Hygienearzt in zwei Gesellschaften. Dietrich Loeff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietrich Loeff
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783938555286
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meine Meinung zu politischen und anderen Fragen geändert. Das tue ich auch heute noch. Wer das nicht kann, ist wohl unbelehrbar. Mir scheint aber, es melden sich heute mehr angebliche Rebellen gegen die DDR-Führung zu Wort, als es tatsächlich damals gab. Vielleicht ist das bequem für das eigene Selbstverständnis sowie auch für die Karriere und sicher ist das Ende der DDR nicht das einzige historische Ereignis mit solchen Begleiterscheinungen. Übrigens schwankte die Zahl der kritischen DDR-Bürger erheblich, weil viele Menschen ehrlich nach der Wahrheit suchten.

      Längst nicht über alle Ereignisse kann ich schriftliche oder sachliche Unterlagen beibringen. Persönliche Erinnerungen – der Historiker weiß es – haben für die Geschichtswissenschaft einen geringeren Beweiswert als Dokumente, die zeitnah zum Ereignis selbst entstanden und als Verträge oder Urkunden auch sorgfältig ausformuliert sind. Ein Tagebuch habe ich nie geführt. Und natürlich ist es weder möglich, noch sinnvoll, jede Einzelheit zu berichten. Wozu auch? Über Patienten, manche Privatangelegenheiten und über Einzelheiten der Dienstdurchführung ist Schweigen aus menschlicher Rücksicht geboten oder gesetzlich bis über das Dienstverhältnis hinaus vorgeschrieben. Auch nicht jeder Klarname kann hier stehen, sondern nur die echten Namen prominenter Persönlichkeiten und derjenigen, die ich nicht kritisieren muss. Andere Personen tragen veränderte Namen oder sind nur nach ihren Eigenschaften beschrieben. Soviel Persönlichkeitsschutz muss sein, schließlich bin ich nicht die Gauck-Birthler-Behörde. Mir geht es nicht um persönliche Schuldzuweisungen oder späte Rache an Widersachern. Nachtragende Mitmenschen gibt es mehr als zu viele und zur verbreiteten Unsitte, dass Verleumdete ihre Unschuld beweisen müssen, werde ich nicht beitragen.

      Hygieniker haben ein breites Spektrum von Kontrollaufgaben. Dazu lernen sie von vielen Fachgebieten etwas. Sie können zwar beruflich weder für eine Gaststätte kochen, noch eine Schule leiten, noch Trinkwasser aufbereiten. Aber denjenigen, die diese Berufe ausüben, können sie mindestens erfolgreich dreinreden. So werde auch ich auf den folgenden Seiten hier und dort Halbwissen anzubieten haben. Die Leserin und der Leser mögen das verzeihen, vielleicht ist Halbwissen ja besser als Unwissenheit, wenn man sich der eigenen Grenzen stets bewusst ist.

      Geschichte ist, wie alles in der Welt, gesetzmäßig voller Widersprüche. Widersprüche aber können Entwicklungen vorantreiben. Dazu muss man sie kennen und deshalb werden einige davon hier beschrieben.

      Ich überlasse der Leserin und dem Leser das Urteil. Für Hinweise bin ich jederzeit dankbar. Wenn ihn meine Berichte und anschließenden Überlegungen interessieren oder gar fesseln sollten, wäre das gut und könnte ihn zu meinem Ziel begleiten:

      scheinbare Gewissheiten überprüfen,

      mehr in Alternativen denken,

      mehr selbstlose Anteilnahme an öffentlichen Aufgaben,

      mehr Solidarität.

      Cottbus, im Juli 2009

      Dr. med. Dietrich Loeff

      Erstes Buch

      Sozialismusversuch

      Unter jeder

      Unter jeder

      hoffnungsvollen Idee

      sammeln sich

      Märtyrer und Heilige,

      Alleswisser

      und Pragmaten,

      kleine Gauner und

      große Schurken,

      Pflichtbesessene und

      Pflichtvergessene,

      Wahrsager,

      Rechthaber,

      Vorschreiter,

      Mitläufer und

      sehr viele Leute –

      die einfach da wohnen.

