Der Penis-Komplex. Gerhard Staguhn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Staguhn
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Социальная психология
Год издания: 0
isbn: 9783866746534
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dabei der Schwellkörper, also das, was vom einstigen Penisknochen übriggeblieben ist. Dabei können im schlimmsten Fall sogar schwere Blutungen im Penis auftreten, verbunden mit Urin-Infiltration, falls die Harnröhre mit verletzt wird. Von daher ist dem Mann zu raten, auch bei stürmischer Penetration nicht gänzlich die Kontrolle über sich und seinen Penis zu verlieren, zumal wenn er sexuell noch unerfahren ist und vielleicht sogar meint, volltrunken vögeln zu müssen. Und damit haben wir eine elegante, wenn auch triviale Überleitung zu den Vögeln.

      Das Überraschende gleich vorneweg: Vögel vögeln nicht. Das gilt zumindest solange, wie mit dem Begriff ›Vögeln‹ eine penetrierende Kopulation gemeint ist. Denn zur Penetration fehlt den Vogel-Männchen schlichtweg der Penis. Das gilt zumindest für die allermeisten Vogelarten. Nur bei wenigen Vogelgruppen, etwa den Enten oder Gänsen, besitzen die Männchen ein bescheidenes ›Begattungsglied‹. Wenn wir also unser menschliches Koitieren als »Vögeln‹ bezeichnen, meinen wir eigentlich ein ›Gänseln‹ oder ›Enteln‹. Gleichwohl ist ›Vögeln‹ als volkstümlich-derbe Bezeichnung für den Koitus schon seit dem Mittelalter gebräuchlich: Mit vogelen war zwar ursprünglich ›Vögel fangen‹ gemeint, doch hatte es von Anbeginn auch die Bedeutung von ›begatten (beim Vogel)‹, um schließlich auch als Ausdruck für die menschliche Begattung verwendet zu werden.

      Tiere, die sich tagsüber die meiste Zeit in der Luft befinden, müssen möglichst leicht sein. Und da die Natur die Fortpflanzung problemlos auch ohne Penis hinkriegt, hat sie dieses entbehrliche Fortpflanzungsgerät bei den Vögeln einfach weggelassen – aus Gewichtsgründen. Das Vogelweibchen wird also vom Männchen gar nicht penetriert, wie man meinen könnte, wenn man den Spatzen beim ›Vögeln zuschaut, sondern beide pressen nur ihre ›Kloaken‹ aneinander. Eine Kloake ist eine Art Sammelbecken, in welchem die Ausfuhrorgane für Kot und Urin, ebenso die Absonderungen der Geschlechtsorgane zusammenlaufen – eine Art organische Senkgrube. Im mittleren Teil der Kloake befinden sich beim Vogelmännchen seitlich von der Harnleitermündung die Ausgänge zweier Samenleiter. Das Weibchen hat an der entsprechenden Stelle die Scheidenöffnung. Das Männchen lässt bei der Kopulation sein Sperma einfach von seiner Kloake in die des Weibchens fließen, von wo es dann in die Scheide gelangt. Da die Vögel ohnehin nur ein- oder zweimal im Jahr ›vögeln‹, spricht eigentlich nichts gegen diesen so einfachen wie praktischen ›Kloakensex‹. Für den Menschen möchte man sich Geschlechtsverkehr durch Aneinanderpressen von Kloaken lieber nicht vorstellen, vor allem wegen der damit verbundenen Hygieneprobleme. Die Lust auf oralen Sex wäre einem auch verleidet.

       Der Luxus zweier Penisse

      Die Kloake haben die Vögel von ihren evolutionsgeschichtlichen Vorläufern, den Reptilien, übernommen. Die Kriechtiere ›vögeln‹ also wie die Vögel. Da bei ihnen das Körpergewicht keine Rolle spielt, kommen die männlichen Tiere sogar in den Genuss eines winzigen, zur Ausstülpung fähigen Penis in ihrer Kloake. Mit diesem übertragen sie den Samen in die Kloake des Weibchens, ohne dass eine Penetration, die diesen Namen verdient, stattfinden muss. Während männliche Schildkröten und Krokodile nur einen einzigen solchen Ausstülpungspenis besitzen, haben männliche Echsen und Schlangen gleich deren zwei. Man spricht von zwei Hemipenissen. Bei der Begattung stülpt das männliche Tier beide Halb-Penisse aus, führt jedoch nur einen von ihnen in die Kloake des Weibchens ein, und zwar jenen, der dem Scheideneingang am nächsten liegt. Die paarigen Penisse sind vertrackte Gebilde aus Falten, Wülsten, Spitzen und Zacken, die dazu dienen, das männliche Begattungsorgan in der weiblichen Kloake regelrecht zu verankern. Nach der Begattung werden die Hemipenisse zurückgezogen und dabei wieder eingestülpt. Es gibt allerdings auch einige Echsenarten, unter ihnen zum Beispiel die Brückenechse, bei denen die Männchen, in der Art der Vögel, ohne Penis auskommen. Bei der Begattung pressen sie in Vogelmanier ihre Kloake auf die des Echsenweibchens.

