Der erste Freiwillige war eine Art großer Chow-Chow. Die Übung ging etwa so: Die Lehrerin gab uns eine Reihe von Fragen vor. Diese sollten wir mental dem Hund stellen und dann die erste Antwort aufschreiben, die uns in den Sinn kam.
Der Vortrag am Morgen hatte Telepathie behandelt, das Senden und Empfangen mentaler Bilder. Ich hatte versucht, die Idee aufzunehmen, aber alles kam mir so abstrakt vor. Ich hätte den ganzen Tag zuhören können, aber was konnte ich tun? Ich war angespannt.
Die Testfragen waren ziemlich rudimentär; die erste lautete „Was frisst du am liebsten?“ Gladys sagte, wir sollten uns in den Hund hineinversetzen und uns vorstellen, dass eine leere Futterschüssel vor uns steht. Dann sollten wir uns mit unserem geistigen Auge vorstellen, womit wir die Schüssel gefüllt haben wollten.
Die Antwort traf mich wie ein Hammerschlag. In meinem Kopf hörte ich die Worte: Spaghetti und Fleischklopse! Ich versuchte krampfhaft, mir ein mentales Bild von dem Hundefressnapf zu machen, sah aber nichts als einen Teller, in dem sich ein riesiger Berg Spaghetti mit Fleischbällchen türmte. Es folgten ein paar Momente der Stille, bevor Gladys die Studenten fragte, was wir „empfangen“ hatten.
Alle hatten praktische Antworten parat, zum Beispiel Rindfleisch oder Huhn. Die Dämonen des Zweifels fingen an, mich auseinander zu nehmen: Ich hatte mir das sicherlich nur eingebildet. Es konnte einfach nicht wahr sein. Warum hatten alle anderen etwas Vernünftiges vorzubringen, nur meine Antwort war völlig lächerlich? Ich versank tiefer in meinem Sitz. Schließlich fragte Gladys mich, was ich „empfangen“ hatte. Ich murmelte hilflos: „Spaghetti und Fleischklopse.“
Die Hundebesitzerin kreischte. „Stimmt! Spaghetti und Fleischklopse sind ihr Lieblingsfutter! Gestern Abend hat sie einen ganzen Teller davon gefressen!
Das war nichts, ereiferten sich meine Dämonen, du hast es zufällig erraten.
Die nächste Frage lautete „Womit spielst du am liebsten?“ Ich hörte die Stimme wieder in meinem Kopf – nicht die der Kursleiterin, nicht die der Dämonen. Es war eine neue Stimme, die sich in meinem Gehirn einstellte, aber ich hörte sie deutlich. Es war die Stimme einer Frau, die sagte: Ich trage gern meinen rot-weiß-gestreiften Hut. Und da sah ich auch schon vor meinem geistigen Auge eine bonbonfarbene gestreifte Schirmmütze. Ich notierte es.
Die nächste Frage lautete „Hast du eine Aufgabe?“ Gladys hatte gesagt, dass viele Hunde – Blindenhunde zum Beispiel - über ihre Aufgaben reden können. Die weibliche Stimme sagte, Ja, seit Frauchen und Herrchen geschieden sind, soll ich Frauchen und ihr Haus beschützen. Ich kritzelte es hin, bekümmert und zweifelnd. Auf die nächste Frage, „Warst du schon einmal verliebt?“ antwortete die weibliche Stimme gefühlvoll: Ja, aber ich musste ihn verlassen, als wir wegzogen.
Als Gladys eine kurze Pause einlegte, erlaubte ich mir, meine eigenen Fragen zu stellen. „Wo hast du gewohnt?“ fragte ich sie mental. Sofort sah ich vor meinem geistigen Auge die Momentaufnahme eines Wohnwagens mit einer riesigen Kiefer davor. Kiefernzapfen erschienen nur wenige Zentimeter von meinen Augen entfernt auf dem Boden, als wären sie von einer Kamera ins Visier genommen worden. In meiner Nase prickelte der frische Duft der Kiefernnadeln. Dabei hörte ich die erklärende Stimme: Er lebte nebenan.
„Zeig ihn mir“, bat ich. Sofort blitzte das Bild eines großen schwarzen Dobermanns auf. Traurigkeit traf mich wie ein Stich in der Brust. „Vermisst du ihn?“ fragte ich. Ja, sagte sie. Die Kursleiterin unterbrach unser Interview mit einer neuen Anweisung. „Fragt sie, ob sie schon einmal Junge hatte.“ Ich brauchte es nicht zu tun, denn der Hund beantwortete die Frage, bevor ich sie stellte. Nein, ich hatte keine. Frauchen ließ mich sterilisieren. In meinem Geist sah ich die Narbe auf ihrem Unterleib aus ihrem eigenen Blickwinkel, als würde ich auf meinen Bauch hinabsehen. Ich fühlte einen scharfen Schmerz im Becken und dann anhaltende schreckliche Schmerzen. Die Stimme sprach weiter: Ich hätte gern Junge mit meinem Freund gehabt. Wieder zeigte sie mir den schwarzen Dobermann von nebenan. Jetzt kümmere ich mich um die Katzen in der Nachbarschaft. Noch während ich das aufschrieb und mir das Absonderliche dieses Gespräches zu schaffen machte, verstärkte sich in mir das Gefühl der Trauer.
