Wer bleibt Millionär?. Tino Hemmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tino Hemmann
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Современная зарубежная литература
Год издания: 0
isbn: 9783960083443
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Konrad. »Kennst du dass mit den Millionären?«

      Fedors Smartphone würde die Nachricht vorlesen. Unverzüglich kam die Antwort: »Klar doch. Papa ist in Alarmbereitschaft deswegen.«

      »Ist doch irre, oder?«

      »Ich kann mir das alles noch nicht richtig vorstellen«, antwortete Fedor. »Ich habe viel zu wenige Informationen.«

      »Lust auf Krankenbesuch?«

      »Wie heißt deine Krankheit? Ist die ansteckend?«

      »Drüggeritis.«

      »Ha. Ha. – Komme nach der Schule zu dir.«

      *

      Es entwickelte sich eine unglaubliche Hysterie. An diesem Morgen erkrankten völlig unerwartet unzählige Kinder und Jugendliche in Deutschland – nicht etwa durch eine Masern-Epidemie – und mussten auf den Schulbesuch verzichten. Ebenso gingen viele Erwachsene nicht zur Arbeit, sie meldeten sich krank oder reichten kurzfristig Urlaub ein. Das nächtliche Lauffeuer entfachte einen morgendlichen Feuersturm, größer noch als vor einem wichtigen Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

      *

      »Sagen Sie gefälligst sofort die Pressekonferenz ab!«

      Der Pressesprecher blickte wie ein unterwürfiger Dackel das wütende Herrchen – den deutschen Innenminister – an. Sein Gesicht glich einem Fragezeichen.

      »Um zehn Uhr startet der Livestream auf der Website des Entführers. Gewissermaßen quasi können wir unmöglich zeitgleich unsere Pressekonferenz abhalten. Wir haben nichts, wir wissen nichts und niemand wird auf uns achten, weil wahrscheinlich jeder Deutsche auf die Website starren wird. Die Medien haben doch sämtliche Bürgerinnen und Bürger dazu angestachelt!«

      »Soll ich denn eine neue Zeit …«

      »Das entscheiden wir später operativ.«

      »Und wo finde ich Sie?«

      »Wo wohl? Gewissermaßen quasi wohne ich bereits im Lagezentrum.«

      Dieses Lagezentrum befand sich im noch nicht gänzlich fertiggestellten BND-Hauptquartier in Berlin – bezeichnenderweise im Gardeschützenweg. Der Neubau der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes erinnerte Volker Gellert an die stalinistischen Bauwerke der fünfziger und sechziger Jahre im diktatorischen Osten der Republik. Längst hätte der Neubau seiner Bestimmung übergeben werden sollen! Intern hieß es, die Fertigstellung habe sich nur deshalb verzögert, weil ein Mitarbeiter des BND und einer des Bundesverteidigungsministeriums interne Strukturen an US-Geheimdienste verraten hatten, die anschließend neu konzipiert werden mussten.

      Gellert wurde in einen abgeschirmten Raum geführt und von Hasso Kohl, einem Frauenschwarm mit blond gefärbten Haaren, begrüßt. Kohl stand gezwungenermaßen als leitender – eher leidender – Chef der Soko Millionär zur Verfügung. Normalerweise arbeitete der knapp Vierzigjährige während der wenigen krisenlosen Zeiten im Ministerium des Inneren der Bundesrepublik, in dem er vor allem die Kaffeetassen seiner Vorgesetzten aufzufüllen hatte. Innerhalb der Abteilung KM – die Abkürzung stand für: Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz – war sein Platz im Referat KM 1, dem Koordinierungszentrum Krisenmanagement. Weil Kohl aber so schön war, durfte er oft medienwirksam die unrühmlichen Sonderposten übernehmen. Dass man ihn schamlos ausnutzte, bemerkte der junge Kader nicht. Oder aber, er wollte es einfach nicht bemerken.

      »Was Neues, Kohl?«

      Kohl zeigte zum Hauptmonitor, der sich weit oben an einer Wand des Lagezentrums befand. Die Homepage von wer-bleibt-millionaer.com war zu sehen. »Überwältigend. Wir gehen momentan von mehr als zweiundzwanzig Millionen Zugriffen allein in Deutschland aus.«

      Gellert schüttelte den Kopf. »Zweiundzwanzig Millionen? Diese Welt ist gewissermaßen quasi völlig krank. – Und sonst?«

