Schon die Zahlen machen deutlich, wie wichtig Wein in Palästina war. Archäologische Funde unterstreichen dies in besonderer Weise: Gefäße zur Bierherstellung finden sich in den meisten Bereichen Palästinas nur sehr selten. In der Regel entdeckt man nur ein bis zwei derartige Gefäße pro Ort. Dagegen findet man überall Schalen zum Trinken von Wein, große Amphoren und andere für Wein gebräuchliche Gefäße. Wein war in biblischer Zeit schlichtweg das normale Getränk im Heiligen Land. Allerdings wird der Wein damals nur rund 10 % vol. Alkohol enthalten haben.
Eine Ausnahme bildeten nur die Orte an der südlichen Küstenebene zwischen den heutigen Städten Gaza und Tel Aviv sowie im Norden in Bet Schean. In diesen Gebieten lebte seit dem 2. Jt. v. Chr. ein beträchtlicher Teil der ägyptischen Bevölkerung. In Ägypten wurde zwar auch Wein angebaut, beschränkte sich jedoch auf die Oasen und das Nil-Delta. Um den Bedarf an Getränken stillen zu können, wurde dort viel mehr Bier hergestellt. Dieser Brauch wurde von den Ägyptern in der südlichen Levante weitergepflegt, die wiederum die dortige Trinkkultur nachhaltig prägten. Somit war der Weinkonsum v.a. an der Küste wesentlich geringer als in den judäischen und israelitischen Kerngebieten im Bergland.
Trotz der biblischen Noah-Erzählung wurde nach unserem heutigen Wissen Wein nicht zum ersten Mal in der südlichen Levante hergestellt. Die ältesten bisher bekannten Samen von Vitis vinifera vinifera L. im Mittelmeergebiet stammen aus Nordgriechenland, wo Wein schon im 5. Jt. v. Chr. hergestellt wurde. In der südlichen Levante wurde auf jeden Fall schon im 3. Jt. v. Chr. Wein produziert.
In der Bibel erwähnte Weinanbaugebiete: Methodische Überlegungen
Die biblischen Texte wurden nicht verfasst, um Menschen unserer Zeit Informationen über die antiken Anbaugebiete zu vermitteln. Trotzdem nennen einzelne Texte Ortsnamen in Verbindung mit Weinanbau, sodass wir für diese Orte von einem Weinanbau in der Antike ausgehen können. Neben den bereits erwähnten biblischen Begriffen müssen weitere wie eschkol (»Weintraube«), enab (»Weintraube«), soreq (»hellrote Edeltraube«), gäpän (»Weinstock«), zemora (»Weinranke«), schämär (»Weinhefe«, »geläuterter Hefewein«) und käräm (»Weinberg«, »Weingarten«), aber auch gat (»Kelter«) in diesem Zusammenhang mitberücksichtigt werden. Manchmal gibt es sogar Ortsnamen, die eine entsprechende Terminologie enthalten. Auch in Deutschland liegen Orte wie Weinfelden oder Weingarten in typischen Weinanbaugebieten. Neben den biblischen Erzählungen sind auch außerbiblische Texte, v.a. epigraphische Wirtschaftstexte, zu berücksichtigen. Sie bieten oft ganz grundlegende weitere Informationen. Archäologische Funde wie Weinpressen können ebenfalls mitbedacht werden. Allerdings gibt es hier die große Schwierigkeit, derartige landwirtschaftliche Installationen exakt zu datieren. Meistens befinden sie sich im Freien und wurden über viele Jahrhunderte ununterbrochen benutzt, da sie kaum verschleißen und einfach zu erhalten sind. Dies macht eine Datierung in vielen Fällen kompliziert. Immerhin lassen sich dank sehr gründlicher Oberflächenuntersuchungen zumindest für das Gebiet des heutigen Jerusalem einige grundlegende Aussagen machen. Auf einen weiteren wichtigen Aspekt hat die französische Annales-Forschung, insbesondere F. Braudel, aufmerksam gemacht: Da sich die natürlichen Gegebenheiten eigentlich kaum geändert haben, gibt es eine lang anhaltende Konstanz (»longue durée«) in den Erwerbsgrundlagen der Bevölkerung. Daher kann man aus Quellen der vorindustriellen Zeit oft wichtige Rückschlüsse auf Erwerbsmöglichkeiten vor 2.000 oder 3.000 Jahren ziehen.