Obwohl meine Dämonen wieder angriffen (Du machst dir etwas vor. Das passiert nur in deiner Einbildung!), verschlang mich die Traurigkeit. Mein Unterleib schmerzte, meine Augen füllten sich mit Tränen, und meine linke Hand kritzelte wie verrückt. Mein stilles Verhör hatte einen Strom von Antworten ausgelöst, so dass ich mit dem Schreiben kaum nachkam. Ich übersprang ganze Wörter und Satzteile, während ich Seite um Seite bekritzelte und mit Tränen benetzte. Mit einer Hand trocknete ich mir die Augen, mit der anderen schrieb ich. Gleichzeitig vergewisserte ich mich mit Blicken, was die anderen Kursteilnehmer machten. Als erstes bemerkte ich, dass außer mir niemand in Tränen ausgebrochen war. Dann sah ich, dass die anderen Frauen allenfalls ein oder zwei Wörter niederschrieben. Als Gladys uns bat, aufzuhören, schrieb ich immer noch rasend schnell nach dem Diktat der Stimme und kämpfte gleichzeitig darum, den peinlichen Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken.
Vielleicht hätte ich das Gespräch rationalisieren können; vielleicht hätte ich meinen Dämonen gestattet, alles meiner blühenden Fantasie zuzuschreiben, doch auf den körperlichen Schmerz war ich nicht vorbereitet, und noch viel weniger auf die Gemütserschütterungen. Das Gefühl von Einsamkeit und Kummer wurde fast unerträglich.
Ich ließ allen anderen Frauen den Vortritt und sparte meine Beobachtungen bis zuletzt auf. Als ich anfing, der Besitzerin des Hundes meine Notizen vorzulesen, war ich immer noch davon überzeugt, dass ich mich unsterblich blamieren würde. Mein Herz hämmerte so wild, dass ich kaum meine Stimme erheben konnte, aber als ich sprach, bestätigte sie alles, was ich sagte: „Ja sie trägt eine rot-weiße Schirmmütze. Ja, es gab eine Kiefer vor dem Wohnwagen. Ja, der Nachbarhund war ein großer schwarzer Dobermann. Ja, er war ihr bester Freund. Ja, ich musste ihn wegen der Scheidung zurücklassen.“
Es konnte einfach nicht wahr sein! Es war zu einfach! Es war zu gut, um wahr zu sein! Ich brachte meine Dämonen zum Schweigen und fuhr fort, meine Anmerkungen laut vorzulesen. Als ich sagte, dass die Hündin sich Junge vom Dobermann wünschte, trübten sich die Augen ihrer Besitzerin. Sie fühlte den Schmerz ihres Hundes. „Sag ihr, es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich sie ihrem Freund wegnehmen musste“, drängte sie.
Als ich versuchte, dem Hund alles zu sagen, erlebte ich zum ersten Mal die Frustration, die ich später noch tausend und abertausend Mal spüren sollte. Ich versuchte, einem unschuldigen Tier die Gründe menschlichen Handelns zu erklären.
Das Unmögliche des Gespräches verflog sich. Ich begriff, dass ich nun Verantwortung übernehmen musste - Verantwortung für die Fähigkeit, mit Tieren sprechen zu können. Ich war da einfach hineingeschlittert. Es gab kein Zurück mehr.
Mit dem nächsten Hund ließ es sich genau so leicht kommunizieren wie mit dem ersten - anders, aber genauso leicht. Jeder der Hunde hatte eine unverwechselbare Persönlichkeit. Sie glichen einander genauso wenig wie zwei Frauen, mit denen man sich im Supermarkt an der Kasse unterhält. Ich konnte ihre Stimmen mit gleicher Intensität hören, aber in Aussprache und Akzent unterschieden sie sich von einander. Ihr Humor war unterschiedlich ausgeprägt, und das gleiche galt für den Grad an Zutraulichkeit, den sie an den Tag legten. Ich war in heller Aufregung. Ich konnte nicht glauben, dass das möglich war! Es war fantastisch, einfach wunderbar!
Mit jedem Hund machten die Kursteilnehmerinnen Fortschritte. Anfangs hatten wir auf die gleichen Fragen unterschiedliche Antworten erhalten, darunter auch einige Treffer. (Manche Hunde mochten vielleicht sowohl Huhn als auch Rindfleisch!) Später fielen die Antworten einheitlicher aus. Wir hatten es geschafft. Die Antworten wurden bestätigt, das ließ sich nicht leugnen.
Trotzdem fürchtete ich, diese märchenhafte Fähigkeit würde sich genauso geheimnisvoll verflüchtigen, wie sie sich eingestellt hatte, sobald ich zu Hause war. Dann war Rodney an der Reihe. Ich öffnete seinen Korb und hielt ihn in meinen Armen, damit alle ihn sehen konnten. Ich bemerkte, dass sein Verhalten sich veränderte,