      »Die beste Beschreibung der Entführer hat der achtjährige Villads abgegeben. Sie wissen schon, der Junge vom entführten Bauunternehmer Franz Schneidmann, hier aus Berlin.« Hasso Kohl setzte eine bedauernde Miene auf. »Aber wirklich nützlich war nichts davon. Schwarze Vitos sind die Entführungsfahrzeuge, am Steuer saß ein Mann mit Sonnenbrille, der Vater sollte mit einem anderen Mann gehen, Brille, Vollbart, dunkle Haare, Anzug, Krawatte. Falls das Kind irgendwann wieder klar denken kann und die Psychologin es zulässt, wollen wir es mit einer Phantomzeichnung probieren.« Er schüttelte sein Haupt. »Viel Neues erwarte ich allerdings nicht davon.«

      Gellerts Fingerspitzen trommelten nervös auf einer Tischplatte herum. »Haben Sie überprüft, ob irgendwer in letzter Zeit mehrere schwarze Vitos erworben hat?«

      Augenblicklich klappte Kohl eine abgenutzt wirkende Mappe auf und suchte ein gewisses Blatt. »Hier. Das sind alle Verkaufsvorgänge, bei denen mehr als drei der Fahrzeuge gleichzeitig gekauft wurden. In den vergangenen beiden Jahren. Werden momentan gecheckt.«

      Noch immer trommelte Gellert. »Und sonst?«

      »Wir haben an allen Entführungsorten eine Hundertschaft Beamter. In Leipzig haben wir eine erweiterte SEK-Mannschaft für sofortige Einsätze in Alarmbereitschaft. Es werden Befragungen durchgeführt, Spuren gesammelt und …«

      »Was ist mit unseren IT-Experten?«

      »Die NSA hat uns Hilfe angeboten.«

      Gellert schaute auf. »Schönen Dank auch. Zu welchem Preis?«

      »Die Kanzlerin will das klären.«

      »Die Kanzlerin.« Er rümpfte deutlich sichtbar die Nase. »Wollen die Amis ein Jahr lang kostenlos alle Regierungshandys anzapfen?« Ein ironisches Lächeln kroch über Gellerts Gesicht.

      Eine fremdartige Stimme drang in den Raum. »Okay, please! Wir müssen doch jede Hilfe annehmen, die uns angeboten wird, Mister Secretary.« Diese harte, männliche Stimme mit amerikanischem Akzent kam wie aus dem Nichts und ließ Gellert bis ins Mark erzittern.

      »Mister Smith. Was bitte machen Sie hier? Hat der SZRU Sie gefeuert?«

      Matt Smith war sechsundfünfzig Jahre alt, solargebräunt und es wurden ihm Beziehungen ohne Ende nachgesagt. Über seine grauen Haare behauptete man, er trage ein Toupet aus echten Silberfäden. Sein breites Kreuz erinnerte an Schwarzenegger mit fünfunddreißig Jahren und eine derart übertriebene Mimik wie die seinige war sonst nur bei US-amerikanischen Präsidenten vorzufinden. Seine Kleidung bestand aus einer Ansammlung von Extremen: extrem himmelblaues Hemd, extrem schwarzer Anzug, extrem rot-weiß gestreifter Binder, gigantisch große, goldene Manschetten.

      »Nicht gefeuert, Mister Secretary. Ich habe meine Tätigkeit beim Ukrainischen Auslandsgeheimdienst für kurze Zeit … Wie sagt man, Mister Secretary, interruptioniert?«

      »Sagt man nicht. Unterbrochen sagt man.«

      »Okay, unterbrochen, … bis Ihr big Problem aus der Welt sein wird. Die Central Intelligence Agency bat mich darum. Sie verstehen? Eine Bitte der CIA weist man nicht einfach ab. Das wäre schädlich. Für Karriere und healthiness. Okay, please. Man will nicht, dass es in den Staaten zu ähnlichen Vorkommnissen kommen könnte. Definitiv ist die Auswahl an Opfern bei uns much bigger, uh, größer.«

      »Und wer bitte hat es – gewissermaßen quasi – autorisiert, dass die CIA in unserem Lagezentrum herumspionieren darf?«

      »Please, Sie sagen selbst: Wir reden von der CIA und meinen nicht etwa die National Security Agency, Mister Secretary. Die Central Intelligence Agency spioniert nicht. Sie klärt auf. And that’s it what makes the difference!« Gewaltige, schneeweiße Zähne blitzten auf.

      Gellerts Gesicht blieb unfreundlich. ›Auf solch einen aufgeblasenen Chauvinisten kann ich verzichten. Verdammte Kanzlerin, diese höchste US-Lady!‹, dachte er. Für ihn fühlte es sich wie ein Misstrauensantrag an. »Und was genau haben Sie hier vor?«, fragte er.

      »Aufklärung, mein Freund. Okay, please. Aufklärung.«

      »Freund? Ich habe keine Freunde. Und was – bitte schön – haben Sie bisher, gewissermaßen quasi, aufgeklärt, Mister