      Heinz Kahlau

      „Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slowaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslawen und Ungarn, kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung. Uns beseelte die Idee: Unsere Sache ist gerecht - Der Sieg muss unser sein!

      Wir führten in vielen Sprachen den gleichen, harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen! Noch leben die Mörder unserer Kameraden! Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum! Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:

      Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!

      Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.

      Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach:

      WIR SCHWÖREN!“

      Aus dem Schwur der befreiten KZ-Häftlinge von Buchenwald, 1945

      Kapitel 1

      Krieg, Nachkrieg und DDR

      Vaters Familie

      Meine väterlichen Vorfahren waren über mehrere Generationen Winzer im Moselgebiet. Sie stammen aus dem Dorfe Löf. Den kleinen Ort findet man nur in sehr guten Atlanten, aber natürlich im Internet. Er liegt reichliche 20 Kilometer von Koblenz die Mosel aufwärts. Löf ist heute mit einer anderen Gemeinde zusammengelegt. Unter dem Familiennamen Löf (in dieser Schreibweise) findet man zwei Telefonbucheinträge in der näheren Umgebung und einen im Ort Löf selbst. Ob es sich dabei um sehr entfernte Verwandte handelt, weiß ich nicht. Ich habe Mitte der neunziger Jahre auf der Durchfahrt in Löf einen recht kurzen Zwischenhalt einlegen und ein paar Flaschen des dortigen Weines mitnehmen können. Von einer Familie Löf war dort nichts bekannt.

      Dann zogen Mitglieder der Familie Löf, oder nun schrieben sie sich wohl Loeff, nach Berlin und befassten sich mit technischen Aufgaben. Ein Urahn hat eine Kaffeemaschine und eine spezielle Petroleumlampe konstruiert und damit gutes Geld verdient. Davon gingen immerhin noch 65 000 Goldmark als Erbe an meinen Vater, der sie in der Inflation 1923 komplett verlor. Meine Großeltern väterlicherseits habe ich nicht mehr kennen gelernt.

      Mein Vater, geboren 1876 und gestorben 1950, war bis 1945 Beamter, zuletzt meines Wissens Preisinspektor. Er hatte zwei Söhne aus erster Ehe, geboren am Beginn des 20. Jahrhunderts, die ich beide noch kennen lernte. Sie leben aber beide nicht mehr. Der jüngere dieser Söhne war mit einer Schriftstellerin, Friedel Loeff, verheiratet. Diese schrieb schon seit den dreißiger Jahren Kriminalromane, die ich als Junge alle gelesen habe, später auch andere Unterhaltungsliteratur. Sie konnte außerdem schlagkräftige Brieftexte für andere Mieter ihres Wohnhauses verfassen, wenn der Hauswirt auf normale Mängelanzeigen nicht reagierte. Zuletzt lebte sie in Frankfurt am Main. Nach 1970 ist unsere briefliche Verbindung zu ihr abgerissen, weil mehrere Briefe meiner Mutter, in denen deutliche Kritik an der Bundesrepublik enthalten war, sie nicht erreichten. Jetzt entnehme ich dem Internet, dass sie auch danach noch schriftstellerisch tätig gewesen sein muss, denn dort sind mehrere Buchtitel aufgeführt, von denen während unserer direkten und brieflichen Kontakte nie die Rede war.

      Mein Vater war nach dem Krieg 1945 als Mitglied der Nazipartei natürlich entlassen und von der sowjetischen Militärbehörde in Berlin zu Enttrümmerungsarbeiten herangezogen worden. Das dauerte einige Monate und umfasste die Zeit, in der wir anderen Familienmitglieder ohnehin Berlin noch nicht wieder erreicht hatten, da wir, der Bombenangriffe