmen, vermeiden wir es, zu viele Annahmen im Vorhinein zu treffen, und wir vermeiden insbesondere das fragwürdige Konzept von „Dinghaftigkeit“.

      Lässt sich das Universum in einem Sandkorn wiederfinden?

      Möglicherweise, aber ein Stein lässt sich leichter vorstellen.

      Bei oberflächlicher Betrachtung scheinen einfache Phänomene wie etwa Steine nicht besonders viel aus eigenem Antrieb zu tun.

      Aufgrund von solch einfachen Beobachtungen haben wir Realitätsmodelle aufgebaut, die schon vom Grundsatz her falsch sind, sowie Sprachen und Philosophien, die dazu passen.

      Die genauere Untersuchung eines Steines verlangt von uns, dass wir aufgrund unserer eher bescheidenen Wahrnehmungsfähigkeiten künstliche Erweiterungen konstruieren. Seit ein paar 100.000 Jahren haben wir uns an die Idee gewöhnt, dass Steine nicht besonders viel selbständig tun; doch im letzten Jahrhundert haben wir zu erkennen begonnen, dass selbst der einfachste Stein noch eine ganze Menge leistet.

      Unter der harten und offensichtlich starren Oberfläche jedes Steines liegt eine tosende Welt, in der hochenergetische Prozesse mit erstaunlicher Geschwindigkeit ablaufen.

      Zunächst einmal interagiert ein Stein aktiv mit dem Licht. Selektiv absorbiert er manche Frequenzen und strahlt andere ab, wodurch er eine bestimmte Farbe zeigt. Die Moleküle im Stein schwingen mit einer Geschwindigkeitsrate, die von seiner Temperatur abhängig ist. Wenn sie aufhören würden zu schwingen, würde seine Temperatur auf den absoluten Nullpunkt fallen und er würde auf Nullgröße zusammenschrumpfen. Die Elektronen in den Atomen, aus denen die Moleküle des Steines bestehen, haben eine sehr hohe Orbitalgeschwindigkeit in der Größenordnung Hunderter von Kilometern pro Stunde und sie vollziehen auch eine komplizierte Art von Drehbewegung, während sie sich auf ihren Kreisbahnen bewegen. In den Atomkernen laufen pausenlos hochkomplexe Prozesse zwischen noch größeren Energien ab. Der Stein interagiert außerdem über die Gravitation mit dem gesamten Universum, krümmt minimal Zeit und Raum und reagiert auch auf die Raumzeit-Krümmung größerer Objekte um sich herum, wie etwa die von Planeten und Sternen.

      Alles in allem besteht ein Stein also aus vielen Prozessen. Wenn du gegen ihn drückst, setzt er seine Trägheit dagegen. Willst du ihn anstoßen, kommen dir seine Elektronen entgegen, um diejenigen in deinem Finger abzustoßen.

      Wir können nicht wirklich fragen, was ein Stein „ist“; wir können nur fragen, was er tut, wem er ähnelt oder welche Empfindungen wir ihm gegenüber erleben.

      Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass er aus etwas anderem besteht als der Gesamtheit dessen, was er tut.

      Dennoch werden wir von unseren einfacheren Hirnfunktionen aufgrund unserer ohne technische Erweiterungen nur kümmerlichen Wahrnehmung dazu verleitet, sich einen Stein als etwas vorzustellen, das eine Art statischen Zustand des „Seins“ besäße; weil wir den Großteil dessen, was er tut, weder direkt wahrnehmen noch uns mühelos vorstellen können. Diese falsche Vorstellung vom „Sein“ führt zur Entstehung grundfalscher Philosophien und Ideengebäude. Diese haben ernsthafte praktische Konsequenzen und haben Millionen Menschen getötet. (Warte ein paar Seiten ab, dann wirst du herausfinden, auf welche Weise.)

      Der Adler-Drache des ursprünglichen Chaos

      Prometheus-Luzifer,

      der den Himmel

      mit dem Feuer der Titanen herausfordert.

      - Messe des Chaos, Liber Null

      Populärwissenschaftliche Autoren erzählen, anscheinend mit großem Vergnügen, dass die Atome, welche die Welt und uns und die Sterne bilden, fast vollständig aus leerem Raum bestehen. Oft benutzen sie die Analogie, dass ein Atom, auf das Ausmaß einer Konzerthalle vergrößert, nur über einen erbsengroßen Kern im Orchestergraben verfügen würde sowie über stecknadelkopfgroße Elektronen, die sich auf einer Umlaufbahn befinden, die sich bis irgendwo in den hintersten Reihen erstrecke.

      Das hängt aber davon ab, was man mit „leerem Raum“ meint.