Wer bleibt Millionär?. Tino Hemmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tino Hemmann
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Современная зарубежная литература
Год издания: 0
isbn: 9783960083443
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Aktenkoffer, nickte erneut und wollte den Raum verlassen. Als er in die unmittelbare Nähe der Tür kam, hätte es ihn fast erschlagen, denn diese öffnete sich ruckartig und ein Riese in blauschwarzer Uniform stand vor ihm. Der Abgesandte wich zurück, umging den Hünen und verließ fluchtartig den Raum.

      »Cherr Chinchich?« Der große Mann lächelte und hielt dem Kommissar die rechte Pranke hin. Er sprach mit leichtem russischen Akzent. »Guten Tag. Ich habe Befehl, mich bei Ihnen zu melden.«

      »Du hättest dir besser eigenen Kaffee mitbringen sollen, Ameise«, äußerte Rattner. »Die Bedienung im Präsidium scheint zu streiken.«

      »Ameise?«, warf Hinrich erstaunt ein und reichte dem Hünen die Hand. »Ja, Holger Hinrich ist mein Name. Ich weiß nur noch nicht, was wir hier anstellen sollen. Ameise scheint mir irgendwie eine äußerst possierliche Bezeichnung für einen Mann wie Sie zu sein.«

      Der Riese legte geräuschvoll den SEK-Helm mitten auf den Besprechungstisch und setzte sich auf einen der Stühle. Hans Rattner kratzte sich am Hals, als hätte er die Befürchtung, die Stuhlbeine könnten unter der Last dieses Körpers nachgeben. Dann schob er eine leere Kaffeetasse von sich weg und lächelte ebenfalls. »Ameise war sein Deckname. Und heute ist es so was wie sein Kosename. Dieser Winzling heißt in Wirklichkeit Anatolij Sorokin, stammt aus Magnitogorsk und hat jede Menge Kinder.«

      »Es sind nur vier«, warf Sorokin ein und zählte an den Fingern ab. »Fedor, Anton, Natascha und Alexander. Chetvero detey. Das vierte ist Alexander, ist aber noch ganz winzig klein und neu. Aber schreit gern. Vor allem in der Nacht.«

      »Dein Alex bekommt wahrscheinlich Zähnchen.« Nachlässig blätterte Rattner in den Dokumenten, die ihnen der Abgesandte überlassen hatte. Dabei erwies er sich als multitaskingfähig, denn er wühlte, las und redete gleichzeitig. »Holger, wenn der Kerl dir vertraut, darfst du ihn irgendwann Tolik nennen.«

      Hinrich reichte Sorokin erneut die Hand. »Regeln wir das gleich: Ich vertraue dir – und du musst mir vertrauen, Tolik! Dann darfst du auch Holger zu mir sagen.«

      Sorokin drückte Hinrichs Hand vorsichtig. »In Ordnung, Cholger.«

      Rattner sprach unbeeindruckt weiter: »Sie geben ihm ständig das Kommando über SEK-Einheiten, damit sich die gesamte Einheit hinter ihm verstecken kann. Dreimal wollten sie Tolik schon rausschmeißen …«

      »… fünfmal«, warf Sorokin ein und zeigte alle Finger seiner rechten Hand.

      »Dann eben fünfmal. Er fabriziert angeblich zu viel Kleinholz. Und einmal hat er einem jungen Beamten beide Schlüsselbeine gebrochen …«

      »Der hatte Tollwut«, warf Sorokin erneut ein.

      »Okay, Tollwut. Der hatte auf einen liegenden Demonstranten eingetreten und Tolik passte das nicht. Aber sonst …« Rattner klopfte Sorokin auf die gepolsterte Schulter, »… ansonsten ist er ein absolut angenehmer Zeitgenosse, hat eine liebe Frau und ganz besonders sein ältester Sohn … Was macht Fedor eigentlich?«, unterbrach er seine Rede.

      »Er wächst und wächst. Verhält sich pubertär und übernimmt sich ständig.«

      Rattner lachte auf. »Du willst damit sagen, dass dir Fedor immer ähnlicher wird?«

      »Sozusagen. Aber … Er fällt oft hin. Jetzt häufiger als früher, als er kaum laufen konnte.«

      »Er fällt?«, fragte Hinrich erstaunt. »Symbolisch gemeint?«

      »Njet symbolisch. Ist slijep.« Sorokin blickte Rattner Hilfe suchend an. »Erklär du ihm das, Hans.«

      »Ich? Okay. Fedor ist blind. Blind in Magnitogorsk geboren. Jetzt ist er fünfzehn Jahre alt …«

      »Sechzehn«, verbesserte Anatolij Sorokin.

      »Aber, ganz ehrlich, ich habe noch nie einen blinden Menschen kennengelernt, der so viel sehen kann wie Fedor, der so viel unternimmt. – Schaut euch das mal an.« Rattner reichte Hinrich einige Dokumente.

