Der Penis-Komplex. Gerhard Staguhn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Staguhn
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Социальная психология
Год издания: 0
isbn: 9783866746534
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gar nichts vorzuweisen. Das verwundert kaum, denn im Lebensraum Wasser bietet es sich an, die Befruchtung der Eier außerhalb des weiblichen Körpers zu arrangieren, also Eier und Samen im freien Wasser zueinander zu bringen. Einzig bei den lebend gebärenden Fischarten, etwa den Haien oder den Rochen, haben sich »Begattungsorgane in Form von langen knorpeligen Anhängen […] der Bauchflossen ausgebildet. Andere lebend gebärende Fische […] besitzen Begattungsorgane, die aus der Afterflosse gebildet werden.« (Grzimeks Tierleben, Bd. 4, S. 65) Das Sexualleben der Fische ist von daher eine ziemlich langweilige Angelegenheit, die hier nicht weiter ausgebreitet werden muss.

      Auch bei den Amphibien bleibt dem Penis, falls überhaupt einer vorhanden ist, nichts anderes zu tun, als mehr am Rande als im Innern der weiblichen Kloake herumzumachen, um schließlich unterhalb derselben einen so genannten Samenträger am Boden abzusetzen, den das Weibchen, wenn es Lust dazu hat, mit seiner Kloake aufnimmt. Dieses Prinzip der körperlosen Sexualität ist ja bereits vertraut. Es gibt auch Amphibien-Arten, bei denen die Weibchen den aufgenommenen Samenträger in einer Körpertasche verstauen, um sich bei Gelegenheit daraus zu bedienen. Von Penisaktivitäten auch hier keine Spur! Einzig ein nordamerikanischer Frosch mit dem zutreffenden Namen Schwanzfrosch bemüht sich um eine Kopulation, die diesen Namen aus menschlicher Sicht verdient. In der Tat verdankt diese Froschart ihren Namen nicht einem Schwanz im Sinne eines verlängerten Hinterteils, sondern einem Schwanz im Sinne von Penis. Gemeint ist eine bescheidene, nur fünf bis zehn Millimeter lange, nach hinten ausgestülpte röhrenförmige Verlängerung der Kloake, die dem Frosch-Mann als ›Penis‹ dient. Die Befruchtung geschieht also im Körperinnern des Weibchens. Das ist bei dieser Froschart auch sinnvoll, denn sie lebt in Gebirgsbächen mit reißender Strömung, was eine äußere Befruchtung unmöglich machen würde. Der Samen ginge buchstäblich den Bach runter.

      Bei den Weichtieren (Mollusken) erwartet man von vornherein keinen Penis, zumindest keinen, der durch Härte beeindruckt. Der Tierklasse der Schnecken würde man damit allerdings Unrecht tun. Bei ihnen findet man sogar einen Penis, der zumindest optisch nichts zu wünschen übrig lässt. Da die Schnecken Zwittertiere sind, können sie sexuell mal als Männchen, mal als Weibchen aktiv werden. Oder sie sind beides zugleich, indem sie sich selber befruchten – aus menschlicher Sicht eine beneidenswerte Fähigkeit, die unser Sexualleben zweifellos bereichern würde. Man erlebte beim Höhepunkt der Selbstbegattung sowohl männliche als auch weibliche Orgasmen. Nicht nur unter orgastischen Gesichtspunkten erscheint die lebenslange Festlegung des Individuums auf ein Geschlecht nicht unbedingt als die glorreichste Erfindung der Evolution. Welcher Mann wäre nicht gern auch mal Frau – und umgekehrt! Aus purer Neugier. Tatsächlich hat die Evolution den Geschlechtswechsel bei der einen oder anderen Art ausprobiert, doch für die höheren Tiere bedauerlicherweise wieder verworfen.

       Das Glied des Gliederwurms

      Doch kehren wir zum Penis bei den Weichtieren zurück: Bei den Tintenfischen, diesen erstaunlich intelligenten Vertretern dieses Tierstamms, dient den Männchen einer ihrer acht oder zehn Arme als Penis. Man bezeichnet ihn wissenschaftlich als Hectocotylus. Ihn führt das Männchen bei der Begattung in die Mantelhöhle des Weibchens ein. Dann wird in einer Längsrinne des Begattungsarms eine Spermatophore mittels Kontraktionswellen bis zur weiblichen Geschlechtsöffnung transportiert, die sich tief in der Mantelhöhle verbirgt.

      Bleiben zum Schluss dieser flüchtigen biologischen Betrachtung noch die Niederen Tiere, die zumindest im Sexuellen alles andere als niedrig sind. Gerade im Hinblick auf den Penis erlebt man Überraschungen, vor allem, was die Plattwürmer, Schnurwürmer, Schlauchwürmer, Gliederwürmer und Spritzwürmer betrifft. Schon in den Namen ist der Penis mehr oder weniger präsent, am stärksten natürlich beim Spritzwurm. Bei diesen recht einfach gebauten zwittrigen Tieren findet man erstaunlich fortentwickelte Geschlechtsorgane. Während zum Beispiel die ebenfalls sehr einfach gestalteten Schwämme oder Hohltiere ihre Samenzellen einfach dem Lebensraum Wasser übergeben, ähnlich wie die Fische, basiert der Wurmsex auf echter Penetration, soll heißen: Ein Wurmpenis dringt in eine Wurmvagina ein. Weil der Wurm selber schon einem Penis gleicht, haben wir hier gewissermaßen einen Penis mit Penis vor uns. Damit erweisen sich männliche Würmer als die Penis-Tiere schlechthin.