      Beim Stichwort ›zwei Penisse‹ drängt sich dem Menschenmann natürlich sofort die Frage auf, ob der Besitz solch eines dualen Begattungsapparats nicht auch für ihn von Vorteil wäre. In Gedanken sieht er sich in wilder Doppelpenetration mit zwei Frauen, wie immer diese anatomisch zu bewerkstelligen, kräftemäßig zu bewältigen und seelisch zu verarbeiten wäre. Von diesem Gedanken kommt der Mann aber schnell wieder ab, wohl wissend, dass es schwierig genug ist, den einen Penis, den er hat, optimal, das heißt zur Zufriedenheit des Sexualpartners, zum Einsatz zu bringen. Ein Ausstülpmechanismus wäre gewiss praktisch, doch fehlte ihm die bezaubernde Eleganz einer langsam sich entfaltenden Erektion, deren Loblied in einem der folgenden Kapitel noch gesungen wird.

      Bei einer besonders faszinierenden Tiergruppe, jener der Spinnen, gehört der Besitz zweier Penisse nicht nur zur Sexual-, sondern weit mehr noch zur Überlebensstrategie des Männchens. Denn das Männchen ist bei den meisten Arten wesentlich kleiner als das Weibchen. Der krasse Unterschied in der Körpergröße wäre nicht weiter tragisch, wenn die Weibchen nicht die fatale Neigung verspürten, nach vollzogenem Geschlechtsakt den Partner aufzufressen. Das kommt daher, dass bei ihnen der Beutetrieb nicht immer scharf vom Begattungstrieb getrennt ist. Koitierend zu sterben, womöglich im Moment des Orgasmus, ist freilich nicht die schlechteste aller denkbaren Todesarten. Zudem ist sie im Dienst der Arterhaltung gar nicht so abwegig, wie sie aufs Erste erscheinen mag. Wegen der raschen und großen Produktion von Eiern haben Spinnenweibchen einen sehr hohen Eiweißbedarf, den sie auf diese praktische und billige Weise decken. Das Männchen hat mit der Abgabe des Samens ohnehin seine biologische Pflicht, sich fortzupflanzen, erfüllt. Hier bestätigt sich auf eindringliche Weise ein grundlegendes Gesetz der Natur: Ihr Interesse gilt vorrangig der Art und nicht dem Individuum.

      Das Penispaar der Spinnenmännchen ist evolutionsgeschichtlich nichts weiter als das zum Begattungsorgan umfunktionierte vorderste Beinpaar (Pedipalpen). Vor der Begattung befüllt das Männchen diese beiden ›Bein-Penisse‹ mit Sperma, das aus dem vorderen Teil der Bauchseite austritt. Zu diesem Zweck spinnt das Männchen ein kleines ›Sperma-Netz‹; auf dieses setzt es einen Tropfen Samenflüssigkeit ab und packt das Befruchtungspaket mit beiden ›Begattungsbeinen‹. Damit ist das Männchen begattungsbereit. Diese Vorbereitung auf den Koitus kann mehrere Stunden in Anspruch nehmen – ein langes, autoerotisches Vorspiel des Männchens, wenn man so will. Wenn das Männchen sich schließlich einem Weibchen nähert, das Samen-Geschenkpaket vor sich hertragend, richtet es sich immer wieder hoch auf, erigiert gewissermaßen mit seinem ganzen Körper, und winkt der Auserwählten mit seinem geladenen ›Doppelpenis‹ zu. Das geht so lange, bis sich beide Tiere Kopf an Kopf gegenüberstehen. Falls das kleine Männchen Glück hat, und das vergleichsweise riesige Weibchen durch das winkende ›Penispaar‹ in Paarungsstimmung gekommen ist, kann es wagen, das Weibchen mit dem Mut des Begehrens anzuspringen, rasch seine beiden mit Samen beladenen Taster an der Geschlechtsöffnung des Weibchens zu positionieren und das Samenpaket eiligst in diese hineinzustopfen. Das ordinäre, vor allem im süddeutschen Raum gebräuchliche Wort ›stopfen‹ für koitieren bringt zumindest beim Spinnensex die Sache auf den Punkt.

       Sie hat ihn zum Fressen gern

      Bei einigen Spinnenarten benutzt das Männchen nur einen der beiden ›Tasterpenisse‹, der an speziellen Fortsätzen der weiblichen Geschlechtsöffnung einrastet. Meistens ist damit das Schicksal des Männchens besiegelt. Im Moment des Einrastens rastet das Weibchen buchstäblich aus; es schlägt, einem Tötungsreflex gehorchend, seine mächtigen Klauen in den Hinterleib des kopulierenden Männchens, falls dieses nicht flink genug ist, sich von seinem feststeckenden Penis loszureißen, diesen im Körper des Weibchens zurücklassend, um mit seinem anderen, heil gebliebenen Penis das Weite zu suchen. Falls ihm das gelingt, erbringt das Männchen den Beweis, dass es zumindest bei weiblichem Sexualkannibalismus nicht das Schlechteste ist, zwei Penisse zu haben. Falls das Männchen nicht entkommt und den tödlichen Biss erhält, ist damit die Samenübertragung nicht unterbunden. Der Penis des Toten führt sein Werk selbständig zu Ende. Ist dies geschehen, wird das Männchen, inklusive Penis, vom begatteten Weibchen verspeist. Erst verzehrt er sich nach ihr, dann wird er von ihr verzehrt. In sich stimmiger kann ein Liebesakt, zumindest aus weiblicher Perspektive, kaum sein.

      Bei der Wespenspinne ist die Sache mit dem Sex ähnlich vertrackt, doch hat hier das Männchen eine reelle Chance, den Geschlechtsakt zu überleben. Das Weibchen ist nämlich nicht darauf fixiert, sich nur mit einem einzigen Männchen zu paaren. Es ist polygam,