      *

      Konrad Kupfer war unlängst vierzehn Jahre alt geworden und damit – nach eigenen Ansichten – kein Kind mehr. Er saß an eben diesem Tag vor seinem neuen Rechner und googelte ein wenig. Nachdem er in der Bildersuche nach den Wörtern »Möse« und »ficken« geforscht und sich angesichts der unzähligen auftauchenden Fotografien ungestört, dabei göttlich schnaufend, selbst befriedigt hatte, versteckte er das nasse, schleimige Taschentuch im Spalt zwischen Matratze und Bettgestell. Dann gab er das scheinbar belanglose Wort »Millionär« bei Google ein. Der eine Traum folgte schließlich dem nächsten.

      An zweiter Stelle in der Google-Trefferliste erschien der Verweis auf eine Website mit dem Titel »wer-bleibt-millionaer.com«. Diese Seite kam dem Jungen nicht uninteressant vor, da er sie mit einer bekannten Fernsehshow verwechselte. Er klickte den Link an und sofort baute sich eine neue Seite auf.

      Auf dem Bildschirm stand in goldgelb glänzenden Lettern: »Wer bleibt Millionär? – Die genialste Lifeshow aller Zeiten!« Der Schriftzug umrahmte ein surreal wirkendes Clownsgesicht, auf dem in schräger, blinkender Schrift die Wörter »Unser QUOTENMANN – Ihr SHOWMASTER!« zu lesen waren. Unmittelbar darunter erschienen die Porträts von sechs Erwachsenen – zwei Frauen und vier Männer –, ein wenig überdeckt von zwei Wörtern: »Unsere Kandidaten«. Der Teenager empfand lediglich das Bild einer jüngeren Dame, die Sigrun Tamelroth hieß, als ästhetisch vertretbar. Fast ein wenig gelangweilt scrollte Konrad mit dem Mausrad weiter nach unten. Knapp formuliert stand dort die Erklärung zur Show geschrieben. Während der Junge die Zeilen las, stockte sein Atem ein bisschen mehr als noch eben beim Onanieren.

      »In einer spannenden Show werden sechs wahrhaftige Millionäre in unglaublichen Wissensstreitigkeiten gegeneinander antreten. Am Ende einer jeden Runde wird der Kandidat mit den wenigsten Punkten aus dem Leben scheiden. Nur ein Kandidat kann gewinnen. Der Gewinn ist einmalig. Kein Geld, keine Präsente und keine materiellen Dinge wird der Sieger erhalten. Sein einziger Gewinn ist das Überleben. Und: Er oder sie bleibt Millionär!«

      Darunter entdeckte Konrad den Link »Livestream«. Unter diesem stand in ziemlich kleiner Schrift: »Dieser Link ist in 11 Stunden, 27 Minuten und 8 Sekunden aktiv«, wobei die Sekunden rückwärts liefen.

      Ende der Seite.

      Konrad schluckte angesammelte Spucke herunter. Er drückte instinktiv auf den Livestream-Link, doch nichts geschah. Dann warf er einen Blick auf die Uhr in der linken unteren Ecke des Monitors und begann zu rechnen. »Morgen früh, zehn Uhr geht’s los …«, hauchte er.

      Die Blicke des Jugendlichen wanderten über den Bildschirm, während er die Maus leicht bewegte. In einem Frame auf der linken Seite der Website war es möglich, dass User ihre Meinung eingeben konnten. Die Statistik verzeichnete: »007 Beiträge«. Der letzte Eintrag lautete: »Geiles Ding!«, darunter fand sich das Pseudonym des Kommentators: »Pepe17«.

      Nun scrollte Konrad wieder hinauf zu den Bildern, während er die dunkelblonden, schulterlangen Haare mit einer lässigen Kopfbewegung zur Seite warf. Irgendwie kamen ihm die Personen bekannt vor. Er versuchte, sich zu erinnern. Nachmittags hatte er ferngesehen. Natürlich! Genau diese Gesichter waren bereits im Fernsehen gezeigt worden.

      Nun wechselte er zu Google, ohne das aktive Fenster zu schließen. Dort gab er »Tagesschau« als Suchbegriff ein. Gleich der erste Beitrag erwies sich als der richtige. »Sechs deutsche Multimillionäre entführt!« Er klickte den Beitrag an und legte beide Internetseiten auf dem Bildschirm nebeneinander. Nun schlotterten ihm die Beine. Es waren hundertprozentig dieselben Personen!

      Seine Finger zitterten und der kleine Mauszeiger zappelte auf dem Monitor. Ob die Polizei die wer-bleibt-millionaer.com-Seite schon entdeckt hatte? – Und wenn nicht? – In den Nachrichten wurde eine Entführung durch islamistische Terroristen nicht ausgeschlossen. Also nur eine Vermutung. – ›Die Bullen kennen definitiv diese Internetseite nicht!‹, grübelte Konrad.

      Minutenlang saß der Junge auf dem Drehstuhl und dachte nach. Dann beschloss er zu handeln, nahm das iPhone zur Hand, tippte die 110 ein und lauschte.

      »Notrufzentrale,