      Nicht umsonst rückt auch der menschliche Penis wegen seiner wurmartigen Gestalt sprachlich in die Nähe des Wurms. ›Spritzwurm‹, ›Schlauchwurm‹ oder ›Gliederwurm‹, diese biologischen Klassifizierungen von Würmern, würden als volkstümliche Ausdrücke in idealer Weise zum menschlichen Penis passen. In manchen Gegenden Deutschlands wird der Penis volkstümlich als Hosenwurm bezeichnet.

      Die zwittrige Fruchtbarkeit der Würmer ist erstaunlich. Das liegt vor allem daran, dass sie sich als schmarotzende Organismen zum Lebenserhalt um nichts kümmern müssen. Ihr einziger Lebensinhalt ist der Sex. Der Einfachheit halber begatten sie sich meistens selber, genauer: Der männliche Abschnitt des Wurms begattet den weiblichen. Diese einfachen Tiere sind bei passender Gelegenheit aber auch zur Begattung eines anderen Wurm-Individuums in der Lage. Bei den zu den Plattwürmern gehörenden Strudelwürmern hat sich der Penis aus ursprünglichen Abwehrwaffen des Tiers entwickelt. Im Grunde hat ja jeder Penis, voran der besonders groß geratene des Menschen, etwas von einer Waffe, freilich mehr von einer Angriffs- als von einer Abwehrwaffe. Bei den Strudelwürmern übernehmen so genannte ›birnenförmige Organe‹ oder ›Drüsenstacheln‹, die ursprünglich der Feindabwehr dienten, die Aufgabe der Samenübertragung. Mit ihnen wird die Körperwand des Partners durchstoßen; sein Körper wird gewissermaßen als ganzer penetriert. Einer eigens dafür vorgesehenen Geschlechtsöffnung bedarf es nicht.

      Bei manchen Arten von Plattwürmern verwachsen beide Partner nach der Begattung miteinander und bilden für den Rest des Lebens einen einzigen Organismus. Bei den ebenfalls zu den Plattwürmern gehörenden Bandwürmern ist es ohnehin so, dass jedes Körpersegment fast nur aus männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen besteht, wobei die männlichen Segmente neben zahlreichen Hodenbläschen auch einen beachtlichen ausstülpbaren Penis aufweisen. Bandwürmer wachsen beständig in die Länge und bilden dabei reihenweise immer neue Fortpflanzungsorgane. In der so entstehenden Gliederkette reifen die zwittrigen Geschlechtsorgane von vorne nach hinten, und zwar die männlichen vor den weiblichen. So können oftmals die vorderen oder mittleren männlichen Glieder mit ihren langen Penissen die hinteren, eben erst entstandenen weiblichen Glieder sofort begatten, ohne dass diese schon geschlechtsreif sind. Sie reifen gewissermaßen dem in ihnen abgelegten Samen entgegen. So bildet sich eine Art von Begattungskette, die auch dann noch funktioniert, wenn der Wurm zerteilt wird. Das führt zu einer extrem hohen Rate an Nachkommenschaft.

      Als aus menschlicher Sicht geradezu skurril erweist sich das Sexualleben der Fadenwürmer. Bei einigen Arten nehmen die Geschlechtsorgane im Laufe ihrer Entwicklung stark an Umfang zu, bis am Ende das ganze Tier fast nur noch aus dem Geschlechtsteil besteht. Die Tiere kopulieren nicht mehr mit ihren Geschlechtsorganen, sondern als Geschlechtsorgane. Auf den Menschen bezogen wären wir Männer irgendwann nur noch Penis, was wir auf der gedanklichen Ebene ohnehin meistens sind. Die Frauen wären nur noch Vulva. Das muss man sich mal bildhaft vorstellen, zum Beispiel als menschliches Treiben auf einem großstädtischen Boulevard. Überall wären flanierende Penisse und Vulven unterwegs! Bei der Kopulation, die freilich nicht auf dem Boulevard stattfände – oder vielleicht doch –, würde der Penis-Mann vollständig in der Vulva-Frau verschwinden. Den meisten Männern dürften solche Fantasien nicht fremd sein. Das hat mit ihrer Neigung zu tun, sich besonders stark mit ihrem Geschlechtsteil zu identifizieren. »Solchen Tagträumen«, meint Ernest Borneman, »liegt die sogenannte Mutterleibsphantasie zugrunde, in der man sich beim Akt wünscht, in den Leib der Frau (= Mutter) zurückzukehren, was nur dann möglich ist, wenn der gesamte Körper (zumindest in der Phantasie) durch den Penis […] ersetzt wird.« (Lexikon der Liebe, 1978, S. 1260)

      Und so endet dieses Kapitel, zumindest für uns Männer, in der Erkenntnis: Fadenwurm müsste man sein! Dann könnten wir endlich jenen unbewusst herbeigesehnten Liebesakt erleben, bei dem Eros und Todestrieb in eins zusammenfallen – der Anfang unseres Seins mit dem Ende.

      Drittes Kapitel

      Ein aufrichtiges Organ

      Sobald