Biblische Erzählungen mit Erwähnungen von Weinanbau
In der Bibel finden sich einige Erzählungen, die sich, teilweise nur am Rande, mit Wein und seinem Anbau beschäftigen und uns Informationen geben, wo konkret Wein angebaut wurde.
In Jeremia 31,5 ist vom Weinanbau auf Samarias Bergen die Rede. Etwas konkreter dazu ist ein anderer Text. Unmittelbar an den Palast in Samaria grenzte ein Weinberg, den der König gerne in seinem eigenen Besitz haben wollte (1 Könige 21,1). Der Palast war auf einem steilen Berg errichtet worden. An den Abhängen dieses Hügels dürfte demnach Wein angebaut worden sein. Auch in der Umgebung von Silo (Richter 21,20 f.) und Sichem (Richter 9,27), beide in den samarischen Bergen gelegen, ist ausdrücklich von Weinbergen die Rede (zur Lage dieser Orte s. Abb. 1). Weitere Informationen zum Weinanbau im samarischen Bergland bieten zudem epigraphische Quellen (s. dazu unten).
Aber nicht nur Samaria, sondern auch das judäische Bergland war ein wichtiges Anbaugebiet für Wein. Ganz Juda wird im Jakobsegen ausdrücklich als ein Weinland bezeichnet (Genesis 49,11):
»[Juda] bindet seinen Eselhengst an den Weinstock
und an die Purpurrebe [= Rotweinrebe] das Füllen ihrer Eselin.
Es wäscht in Wein sein Gewand
und in Traubenblut seinen Mantel.«
Abb. 1: Weinanbaugebiete in biblischer Zeit.
Konkreter ist die Angabe, dass die Umgebung von Hebron offenbar ein exzellentes Weinland war. Von dort bringen die von Josua ausgesandten Kundschafter eine große Weintraube zurück, die von zwei Männern auf einer Stange getragen wurde (Numeri 13,23 f.). Mit dieser Beute sollte deutlich gemacht werden, dass Weintrauben das wichtigste landwirtschaftliche Produkt des Landes sind.
Auch in der Umgebung von En-Gedi am Toten Meer wurde Wein angebaut (Hohelied 1,13). Auf Weinanbau unmittelbar westlich des Toten Meers weist der arabische Ortsname Khirbet Karm Atrad einer Siedlung hin, die in der Eisenzeit besiedelt war und nördlich von En-Gedi am Nordrand des Toten Meers in einer Ebene (el-Buqea) liegt. Der Weinanbau hier ist höchst bemerkenswert, denn die Niederschläge sind mit gut 100 mm äußerst gering. Hier Wein anzubauen ist nur durch künstliche Bewässerung und durch das Aufstauen von Wasser in den Wadis (Wasserläufe, die nur im Winter während der Regenzeit Wasser führen) möglich. Aber auch im Westen Judas zogen sich die Weinberge an den Abhängen des Berglandes bis nach Timna hin (Richter 14,5; vgl. 15,5). Für Weinanbau an den Abhängen des judäischen Berglandes sprechen auch die vielen Weinpflanzungen, die auf dem sog. Lachischrelief abgebildet sind, das sich der assyrische König Sanherib nach der Einnahme der Stadt 701 v. Chr. anfertigen ließ (Abb. 2).
Abb. 2: Ausschnitt aus dem sog. Lachisch-Relief (um 701 v. Chr.) des assyrischen Königs Sanherib.
Im Ostjordanland ist im Gebiet Moabs von Weinbergen die Rede (Numeri 22,24). In Jesaja 16,8 (vgl. Jeremia 48,32) werden mit Heschbon, Sibma (nicht lokalisiert, aber offenbar in unmittelbarer Nähe von Heschbon gelegen), Elale und Jaser (Khirbet es-Sar) vier Orte genannt, die allesamt im nördlichen moabitischen Territorium liegen. Dies scheint ein berühmtes Weinanbaugebiet